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Nur direkter Kontakt ermöglicht ein Gutachten, sagen Kritiker.

© FU Berlin/Ausserhofer

Online-Gutachten: Empfehlungen aus der Retorte

Deutsche Professoren stöhnen unter der Verwaltungslast. Hilfe verspricht jetzt eine neue Software, jedenfalls wenn es um die zeitraubenden Empfehlungsschreiben für Studierende geht.

Mit zwei Handgriffen ist die Sache erledigt: Ausdrucken, unterschreiben, fertig ist das Empfehlungsschreiben. Seit gut einem Jahr nutzen Professoren der Universität Frankfurt/Main die Software schon. Jetzt soll sie Hochschulen deutschlandweit angeboten werden.

Früher dauerte jedes Gutachten zwei bis drei Wochen, heute geht das an einem Tag, berichtet der Entwickler Markus Koetzle, 23, ehemaliger Student der Betriebswirtschaft, Schwerpunkt Management. Ansonsten will sich der junge Entwickler nicht zu seinem System äußern, seine Aussagen dem Tagesspiegel gegenüber zog er zurück.

Warum Koetzle vorsichtig ist, erklärt sich bei näherer Beschreibung seines Systems, dessen offizielle Präsentation dem Tagesspiegel vorliegt. Online füllen die Studenten ein kurzes Formular aus, geben persönliche Daten, Noten und Leistungsnachweise ihrer Kurse an. Mit wenigen Klicks können bei mehreren Professoren gleichzeitig Gutachten beantragt werden. Die Sekretärin des jeweiligen Professors prüft die Angaben, klickt auf „Empfehlung schreiben“ und lässt das System damit automatisch ein Empfehlungsschreiben verfassen.

Je nach Note werden unterschiedliche Grade von Empfehlungen, also verschiedene Formulierungen, verwendet. Heraus kommt ein ein- bis zweiseitiger Text, der den Antragsteller bei den richtigen Noten in den höchsten Tönen lobt und wärmstens für die angestrebte Aufgabe empfiehlt: „Herr K. ist kooperativ und teamfähig. Die ihm gestellten Aufgaben erledigt er stets zuverlässig und mit größter Sorgfalt. Er besitzt einen klaren analytischen Verstand, mit dem er rasch und selbstständig Sachverhalte und Problemstellungen erfasst“, heißt es etwa in einem Mustergutachten, das Koetzle zur Verfügung stellt.

Zum Schluss muss das Schreiben nur noch ausgedruckt und dem Professor zur Unterschrift vorgelegt werden, dann ist es für den Studenten abholbereit.

Die einzige Universität, der Koetzle sein System bislang angeboten hat, ist die Freie Universität Berlin (FU). Ioana Minculescu, Sprecherin des Lehrstuhls Marketing und Department der FU, hält jedoch nicht viel von der Frankfurter Innovation. „Wir werden dieses System natürlich nicht kaufen“, sagt sie. Bei Empfehlungsschreiben komme es auf den persönlichen Kontakt an, ein automatisiertes Verfahren helfe da nicht weiter. „Bei uns sind nicht nur Noten wichtig, sondern auch soziales Engagement und die persönliche Einschätzung des Gutachters spielen eine Rolle.“ In den meisten Fällen seien bewusst nur Professoren als Gutachter zugelassen, weil man bei diesen eine gewisse Menschenkenntnis und Lebenserfahrung voraussetze. Genau das könne ein System unmöglich leisten.

Sebastian Kempkens

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