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Fettschwanzmaki

© dpa

Winterschlaf: Nichtstun als Verjüngungskur

Forscher enträtseln den Winterschlaf. Fettpolster schmelzen, die Lebenserwartung steigt. Dies könnte auch der Medizin nützen.

Schmuddeliges Wetter, trübe Tage und feuchtkalte Witterung – da sehnt sich mancher nach einem langen Winterschlaf, wie ihn Igel, Hamster oder Murmeltiere pflegen. Einfach die grauen Tage verschlafen und im sonnigen Frühling wieder aufwachen. Doch der menschliche Organismus lässt sich nicht monatelang auf Sparflamme schalten. Dabei bietet der Winterschlaf durchaus Vorteile. Das monatelange Abtauchen ins Nichtstun kann wie eine Verjüngungskur wirken und die Lebenserwartung erhöhen – zumindest bei Spitzmäusen.

Beispielsweise bei der Weißzahnspitzmaus, die viel Zeit im Dämmerschlaf verbringt und vier bis sechs Jahre alt wird. Die mit ihr eng verwandte Rotzahnspitzmaus hingegen, die rastlos aktiv ist, lebt nur zwei bis drei Jahre.

Kann man daraus schließen, dass Menschen langsamer altern würden, wenn man sie von Zeit zu Zeit in künstlichen Winterschlaf versetzen könnte? Das ist bisher zwar Zukunftsmusik. Aber immerhin ist einem Team um Cheng Chi Lee (Universität von Texas in Houston) vor kurzem ein Durchbruch gelungen. Die Forscher injizierten einer Mäuseart, die von Natur aus keinen Winterschlaf hält, hohe Dosen der Substanz 5-Adenosin-Monophosphat (5-AMP) und verwandelten sie so in Winterschläfer. Denn 5-AMP steuert Gene, die bei der Fettverbrennung eine Rolle spielen. Im Winterschlaf drosseln Tiere ihren Stoffwechsel und schalten auf Fettverbrennung um.

Lee hat den Wirkstoff mittlerweile zum Patent angemeldet. Die Substanz könnte bei extrem übergewichtigen Menschen eingesetzt werden. Ihre Fettdepots sollen im Schlaf verbrennen, wie es bei Bären oder Murmeltieren passiert. Während des Winterschlafs schrauben die Tiere den Stoffwechsel herunter, so dass sie mit wenig Energie auskommen.

Dass das den Murmeltieren immer noch nicht ausreicht, hat unlängst der Wiener Biologe Thomas Ruf herausgefunden. Um noch mehr Energie einzusparen, schrecken die Murmeltiere nicht davor zurück, ihre Leber und ihre Nieren um rund 30 Prozent und ihren Magen-Darm-Trakt sogar um 50 Prozent schrumpfen zu lassen. In einen winterschlafähnlichen Zustand fallen auch Kolibris und einige andere Vogelarten. Auch Reptilien und Amphibien sowie andere wechselwarme Tiere können Monate im Zustand der Kältestarre verbringen.

Die Hamburger Zoologin Kathrin H. Dausmann entdeckte sogar einen Primaten, der nicht weniger als sieben Monate winterschlafend verbringt – und das bei tropischen Temperaturen von über 30 Grad Celsius.Hierbei handelt es sich um den Fettschwanzmaki, einen auf Madagaskar ansässigen Halbaffen. Dieses etwa 15 Zentimeter lange und 130 Gramm schwere Tier, das wie ein Eichhörnchen aussieht, ist auf nachtaktives Leben spezialisiert. Auf Madagaskar mangelt es während der kühleren Trockenzeit an Wasser und Nahrung. Die Fettschwanzmakis fressen sich deshalb dicke Fettpolster an, verkriechen sich in einer Baumhöhle und schalten ihren Stoffwechsel auf Sparflamme.

Wie schaffen es eigentlich Hirsche und Rehe, die strengen Winter im Hochgebirge zu überstehen? Auch sie halten eine Art Winterschlaf – allerdings immer nur nachts und immer nur einige Stunden täglich. Dabei sinkt die Körpertemperatur um fast 20 Grad Celsius, und das Herz schlägt statt 80 nur noch 40 Mal in der Minute. In dieser Zeit bewegen sie sich allenfalls im Zeitlupentempo vorwärts oder verharren reglos im Dickicht. Durch den stundenweisen Winterschlaf sparen die Hirsche und Rehe jede Menge Energie.

Der Wiener Biologe Walter Arnold vermutet, dass jedes Säugetier der gemäßigten Breiten das Talent zum Winterschlaf mitbringt – sogar der Mensch. „Es gibt Hinweise, dass wir das auch können, oder zumindest einmal konnten, nämlich als Säuglinge. Wir wissen, dass kleine Kinder extreme Kälteschocks viel eher überleben als Erwachsene.“

Der Winterschlaf kann allerdings auch negative Auswirkungen haben. Die Wiener Biologin Eva Millesi fand heraus, dass Ziesel nach dem Aufwachen aus dem Winterschlaf Aufgaben nicht mehr lösen können, mit denen sie vorher spielend zurechtgekommen waren. Solche Ausfallerscheinungen sind wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass das Gehirn in den Phasen des Dauerschlafs einrostet und neuronale Verbindungen einbüßt. Diese Verluste sind für die Ziesel aber nicht weiter tragisch, denn nach einer gewissen Zeit hat sich ihr Gehirn fast vollständig regeneriert. Offenbar müssen sie sich im Sommer die Fähigkeiten neu aneignen, die sie in den Wintermonaten verlernt haben.

Die Forscherin entdeckte auch, dass die Ziesel während des Winterschlafs periodisch Pausen einlegen, um eines nachzuholen – gewöhnlichen Schlaf. Millesi vermutet, dass die Wachphasen hauptsächlich dazu dienen, das Gehirn vor gravierenden Schäden zu bewahren.

Der Leipziger Neurologe Thomas Arendt ist der Frage nachgegangen, was der Winterschlaf im Gehirn von Eichhörnchen anrichtet. Dabei zeigte sich, dass es zu Veränderungen kommt, wie sie typischerweise bei Alzheimer-Patienten auftreten. Diese Veränderungen betreffen vor allem das Tau-Protein, das für den Stofftransport zwischen den Nervenzellen zuständig ist. Im Tau-Protein reichern sich Phosphatreste an. Dadurch werden höhere Gehirnfunktionen erheblich beeinträchtigt oder völlig lahmgelegt. Doch so viel sich auch im Gehirn der Eichhörnchen verändert hat – schon wenige Tage nach Ende des Winterschlafs hat es sich vollständig regeneriert.

Das passiert bei Alzheimerpatienten leider nicht. Arendt glaubt deshalb, dass man es bei der Demenzerkrankung mit einer Fehlsteuerung zu tun hat. Fehlgesteuert wird dabei ein Mechanismus, den die Evolution hervorgebracht hat, um das Gehirn vor irreversiblen Schäden zu bewahren.

Arendt untersucht gegenwärtig, wie sich dieser Mechanismus bei Bären auswirkt. „Zwischen dem Gehirn von Bären und Menschen,“ erklärt er, „gibt es einige Übereinstimmungen. Wenn sich das Ergebnis erhärtet, bedeutet das einen gänzlich neuen Ansatz bei der Suche nach einer Therapie von Alzheimer.“

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