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Stefan Hell an dem von ihm entwickelten STED-Mikroskop kurz nach Bekanntgabe des Nobelpreises.

© dpa

Nobelpreis für Chemie: „Ausdauer, Kraft, Kreativität“

Bloß keinen Mainstream: Im Interview berichtet der neue Chemie-Nobelpreisträger Stefan Hell über seinen langen Weg zum Durchbruch

Am Anfang eine Frage, die vermutlich den meisten auf der Zunge liegt: Wie fühlt er sich an, der Nobelpreis?

Das ist schon eine tolle Sache, wenn die Arbeit, die man über Jahre gemacht hat, mit so einer Auszeichnung gekrönt wird. Und es zeigt halt: Man kann etwas bewegen mit einer originellen Idee, als Forscher. Wer die Mühe auf sich nimmt, Kritiker einzubeziehen und ihre Kritik am Ende entkräften kann, der wird belohnt.

Das klingt, als hätten Sie es nicht leicht gehabt. Man könne einfach keine Objekte kleiner als 200 Nanometer mit einem Mikroskop sichtbar machen, sagte schon Ernst Abbe. „Physikalisch undenkbar“, war die gängige Lehrmeinung.

Es gibt gute Gründe, die für Abbes Theorie sprechen. In Lichtmikroskopen trennt man Objekte, indem man Licht auf bestimmte Weise bündelt. Diese Methode hat in der Tat Grenzen. Ich habe erkannt, dass man diese Trennung ganz anders machen muss – es funktioniert über ihren Molekülzustand. Deshalb passt meine Arbeit übrigens auch in die Kategorie Chemie.

Sie sind bekannt dafür, sich von der Meinung anderer nicht beirren zu lassen. Sie akzeptieren Regeln nicht einfach so, hinterfragen viel. Macht sich das in Ihrem Leben auch außerhalb der Arbeit bemerkbar?

Sie meinen, ob ich Gesetze breche? (lacht) Aufgrund meines Naturells habe ich jedenfalls eine natürliche Skepsis Allgemeinplätzen gegenüber. Wenn alle dasselbe denken, werde ich misstrauisch. Es gibt Meinungen, die werden dauernd wiederholt, aber nie wirklich belegt.

Wie im Fall der Nanomikroskopie?

Da hat die Schönheit der gängigen Theorie die Forschung behindert. Sie war so schlüssig und klar, da hat keiner mehr gesagt: Das schaue ich mir noch mal an.

Warum Sie?

Ich war überzeugt: Es muss irgendeinen anderen Weg geben. Da geht noch was. Das war so ein Bauchgefühl. Ich habe meine Idee dann durchgezogen. Aber die Leute wollten es zuerst nicht wahrhaben.

Sie sind auf Widerstände gestoßen?

Ja, durchaus. Als ich mit Ende 20 in die Wissenschaft gegangen bin, dachte ich noch ganz naiv: Wenn man eine gute Idee hat, einen kreativen Ansatz, ein wirklich wichtiges Problem der Physik zu lösen, kommt das auch an. Aber das war nicht so.

Wie haben Sie es geschafft durchzuhalten?

Man braucht Ausdauer, Kraft, Kreativität, aber auch einen gesunden Blick für die Realität. Mit dieser Mischung habe ich zum Glück meist richtig gelegen.

Als Nobelpreisträger wird sich Ihr Leben jetzt vermutlich ändern.

Ich hoffe nicht. Ich bin sehr glücklich so und möchte meine Arbeit weitermachen. Aber weil ich selbst so eine schwierige Laufbahn hatte, liegt es mir sehr am Herzen, junge Talente zu unterstützen – nicht erst jetzt durch den Nobelpreis. Ich habe damit schon angefangen.

Was brauchen junge Forscher Ihrer Meinung nach am dringendsten?

Wenn jemand einen tollen Ansatz hat, ein wichtiges Problem zu lösen; eine Idee zu etwas, was die Menschheit wirklich weiterbringen würde, dann braucht er Freiraum. Man muss Räume schaffen, in denen jemand seiner Idee frei nachgehen kann, ohne Angst, kein Geld zu haben, sozial abzustürzen. Ich selbst habe mich fünf Jahre lang von Stipendium zu Stipendium gehangelt, wusste nie, ob und wie ich im nächsten Jahr weitermachen kann. Die Stipendien sind gut und wichtig, aber das reicht nicht. Zu viel Absicherung ist auch nicht gut, das kann dazu führen, dass der Eifer nachlässt. Risiko gehört dazu. Aber man braucht wenigstens ein paar Jahre die Freiheit dranzubleiben, auch wenn es mal Rückschläge gibt.

Was würden Sie Forscherinnen und Forschern raten, die jetzt am Anfang ihrer Laufbahn stehen?

Auf jeden Fall weniger Wissenschaft machen, die nur im Mainstream schwimmt und am Ende nichts bringt!

- Die Fragen stellte Dagny Lüdemann. Sie leitet das Ressort Wissenschaft bei „Zeit Online“.

Dagny Lüdemann

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