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Neurobiologie: Würmer leben länger mit einem Antidepressivum

Medikament verlängert die Lebensspanne, indem es Hunger vorgaukelt.

Die Kalorienzufuhr zu beschränken ist ein sicherer Weg, die Lebensspanne vieler Organismen zu verlängern, von Hefe bis zu Mäusen. Nun sieht es danach aus, als könnte ein Antidepressivum das Gehirn von Würmern derart überlisten, dass sie denken, sie wären auf Diät, wodurch sich ihre kurze Lebensspanne von drei auf vier Wochen verlängert.

Derartige biochemische Basteleien könnten die Basis für Medikamente darstellen, die altersbedingte Erkrankungen vermeiden, sagt Linda Buck, Molekularbiologin am Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle, Washington, die die Arbeiten, die in Nature veröffentlicht wurden, leitete (1).

Das Medikament, das diesen Effekt hat - Mianserin -, ist ein atypisches Antidepressivum, ein Abkömmling bekannterer Antidepressiva wie Prozac, Paxil und Zoloft. Mianserin wirkt, indem es die Reaktion des Gehirns auf Serotonin, einen Neurotransmitter, der an der Regulation von Stimmung und Appetit beteiligt ist, hemmt.

Wurm-Modell

Die Nematoden Caenorhabditis elegans werden seit Jahrzehnten als Modelle für das Altern verwendet, anhand derer Wissenschaftler versuchen aufzudecken, was mit dem menschlichen Körper geschieht, wenn er älter wird.

Forscher beginnen gerade erst mit der Entwicklung von Medikamenten, die das Altern verlangsamen. Um die Suche zu beschleunigen, testeten Buck und ihr Kollege Michael Petrascheck 88.000 Chemikalien einer Chemikaliendatenbank, um zu sehen, ob einige von ihnen Würmer in Methusalems verwandeln.

Ihre fünfjährige Suche erbrachte mehr als 100 Chemikalien, die die Lebensspanne der Würmer verlängerten. Es war jedoch wenig darüber bekannt, wie diese Chemikalien in biologischen Systemen wirken. Daher durchforstete Petrascheck Kataloge besser untersuchter Medikamente auf der Suche nach solchen, die eine ähnliche Struktur aufweisen wie die von ihnen entdeckten Chemikalien. Anschließend prüfte er, ob die Medikamente dieselben Effekte bei Würmern haben. "Es war ein Schuss ins Blaue", sagt er.

Aber es funktionierte. Petrascheck stieß auf etliche Medikamente, die einer Chemikalie mit der Bezeichnung 272N18 ähneln, die im ersten Testdurchlauf die Lebensspanne um ein Fünftel verlängert hatte. Eines der Medikamente, Mianserin, verlängerte das Leben der Würmer um ein Drittel.

Eine Frage des Kopfes

Mianserin interagiert mit zwei Stoffen des Gehirns, die mit Hunger in Zusammenhang stehen: Serotonin, das das Vorliegen von Nahrung signalisiert, und Octopamin, das Hunger signalisiert. Das Medikament blockiert in erster Linie einen Serotoninrezeptor, wodurch er seine normale Funktion nicht mehr ausführt. "Wir könnten das Gleichgewicht in Richtung einer Hunger-Antwort verschieben", sagt Buck.

Das Medikament veranlasste die Würmer nicht, weniger zu essen, was nahe legt, dass es den Alterungsprozess nicht durch tatsächliche Kalorienrestriktion verlangsamte. "Sie sehen nicht aus als würden sie hungern und sie sind ziemlich aktiv", sagt Buck.

Dennoch sind die Wissenschaftler der Ansicht, dass Mianserin über dieselben Mechanismen wirkt wie eine Kalorienrestriktion. Würmer auf einer strikten Diät ziehen keinen zusätzlichen Nutzen aus Miaserin. Würmer, denen bestimmte Gene fehlen, die am jungerhaltenden Effekt einer Kalorienrestriktion beteiligt sind, ziehen einen geringeren Nutzen aus Miaserin.

Pillen schlucken

Medikament zu finden, die den Alterungsprozess bei Würmern verlangsamen, ist ein wichtiger erster Schritt, wenn man sich Alterungsprozessen beim Menschen zuwenden will, sagt David Sinclair, Biologe an der Harvard University in Cambridge, Massachusetts, der mit einem Unternehmen zusammenarbeitet, das an der Entwicklung von Medikamenten arbeitet, die Alterungsprozesse beim Menschen aufhalten.

Buck warnt jedoch davor, ihre Ergebnisse so aufzufassen, dass Menschen denselben Nutzen aus der Einnahme von Miaserin ziehen könnten. Sie plant, das Medikament als nächstes an Mäusen zu testen. Ihr Team wird sich außerdem mit etwa 100 weiteren Chemikalien befassen, die ihre Suche erbracht hat, um mehr darüber herauszufinden, was das Altern bei Tieren verursacht - und wie dieser Prozess verlangsamt werden kann.

(1) Petrascheck, M., et al. Nature, 450.553-557 (2007).

Dieser Artikel wurde erstmals am 21.11.2007 bei news@nature.com veröffentlicht. doi: 10.1038/news.2007.276. Übersetzung: Sonja Hinte. © 2007, Macmillan Publishers Ltd

Ewen Callaway

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