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Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von Krebszellen. In ihnen hat die Erbgut-Korrektur versagt.

© mauritius images/Science Photo Library

Nobelpreis für Chemie: Das Korrekturprogramm des Erbguts

Kampf der Mutation: Die Preisträger fanden heraus, wie die Zelle bei "Schreibfehlern" den Text der DNS ausbessert und sich so vor Chaos und Krankheit schützt.

Eigentlich schien 2015 ein anderes Forschungsgebiet prädestiniert zu sein, mit einem Chemie-Nobelpreis geehrt zu werden. Die Rede ist von „Crispr“ (sprich: „Krisper“), einem Verfahren, um Gene gezielt zu entfernen oder einzufügen. Aber das Nobelpreis-Komitee traf einen weisen Entschluss: Es zeichnete Wissenschaftler aus, die die Fähigkeit lebender Organismen ergründet haben, ihre Erbsubstanz zu reparieren. Auch dabei geht es um das Austauschen von Erbinformation, aber in einem umfassenden Sinn. „Crispr“-Forscher können weiter hoffen.

Freuen dürfen sich dieses Jahr Tomas Lindahl (Francis-Crick-Institut in Hertfordshire, Großbritannien), Paul Modrich (Duke-Universität in Durham, USA) und Aziz Sancar (University von North Carolina, Chapel Hill, USA). Jeder hat einen grundlegenden Mechanismus gefunden, mit dem schadhafte Erbsubstanz entfernt wird.

Die DNS teilt sich billionenfach

Gespeichert ist die fadenförmige Erbsubstanz DNS in den Chromosomen, von denen eine Körperzelle 46 enthält. Legt man alle Erbfäden einer befruchteten menschlichen Eizelle aneinander, kommt man auf zwei Meter DNS. Bei jeder Zellteilung werden diese zwei Meter akribisch kopiert, insgesamt drei Milliarden biochemische „Buchstaben“. Ein Erwachsener besitzt an die 37 Billionen Zellen, rechnet die Schwedische Akademie der Wissenschaften in ihrer Information zum Chemie-Nobelpreis vor. Das entspricht einer Länge von rund 70 Billionen Metern DNS, oder 70 Milliarden Kilometern – etwa 250mal die Strecke von der Erde zur Sonne und zurück.

Diese gewaltigen Zahlen verdeutlichen, welche Präzision beim Kopieren der DNS am Werk sein muss. Denn jede unserer Körperzellen ähnelt genetisch gesehen immer noch weitgehend der befruchteten Eizelle, aus der sie einst entstanden ist. Früher nahmen die Chemiker an, dass die Erbsubstanz DNS ein extrem robustes Molekül ist, durch Einflüsse von außen nur wenig veränderbar. Das würde die Kopierleistung nicht schmälern, aber verständlicher machen.

Das Erbmolekül neigt zum Zerfall

Einer von denen, die diesen Glauben erschütterten, war der Preisträger Tomas Lindahl. Mit einer Reihe von Experimenten gegen Ende der 1960er Jahre konnte er belegen, dass das strickleiterförmige Doppelstrangmolekül DNS alles andere als ehern ist und von Natur aus zum Zerfall neigt. In der freien Wildbahn ist es seit Milliarden von Jahren zudem heftigen Attacken ausgesetzt. Stress von Anfang an! Der Sauerstoff der Erdatmosphäre setzt ihm ebenso zu wie die ultraviolette Strahlung der Sonne, ionisierende („radioaktive“) Strahlen, Gifte, Viren und die im ganz normalen Zellstoffwechsel entstehenden aggressiven Sauerstoffverbindungen („freie Radikale“).

Dass sich das Erbgut nicht zersetzt, verdankt es Schwärmen von molekularen Reparaturtrupps in Form von Enzymen. Unablässig kontrollieren sie die Erbinformation und bessern schadhafte Stellen aus. Gäbe es dieses mächtige Korrekturprogramm nicht, wäre aus dem im Genom gespeicherten Bauplan des Menschen längst eine unlesbare Kritzelei geworden.

Lindahl, Modrich und Sancar haben jeder für sich wesentliche Teile des DNS-Instandsetzungsprogramms entdeckt. Wie wichtig es ist, zeigt sich darin, dass die grundsätzlichen Elemente dieses Werkzeugkastens praktisch in allen Lebewesen zu finden sind. Je komplexer Organismen sind, desto komplexer werden allerdings auch die Reparatursysteme.

Tomas Lindahl war aufgefallen, dass unter natürlichen Bedingungen in der DNS häufig der biochemische „Buchstabe“ Cytosin zu Uracil zerfiel. Der Buchstabe „C“ wurde also durch „U“ im genetischen Code ersetzt, eine potenziell folgenschwere Veränderung.

Lindahl kam auf die Idee, dass die Zelle solche zufälligen Zerfallsprozesse verhindern müsste, und er sollte Recht behalten. 1974 fand er in Coli-Bakterien das erste Reparaturenzym, ein Eiweiß (Protein) namens Glycosidase. Weitere sollten folgen. Der Wissenschaftler hatte das Basenaustausch-Reparaturprogramm der Zelle entdeckt, das „falsche“ Basen (wie Uracil statt Cytosin) entfernt.

Ein Programm entfernt beschädigte DNS-Bausteine

Ebenfalls mit Bakterien beschäftigte sich Aziz Sancar. Er studierte Schäden an einzelnen Bausteinen des Erbguts, den Nukleotiden, wie sie durch ultraviolette Strahlen oder durch Zigarettenrauch ausgelöst werden. 1983 veröffentlichte er seine Ergebnisse zum Nukleotid-Reparaturprogramm (siehe Grafik). Es entfernt ein zwölf Nukleotide umfassendes Segment rund um ein „beschädigtes“, also chemisch verändertes Nukleotid und ersetzt es durch einen intakten Teilstrang.

Sind bestimmte Erbanlagen für das Nukleotid-Reparaturprogramm verändert, kann es genetischen Störungen kommen. Zu diesen gehört die Hautkrankheit Xeroderma pigmentosum. Die Betroffenen reagieren empfindlich auf UV-Strahlung der Sonne und haben ein hohes Risiko für Hautkrebs. Die Ursache der Tumoren sind schwere UV-bedingte genetische Veränderungen, die durch intakte Reparaturenzyme verhindert worden wären.

Bei jeder Zellteilung werden Tausende "Fehlpaarungen" ausgetauscht

Mit einem weiteren Werkzeug aus der genetischen Reparaturkiste arbeitete Paul Modrich. Gemeinsam mit Matthew Metelson von der Harvard-Universität erforschte er Bakterien, die imstande waren, falsche DNS-Paare auf dem Doppelstrang – also zum Beispiel A gepaart mit C statt mit T – zu entfernen. Solche Fehlpaarungen entstehen beim Kopieren des Erbguts, in Bakterien wie in anderen Lebewesen. Baustein für Baustein, Enzym für Enzym rekonstruierte Modrich das DNS-Fehlpaarungs(„mismatch“)-Reparaturprogramm der Zelle. 1989 war es geschafft. Das Programm erkennt anhand von biochemischen Markierungen am Erbgut den „falschen“ Partner und entfernt ihn mitsamt einem Abschnitt des DNS-Teilstrangs. Bei jeder menschlichen Zellteilung müssen Tausende solcher Fehlpaarungen entfernt werden.

Ein Ansatz der Krebstherapie besteht darin, das Reparatursystem der Tumorzellen zu beschädigen und sie so zum Absterben zu bringen. Der Krebs würde so mit seinen eigenen Waffen geschlagen, denn zerstörerisches Zellwachstum beruht häufig darauf, dass eines oder mehrere der DNS-Reparaturysteme ausgefallen sind. „Das ist der Grund, weshalb Forschung aus purer Neugier so wichtig ist“, sagt Paul Modrich. „Du weißt nie, wohin sie dich führt.“

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