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EEG für zu Hause. Das Headset der Firma NeuroSky (hier bei einer Messepräsentation in Taiwan) misst die Hirnstromwellen. Wenn der gewünschte Zustand erreicht ist, bekommt der Spieler eine Rückmeldung – zum Beispiel über ein grafisches Element auf dem Bildschirm.

© AFP

Neurofeedback für Zuhause: Umstrittenes Hirntraining

Neue Geräte sollen die Aufmerksamkeit steigern und das Kurzzeitgedächtnis auf Trab bringen. Aber die Heimtrainer für das Gehirn sind umstritten.

Das Spiel ist ganz einfach. Ein Fass soll allein durch die Kraft meiner Gedanken abbrennen. Gebannt schaue ich auf den Computerbildschirm vor mir, auf den Balken, der den Grad meiner Aufmerksamkeit anzeigt. Je besser ich mich konzentrieren kann, desto schneller geht es.

Nein, ich bin kein Jedi-Meister aus „Star Wars“. Meine Hirnwellen werden für das Spiel profan ausgelesen. Ich sitze auch nicht im Labor eines Forschers mit zahlreichen Elektroden am Kopf, sondern bequem zu Hause. Ausgerüstet bin ich lediglich mit dem Gerät MindWave der amerikanischen Firma NeuroSky. Das Headset besteht aus einem Kopfbügel, einem Ohrclip und einer EEG-Elektrode, die man auf der Stirn platziert. MindWave soll die Hirnwellen registrieren, die mit verschiedenen Bewusstseinszuständen einhergehen, schreibt der Hersteller. Auf dieser Grundlage bekomme ich eine grafische Rückmeldung. Neurofeedback heißt das in der Fachsprache.

Die Geräte sollen die Aufmerksamkeit steigern und das Kurzzeitgedächtnis trainieren

Die Rückmeldung soll dem Nutzer helfen, seine Hirnströme in die gewünschte Richtung zu lenken und damit aufmerksam zu werden oder sich zu beruhigen. Vom Schlaf über das Dösen bis hin zu geistiger Anspannung werden die Hirnwellen immer schneller. Thetawellen etwa, in einem Frequenzbereich von vier bis acht Hertz, gehen mit tiefer Entspannung und Tagträumen einher. Die schnelleren Betawellen hingegen, die von 13 bis 30 Schwingungen pro Sekunde reichen, zeugen von Aufmerksamkeit und Wachheit.

Wie ich meine Aufmerksamkeit steigere und damit das Fass auf dem Bildschirm schneller abbrennen lasse, bleibt mir überlassen. Ob meine Taktik aufgeht, sehe ich an dem Balken. Entstehen die „richtigen“ Hirnwellen, schneide ich besser beim Spiel ab. Man könne so gezielt seine Konzentrations-, Aufmerksamkeits- oder Entspannungsfähigkeit trainieren und bald erste mentale Erfolge verbuchen, heißt es auf der Website des Vertriebspartners von NeuroSky in Europa. Dabei ist das Gerät ausschließlich für Unterhaltung und Lifestyle gedacht – wie etliche andere, die seit einigen Jahren auf dem Markt sind. Das EEG-Headset der kanadischen Firma InteraXon verspricht beispielsweise, die mentale Fitness zu steigern und Stress zu reduzieren. Und die US-amerikanische Firma NeuroQuest preist Trainingsprogramme an, die angeblich Konzentration und Kurzzeitgedächtnis verbessern.

Es ist wohl zu früh, um die Technik auf dem Markt anzupreisen

Sind das alles nur vollmundige Versprechen? Es gibt Studien, die eine positive Wirkung nahelegen. Etwa die Untersuchung des Teams um Benedikt Zoefel von der Universität Magdeburg. 14 Probanden sollten ihre Alpha-Hirnwellen steigern, die sich im Bereich von 8 bis 13 Schwingungen pro Sekunde bewegen. Ihre Hirnmuster bekamen die Freiwilligen mit einem farblich unterschiedlich gestalteten Quadrat rückgemeldet. Nach dem einwöchigen täglichen Training konnten immerhin elf dieser Versuchspersonen im Vergleich zur Kontrollgruppe eine Aufgabe zur räumlichen Vorstellung besser lösen. Ähnlich wie bei dem Spiel Tetris mussten sie verschiedene Würfel im Geist drehen, um festzustellen, ob sie zu einem anderen Würfel passten. Je geübter sie waren, desto mehr erhöhte sich der Anteil von Alphawellen. Auch in anderen Studien brachte das Training verschiedener Hirnwellen wahlweise Gedächtnis, Aufmerksamkeit oder Kreativität auf Trab.

Allerdings ist die Zahl der Versuchspersonen in diesen Studien klein, das mindert ihre Aussagekraft. Hinzu kommen methodische Schwachstellen. Das heißt zwar nicht, dass Neurofeedback Unsinn ist. Bei Schlaf- und Angststörungen sowie bei ADHS erzielen Therapeuten damit durchaus Erfolge. Aber es ist wohl zu früh, die Technik auf dem Markt wie ein Fitnessstudio fürs Gehirn anzupreisen.

Schwache Stromstöße werden durch den Schädel geleitet

Ähnlich ist es mit der transkraniellen Gleichstromstimulation, bei der mithilfe von Elektroden schwache Stromstöße durch den Schädel geleitet werden. Stimuliert man Teile des Gehirns mit dem Pluspol, feuern die Neuronen eher. Eine negative Spannung mindert die Erregbarkeit der Nervenzellen. Solche Geräte kann sich jeder Bürger selbst basteln oder vorgefertigte Headsets kaufen. „Lass deine Neurone schneller feuern“, oder: „Erhöhe die Plastizität deines Gehirns“, werben die Hersteller. Auf Youtube berichten manche Nutzer enthusiastisch von ihren Selbstversuchen. Einige Olympiateilnehmer haben so angeblich während des Training ihren Motorkortex stimuliert, jenen Teil des Gehirns, der für Bewegung zuständig ist.

„Stimulierte Neurone feuern nicht stärker“, stellt der klinische Neurophysiologe Michael Nitsche von der Universitätsmedizin Göttingen klar. Man könne nur die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sie feuern. „Aber durch eine Stimulation von einigen Minuten lässt sich die Erregbarkeit der Großhirnrinde steigern, was eine Stunde oder länger anhalten kann.“ Man könne also durchaus die Plastizität des Gehirns beeinflussen.

Die Leistung kann auch schlechter werden

Das macht sich auch bei den mentalen Fähigkeiten bemerkbar. In einer Studie eines Teams um die Neurologin Janine Reis vom Uniklinikum Freiburg lernten Probanden Bewegungsabläufe besser, wenn man bei ihnen parallel die motorischen Areale ihres Gehirns stimulierte. Und reizten Forscher für eine Studie im Fachblatt „Current Biology“ die Grenze zwischen Schläfen- und Scheitellappen, konnten die Probanden daraufhin besser die Perspektive eines anderen Menschen einnehmen.

„Aber je nachdem, wie man stimuliert und um welche Aufgabe es geht, kann man sowohl Verbesserungen als auch Verschlechterungen erzielen“, sagt Nitsche. Die Idee der Lifestyle-Produkte sei aber, alle Nutzer gleich zu behandeln. Unabhängig von der konkreten Aufgabe. So pauschal könne man jedoch gar nicht sagen, wie die Wirkung ausfalle. In der Regel seien die Erfolge ohnehin bescheiden. Man kann im Labor beispielsweise bei motorischen Lernaufgaben seine Reaktionszeit von 50 bis 60 Millisekunden verkürzen. Außerdem müsse man das richtige Gehirnareal, mit der richtigen Dauer, Intensität und zum richtigen Zeitpunkt stimulieren.

Die kontrollierten Bedingungen im Labor lassen sich auf dem Wohnzimmersofa nicht nachstellen

Das kann schiefgehen, warnen die Neuroethiker Nicholas Fitz und Peter Reiner von der Universität von British Columbia im kanadischen Vancouver im Fachblatt „Journal of Medical Ethics“. Setzt ein Nutzer sein Hirn über einen längeren Zeitraum jeden Tag ein bis zwei Stunden unter Strom, könne das möglicherweise lang anhaltende Veränderungen im Gehirn hervorrufen, darunter unerwünschte. „Keiner weiß, was die Langzeitfolgen sind“, sagt auch Nitsche. Nebenwirkungen wie die Gefahr von Krampfanfällen könne man nicht ausschließen.

Selbst das Neurofeedback ist unter kontrollierten Bedingungen im Labor etwas ganz anderes als das Experiment auf dem Wohnzimmersofa. Der Sportpsychologe Michael Doppelmayr von der Universität Mainz hat zwar selbst noch keine Erfahrung mit den Heimgeräten gesammelt. Dennoch ist er skeptisch. „Die Wirksamkeit würde ich kritisch sehen“, sagt er. „Einerseits sollte die Beeinflussung von Gehirnaktivität Fachleuten vorbehalten sein. Und andererseits ist es für mich fragwürdig, was diese Geräte genau machen.“ Um korrekt mit Neurofeedback zu arbeiten, müssten unter anderem die Elektroden an bestimmten Punkten am Kopf angebracht werden und die anvisierten Hirnfrequenzen inhaltlich genau ausgesucht werden. „Ich wage zu bezweifeln, dass dies immer geschieht.“

Das Fass auf dem Bildschirm brennt schneller ab. Aber bin ich wirklich aufmerksamer?

Nicht alle Neurofeedbackgeräte für zu Hause seien gut, sagt auch der Mediziner Evgenij Coromaldi von der Universität Bremen. „MindWave scheint aber zuverlässige EEG-Daten zu liefern.“ Es gebe ein paar Forschungsergebnisse mit diesem und einem ähnlichen Gerät der Firma. „Ob sich damit tatsächlich kognitive Leistungen verbessern lassen, kann man aber nur nach systematischen wissenschaftlichen Studien sagen. Und die gibt es meines Wissens nicht.“

Bei mir funktioniert das Spiel am besten, wenn ich mich auf eine Sache konzentriere, beispielsweise auf meinen Aufmerksamkeitswert auf dem Bildschirm. Nach einigen Trainingseinheiten kann ich mit meiner Strategie das Fass auf dem Bildschirm tatsächlich rascher abbrennen lassen. Ob das meine Aufmerksamkeit verbessert? Ich kann es schlicht nicht beurteilen.

Christian Wolf

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