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Nicht nur grimmig, auch schrill. Die Musical-Studentinnen Katharina Beatrice Hierl als Gisela Geiß und Sophie Euskirchen als Oma Eule in GRIMM, einem märchenhaften Musical, das tierischen Spaß macht.

© Matthias Heyde

Oper für alle: Rotkäppchen hat selber Biss

Turbulent und schülertauglich: Das Musical GRIMM ist die 15. erfolgreiche Kooperation von Neuköllner Oper und UdK Berlin.

Stell dir vor, es gibt eine Oper und ganze Schulklassen gehen begeistert hin! Unglaublich und doch wahr und geschehen am „vierten Opernhaus Berlins“: der Neuköllner Oper. Im Musical GRIMM, dessen Vorstellungen fast alle komplett ausverkauft waren, saßen nicht nur, aber auch viele Schülerinnen und Schüler, die die Grimmschen Märchen sicher vor Jahren das letzte Mal gelesen haben. Aber sie verfolgten mit Höchstspannung, wie Rotkäppchen verbotenerweise vom DORF – so steht es buchstäblich auf der Bühne – in den WALD geht und sich über kurz oder lang mit Grimm, dem wilden Wolf anfreundet. Verkehrte Märchenwelt? Aber ja!

Erzählt, gesungen und getanzt wird die „wahre Geschichte“ um die mutige Dorothea mit dem roten Käppchen, die schwäbische Geiß und ihre Kinder, die drei Schweinchen, deren Coming-out und Sultan, den Dorfbürgermeister, von UdK-Studierenden (Musical/Show) in Begleitung einer agilen siebenköpfigen Musik-Combo unter der Leitung von Hans-Peter Kirchberg. Wohnt etwa wegen Sultans Affären Oma Eule, die gute Seele, im dunklen Wald, bei ihren Schützlingen, dem Wolf und einer jungen Wildsau? Und warum ist es den Dorfbewohnern verboten, in den Wald zu gehen? Gesellschaftsrelevante Fragen um Tabus, Vorurteile, dunkle Machenschaften und Toleranz werden in GRIMM spielerisch und voller Elan verhandelt. Auch das junge Publikum ist ganz Aug und Ohr, ohne gegenseitige Ablenkung, wie man es sonst aus Schülerveranstaltungen kennt.

„Tiefe in das leichte Genre Musical bringen, aufzuklären statt einzulullen durch Lachen – Weinen – Denken“, ist erklärtes Ziel von UdK–Professor Peter Lund. Er ist der Texter und Regisseur von GRIMM und vielen weiteren erfolgreichen Produktionen in Neukölln, wo er von 1996 bis 2004 im Operndirektorium saß und nun zum 15. Mal in Kooperation mit der UdK wirkte. Aber nicht nur das Publikum begeistert er. Lund ist leidenschaftlicher Lehrer, seit zwölf Jahren mit Professorenstatus an der UdK, für szenisch-musikalische Arbeit. Jeweils in ihrem dritten oder vierten Studienjahr ermöglicht er seinen Studierenden, die wirkliche Welt von Oper und Show kennenzulernen – in der beliebte Stücke 20 Mal und öfter hintereinander aufgeführt werden. Nicht jede und jeder wird das ein Leben lang durchhalten, manch einer zieht viele einmalige Vorstellungen vor. Lund schreibt den Darstellerinnen und Darstellern nach intensiver Auseinandersetzung mit dem Stoff und mehreren Improvisationen die Rollen auf den Leib: „So erfahren sie, wie perfekt ein Stück laufen kann. Nach diesem Gefühl können sie ihr weiteres Bühnenleben streben, wenn sie festgeschriebene Rollen übernehmen.“

Studium ganz praxisnah

Helena Blöcker, die 2005/06 in der Zaufke-Lund-Produktion „Erwin Kannes – Trost der Frauen" auf der Bühne stand, schwärmt noch heute davon: „Das ist das Beste, was einem passieren kann, wir konnten uns auf der Bühne ganz frei entfalten. Vieles ist so später nicht mehr möglich. Peter war Regisseur und Freund der Studis zugleich. Dieses Musical war ein Riesengeschenk für mich!“ Heute spielt sie in großen Produktionen von Stage Entertainment, wie „Mamma Mia!“, denn Blöcker hat den langen Atem für die vielen Wiederholungen, das weiß sie seitdem.

Die Musik zu Lunds Texten, die ja ebenso wichtig für den Erfolg der Musicals ist, schreiben seit zehn Jahren Wolfgang Böhmer, der vom Rock herkommt, oder Thomas Zaufke, der herrliche Balladen und Duette schreibt, die das Publikum liebt. Und so singen in GRIMM das verliebte Dorfschweinchen und die Wildsau „Wir haben Schwein gehabt!“ Hans-Peter Kirchberg, Musikalischer Direktor an der Neuköllner Oper, und seine Musikerkollegen setzen die Musik mit den Studierenden um. Kirchberg zeigt ihnen gleichzeitig das Zusammenspiel zwischen Dirigent und Sängern: „Meist orientieren sich die Musiker an meinen Handzeichen. Aber in den anderen Situationen gilt: Erst wenn die Sänger deutlich vor ihrem Einsatz einatmen, kann ich den Instrumentalisten ihren Einsatz geben.“

Die Studierenden lernen die Probenabläufe kennen und erfahren, dass „ab der Bühnenorchesterprobe nicht mehr Peter Lund, sondern der Dirigent das Sagen hat“, wie Kirchberg erklärt. Dabei leuchten seine Augen, denn er ist mit Freude Musikerzieher dieser „tollen jungen Sänger und Tänzer“. Der GRIMM-Jahrgang hat es ihm besonders angetan, denn „sie singen und tanzen sehr gut, spielen professionell, mit Energie und Disziplin, sind umsichtig, immer offen, kritikfähig und freundlich.“

In anderen Jahren hat es hinter der Bühne auch schon mal gekracht, aber diese Erfahrung muss man ebenfalls machen. Das „kleine Musical-Wunder in Deutschland“ der „Zaufke-Lund- Factory“, wie Kai Luehrs-Kaiser schon vor Jahren in der „Welt“ schwärmte, geht weiter, die GRIMM-Wiederaufnahme startet am 19. November. Also: einfach hingehen und hintergründigen Spaß erleben!

Während des Rundgangs sind die Musical-Studierenden in „Fast normal“ im Renaissance Theater Berlin, schräg gegenüber der UdK in der Hardenbergstraße, zu erleben.

Constanze Beger

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