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Fernbedienung. Der Operateur arbeitet an einer Konsole, die ihm ein 3-D-Bild des Operationsfeldes zeigt. Seine Aktionen werden – ohne Zittern – zu den Geräten auf dem OP-Tisch übertragen, um den Eingriff präzise auszuführen.

© dpa

OP-Roboter: Assistent mit vielen Armen

Ein OP-Roboter an der Charité in Berlin erlaubt präzisere Eingriffe, etwa bei Prostatapatienten. Doch die Bilanz für die Technik fällt nicht in jedem Fall gut aus.

Die Bezeichnung „Roboter“ behagt Jens Rückert eigentlich gar nicht. Er würde lieber von einem telematischen System sprechen. „Es führt schließlich nur das aus, was die Hände des Chirurgen ihm befehlen“, sagt der leitende Mediziner der Berliner Charité. Trotz des missverständlichen Namens ist er sichtlich stolz auf den neuen OP-Roboter, der jetzt im Operationssaal 3 der Urologie auf dem Campus Mitte steht. Es sei ein Gerät der neuesten Generation, das einzige in Berlin und Brandenburg. Das 1,5 Millionen Euro teure System soll von Operateuren mehrerer Fachgebiete genutzt werden. „Ein kleines Schmuckstück“, so nennt es Ulrich Frei, Ärztlicher Direktor der Charité, „eine Hilfe für den begabten Chirurgen, um noch besser zu operieren“.

Das System ist nicht zu verwechseln mit dem Robotik-Operationssaal, der Ende vergangenen Jahres auf dem Campus Virchow eingeweiht wurde und der Eingriffe unter Einsatz moderner Bildgebung ermöglicht. Der Da-Vinci-Roboter, der jetzt der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, hilft beim Operieren in minimal-invasiver „Schlüsselloch“-Technik.

Der Hightech-Assistent besteht einerseits aus einer Computerkonsole, an der der Chirurg an den Schalthebeln sitzt, und andererseits aus mehreren „Roboterarmen“ – oder Trokare, wie Mediziner dazu sagen. Das sind Röhren mit auswechselbaren Instrumenten und Kameras, die sich am OP-Tisch befinden und – in einigem Abstand zum Arzt am Rechner – im Körper des Patienten ihre Arbeit verrichten. Sie tun das präziser, als es selbst die Hand des ruhigsten Operateurs vermöchte, weil ein Computer unbeabsichtigte Bewegungen des menschlichen Operateurs „herausrechnet“ und so den Effekt des Zitterns minimiert.

Zugleich verfügen die Spitzen der Instrumente über mehr Neigungsmöglichkeiten, als sie die menschliche Hand hat. Trotzdem haben sie nur dienende Funktion, sind Vermittler und stehen unter menschlicher Herrschaft. Der Roboter ist kein Zauberlehrling, der sich plötzlich selbstständig machen würde. „Voraussetzung ist zudem, dass ihn gut ausgebildete Operateure bedienen, die bei Bedarf zusammen mit ihrem Team jederzeit auf die klassische Methode umsteigen könnten“, sagt Rückert, der den Bereich Thoraxchirurgie an der Klinik für Allgemein-, Visceral-, Gefäß- und Thoraxchirurgie der Charité leitet.

Weltweit mehr als 10000 Lungenoperationen

Das Vorgängermodell der Neuanschaffung war bereits zwölf Jahre alt. Mit seiner Hilfe wurden allein im Bereich hinter dem Brustbein zwischen Schilddrüse und Zwerchfell an der Charité in den letzten Jahren 500 Patienten operiert. Das ist weltweit die größte Serie an Eingriffen in anatomisch engen Bereichen des Brustkorbs, bei denen zum Beispiel die Thymusdrüse, Tumoren der Lunge oder der Nebenschilddrüsen entfernt werden. Als es an der Charité in Betrieb genommen wurde, war das 1999 von der Firma „Intuitive Surgery“ auf den Markt gebrachte System noch ganz neu. Eine Übersichtsarbeit von Rückert und Kollegen, die im August vorigen Jahres in der Fachzeitschrift „Der Chirurg“ veröffentlicht wurde, zeigt, dass bis zum Jahr 2012 Da Vinci weltweit allein an der Lunge mehr als 10 000 Mal zum Einsatz kam. Bei den (selteneren) Operationen der Thymusdrüse waren es rund 3500 Eingriffe.

Operationsfeld. Die "Roboterarme" mit den Instrumenten werden von Ferne gesteuert.
Operationsfeld. Die "Roboterarme" mit den Instrumenten werden von Ferne gesteuert.

© dpa

Rückert zeigte in einer eigenen Studie, dass die Erfolge besser sind als bei der konventionellen Schlüsselloch-Operation, die Einschränkungen bei Sicht und Instrumenten mit sich bringt. Mit dem neuen System, das 3-D-Sicht, drei Instrumentenarme und viele Andockmöglichkeiten für neue Geräte bietet, die sein Vorgänger noch nicht hatte, könnten sich die Ergebnisse nochmals verbessern, hofft der Mediziner.

Präzision beim Eingriff soll Harninkontinenz vorbeugen

Das häufigste Einsatzgebiet ist allerdings die Urologie, und hier vor allem die Entfernung der Prostata wegen eines Tumors. „Extremes Zukunftspotenzial“ attestiert Kurt Miller, Direktor der Klinik für Urologie der Charité, dem System. „Mit dem Roboter können wir die Prostata minimal-invasiv und gleichzeitig besonders präzise entfernen“, sagt der Krebsspezialist. Genauigkeit, die sich für zwei Körperfunktionen auszahlt, um die die Operierten besonders bangen: Erektionsfähigkeit und Harnkontinenz. Denn die feinen Nervenbündel auf der Prostatakapsel und der Harnröhrenschließmuskel sind bei dem neuen System besser im Bild als beim konventionellen minimal-invasiven Verfahren. Und sie können geschont werden, ohne dass dafür ein großer Schnitt nötig wäre wie bei der offenen Operation. Allerdings kommt das Verfahren nicht für alle Patienten infrage, wie der Charité-Urologe Ahmed Magheli, bei der Vorstellung erklärte.

Und es ist teuer. In den USA, wo Da Vinci im letzten Jahrzehnt weit häufiger zum Einsatz kam als überall sonst in der Welt, hat das der Gynäkologe Jason Wright von der Columbia Universität New York am Beispiel einer häufigen Operation aus seinem Fachgebiet gezeigt. Für eine im Fachblatt „Jama“ veröffentlichte Studie wertete er Daten von mehr als 250 000 Gebärmutter-Entfernungen aus. Er verglich zwischen offener Operation, konventioneller minimal-invasiver Verfahrensweise und Eingriffen mit Da Vinci – deren Anteil zwischen 2007 und 2010 von unter einem Prozent auf fast zehn Prozent gestiegen war. Wrights etwas ernüchterndes Ergebnis: Die Komplikationsrate nahm mit Da Vinci nicht ab, dafür nahm der Preis aber deutlich zu. Jeder Eingriff mit dem telematischen System kostete 2189 Dollar mehr. An den Kosten könnte sich allerdings in den nächsten Jahren durchaus etwas ändern, zumal die Monopolstellung der Herstellerfirma in den nächsten Jahren auslaufen wird.

Eine zweite Konsole ermöglicht es Chirurgen, zu trainieren

Umso wichtiger wird es werden, die Arbeit mit dem vielarmigen Assistenten vernünftig in die Ausbildung des chirurgischen Nachwuchses zu integrieren. Rückert freut sich deshalb über eine weitere Funktion des neuen Systems. Es bietet die Möglichkeit, eine zweite Konsole dazuzustellen, als Simulator zum Lernen. „Ärzte, die die neue Technik noch nicht beherrschen, können zunächst passiv mitwirken und später dann aktiv übernehmen“, sagt Rückert. Selbstverständlich müssen sie auch weiterhin lernen, ohne Da Vincis Hilfe zu operieren.

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