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Baltische Blüte. Das Satellitenbild zeigt eine Algenblüte im Jahr 2010.

© EUROPEAN SPACE AGENCY/SCIENCE PH

Ostsee: Das Meer von morgen

Die Ostsee ist ein kleines Meer und wird vom Menschen stark verändert. Damit ist sie ein Modell für das Meer der Zukunft. Von Algenblüten, Todeszonen und Eindringlingen.

Das Forschungsschiff „Elisabeth Mann Borgese“ fährt langsam durch den Schärengürtel südlich von Stockholm. Blauer Himmel, blaues Wasser, am Ufer baden Kinder, Angelboote tuckern vorüber. Ein Stück den Himmerfjord hinauf stoppt das schwimmende Labor. Die Forscher lassen einen Zylinder aus Plexiglas ins Wasser klatschen, um damit Sediment vom Grund heraufzuholen. Wenige Minuten später ist die Probe an Deck. Aus dem Zylinder rutscht schwarzer Schlick, der nach faulen Eiern riecht. Der üble Geruch stammt von Schwefelwasserstoff, der sich in den Ablagerungen bildet. Für die Forscher ist klar: In dem Gebiet fehlt Sauerstoff. Fische, Muscheln und andere Tiere würden dort ersticken.

Gefahr durch Versauerung und steigende Temperaturen

Wenn Maren Voß von ihrer jüngsten Forschungsfahrt im Sommer 2013 berichtet, kommt sie bald auf diese Situation zu sprechen. „Sie zeigt eindrucksvoll, dass das harmonische Bild der Ostsee, das sie an ihrer Oberfläche gerade im Sommer vermittelt, sich in nur wenigen Metern Tiefe ins Gegenteil verkehren kann“, sagt die Biologin. Am Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde erforscht sie seit Jahren, wie die „Todeszonen“ entstehen und sich immer weiter ausbreiten.

Der Sauerstoffmangel ist nicht das einzige Problem, das Forscher beschäftigt. Wie alle anderen Meere ist auch die Ostsee von steigenden Temperaturen und Versauerung bedroht, dringen immer mehr fremde Arten in das Ökosystem ein. Die Ostsee ist diesem Wandel besonders ausgeliefert, denn sie ist kein typisches Meer, das am Rand eines großen Ozeans liegt. Sie ist nur über eine dünne Nabelschnur mit den Weltmeeren verbunden: das Kattegat zwischen Dänemark und Schweden. Schätzungen zufolge dauert es 30 Jahre, bis das Wasser der Ostsee einmal ausgetauscht ist. Wegen der geringen Zirkulation ist der Unterschied im Salzgehalt so groß wie in keinem anderen Meer – von gut drei Prozent im Westen bis 0,2 Prozent im Nordosten.

Die "Todeszonen" haben sich im letzten Jahrhundert verzehnfacht

Die Ostsee ist ein vom Menschen intensiv genutzter Tümpel, der wenig abpuffern kann und in dem jede Veränderung wie mit einem Brennglas vergrößert wird. Damit ist sie auch ein Modell für die Meere der Zukunft.

Beispiel „Todeszonen“: Sie sind in vielen Gewässern ein Problem, etwa im Golf von Mexiko oder in der Cheasepeake Bay an der US-Ostküste. In der Ostsee sind sie aber besonders verbreitet und daher gut zu erforschen. In dem kleinen Meer mangelt es inzwischen fast allen tiefen Wasserschichten an Sauerstoff. Ein dänisch-schwedisches Forscherteam berichtete im Frühjahr im Fachblatt „PNAS“, dass sich die sauerstoffarmen Zonen in den letzten 115 Jahren verzehnfacht haben. Die Ostsee sei inzwischen die „weltweit größte Sauerstoffmangelzone menschlichen Ursprungs“.

Ein Grund ist die Erderwärmung. In den Meeresbecken bei der Insel Bornholm sowie um Gotland habe sich die Temperatur am Grund im 20. Jahrhundert um zwei Grad erhöht, schreiben die Forscher. Das führe dazu, dass weniger Sauerstoff im Wasser gelöst wird.

Nährstoffe aus der Landwirtschaft lassen die Algen besser wachsen

Den größeren Anteil haben jedoch Blüten von Cyanobakterien und weiteren Algen, die praktisch in jedem Hochsommer auftreten. Wenn sich die Einzeller an der Oberfläche explosionsartig vermehren, sind auf Satellitenbildern gewaltige Teppiche zu sehen. Sterben die Algen, sinken sie zu Boden und werden zersetzt. Dabei wird viel Sauerstoff verbraucht. Zurück bleibt eine lebensfeindliche Brühe.

„Algenblüten hat es schon immer gegeben“, sagt Voß. Die Frage sei, ob sie jetzt häufiger auftreten. Denn durch die intensive Landwirtschaft und über Abwässer werden seit Jahrzehnten große Mengen Phosphat und Nitrat ins Meer gespült; die zusätzlichen Nährstoffe könnten das Algenwachstum begünstigen. Bisher zeigen die Messdaten keinen Anstieg, sagt die Forscherin. „Aber unser Netz ist relativ grob und es ist gut möglich, dass eine Blüte genau zwischen zwei Messpunkten auftritt und wir sie daher nicht registrieren.“

Immer seltener kommt frisches Wasser aus der Nordsee

Es gibt immer wieder Phasen, in denen sich die Lage vorübergehend bessert: Wenn frisches Salzwasser aus der Nordsee hereinströmt. Doch das kommt meist nicht weit, denn am Ostseegrund finden sich mehrere über 200 Meter tiefe Becken, die durch Schwellen voneinander getrennt sind – und dort muss das Salzwasser, das schwerer ist als Süßwasser, drüber. Zudem gibt es solche „Frischwasserspritzen“ nur, wenn der Wind günstig weht. Er muss zuerst von Osten kommen und so das Meer etwas leeren, und dann aus dem Westen wehen, um über das Kattegat Nordseewasser hineinzudrücken.

Das geschieht heute seltener als noch vor 30 Jahren. Forscher vermuten, dass das an einer Klimavariation namens Nordatlantische Oszillation liegt. Sollten die Winde weiter ungünstig stehen, werden sich die sauerstoffarmen Zonen weiter ausbreiten. Dazu trägt auch der steigende Kohlendioxidgehalt in der Luft bei. Ein Teil des Gases löst sich im Meer als Kohlensäure. „Unsere Laborstudien zeigen, dass die Cyanobakterien von der Versauerung des Wassers profitieren und besser gedeihen, was die gefürchteten Blüten befördert“, sagt Voß.

Bessere Technik in Klärwerken hilft der Ostsee

Auf der anderen Seite gelangen dank internationaler Abkommen heute deutlich weniger Nährstoffe über die Flüsse ins Meer als früher. Das haben die Forscher auf der „Elisabeth Mann Borgese“ mit eigenen Augen sehen können. Die schwarzen, stinkenden Proben, die auf Sauerstoffmangel zurückgehen, kamen aus einer tieferen und somit älteren Schicht. Damals entließ das zentrale Abwasserklärwerk Stockholms noch viele Nährstoffe in den Himmerfjord. Inzwischen wurden zusätzliche Klärstufen eingebaut, die Nitrat zu 90 Prozent zurückhalten, berichtet Voß. „Dadurch gibt es weniger Algen, die jüngeren Sedimente sehen hell aus und zeigen, dass die Umweltbedingungen wesentlich besser sind.“

„Die Anstrengungen zum Schutz der Ostsee sind im internationalen Vergleich wirklich gut“, sagt Voß. „Ich glaube trotzdem nicht, dass sie ausreichend sind.“ Die Landwirtschaft leite immer noch enorme Mengen an Nährstoffen in das Meer. Und am Meeresgrund ist inzwischen viel Phosphat gebunden, das bei sinkendem Sauerstoffgehalt wieder freigesetzt wird und neue Algenblüten ermöglicht. „Damit geht der Teufelskreis immer weiter“, sagt Voß.

Die Fläche für Fischer wird kleiner

Der Fischereibiologe Christian von Dorrien blickt optimistischer in die Zukunft. Überfischung sei jahrelang ein Problem gewesen, sagt der Wissenschaftler vom Thünen-Institut für Ostseefischerei in Rostock. „Inzwischen gehen wir davon aus, dass die Ostsee das erste Meer sein wird, in dem alle Bestände nachhaltig befischt werden.“ Ermöglicht werde das durch strenge Fangquoten, auf die sich die Anrainerstaaten geeinigt hätten. Trotz heftiger Proteste der Fischereiwirtschaft. Denn die Fläche, die Fischer nutzen können, wird kleiner, weil Offshore-Windparks entstehen und zunehmend Schutzgebiete ausgewiesen werden. Naturschützer hingegen kritisieren, dass die Vorschriften für die Gebiete oft zu lax seien und zum Beispiel Grundschleppnetze weiter genutzt werden dürfen. Zudem seien noch zu wenige Areale geschützt, um bedrohten Tieren wie Schweinswalen ein Refugium zu bieten (mehr zu den Schweinswalen hier).

Seltener Anblick. In der Ostsee gibt es nur noch wenige hundert Schweinswale.
Seltener Anblick. In der Ostsee gibt es nur noch wenige hundert Schweinswale.

© picture alliance / dpa

Festgelegt werden die Fangquoten von der EU. Sie basieren auf Analysen der Fischereiinstitute wie dem in Rostock. Regelmäßig fahren die Forscher aufs Meer, werfen normierte Netze aus und zählen akribisch die gefangenen Fische, messen ihre Größe, bestimmen das Alter. So erfahren sie, wie viele Dorsche, Flundern oder Heringe es überhaupt gibt, aber auch, ob genügend Jungtiere nachkommen, um langfristig das Einkommen der Fischer zu sichern.

In Zukunft könnten sich Süßwasserarten ausbreiten

Gut möglich, dass ihr Fang zukünftig anders aussieht. Durch den Klimawandel könnte der Süßwasseranteil in der Ostsee steigen, sagt von Dorrien. Das könne dazu führen, dass etwa der Dorsch nach Westen zurückweicht, wo das Wasser salziger ist. „Im Osten würden sich dann vermutlich Süßwasserarten wie Hecht, Zander und Barsche ausbreiten.“

Doch nicht nur die angestammten Arten verändern sich, auch fremde Spezies erreichen immer wieder die Ostsee. Etwa die Schwarzmund-Grundel. Der Fisch lebt normalerweise im Schwarzen und im Kaspischen Meer und wurde erstmals 1990 in der Danziger Bucht entdeckt. „Wir vermuten, dass Fischeier mit Ballastwasser von Schiffen eingeschleppt wurden“, sagt Jane Behrens von der Technischen Universität von Dänemark in Charlottenlund. Die Tiere leben im flachen Wasser am Grund und fressen dort anderen Tieren wie Plattfischen das Futter weg.

Nur wenige invasive Arten schaffen es, sich zu etablieren

Behrens ist sich sicher, dass die Schwarzmund-Grundel sich in den küstennahen Gebieten ausbreiten wird. Sie gehöre zu den wenigen Fischarten, bei denen die Männchen die Fischeier bewachen, so dass besonders viele Nachkommen groß werden. Außerdem komme die Art mit schwankender Temperatur und schwankendem Salzgehalt gut zurecht. „Diese Anpassungsfähigkeit ist wichtig, um sich in einem neuen Lebensraum zu etablieren.“

Eingeschleppt. Die Rippenqualle Mnemiopsis leidyi kam vermutlich mit Ballastwasser in die Ostsee. Sie frisst Plankton und ist ein Nahrungskonkurrent für viele andere Tiere.
Eingeschleppt. Die Rippenqualle Mnemiopsis leidyi kam vermutlich mit Ballastwasser in die Ostsee. Sie frisst Plankton und ist ein Nahrungskonkurrent für viele andere Tiere.

© Jaspers/Geomar

Das gelingt nur sehr wenigen Tieren, sagt Cornelia Jaspers vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Geomar in Kiel. Sie koordiniert ein internationales Forschungsprojekt zur Biodiversität in der Ostsee, das besonders invasive Arten untersucht. „Eine Faustregel besagt, dass nur zehn Prozent der eingeschleppten Arten überhaupt entdeckt werden. Davon schaffen es wiederum nur zehn Prozent, sich zu etablieren. Von denen wiederum sind es nur zehn Prozent, die wirklich Schäden anrichten.“

Die Ostsee ist jung: Sie entstand vor 10.000 Jahren nach der Eiszeit

Habe sich eine Art erst etabliert, werde man sie nicht mehr los, sagt Jaspers. Sie hat die eingeschleppte Rippenqualle Mnemiopsis erforscht, die im dänischen Limfjord massenhaft vorkommt und anderen Tieren das Plankton wegfrisst. Dennoch warnt die Biologin davor, invasive Spezies ausschließlich negativ zu betrachten. „Sie haben in der Geschichte des Meeres eine wichtige Rolle gespielt.“ Gerade 10 000 Jahre ist es alt, hat begonnen als Schmelzwassersee der zurückweichenden Eiszeitgletscher und hatte je nach Klima deutlich schwankende Temperaturen und Salzgehalte. „In dieser Zeit sind immer wieder neue Arten eingewandert und haben so das heutige Bild der Ostsee geprägt“, sagt sie.

Jetzt macht das Meer wieder große Veränderungen durch und die spannende Frage für Jaspers und die vielen anderen Ostseeforscher lautet: Welche Bewohner werden es schaffen, sich anzupassen, welche werden verlieren? Und was kann der Mensch tun, um das Gewässer lebenswert zu erhalten? Antworten auf diese Fragen sind nicht nur für das kleine Meer in Europa wichtig, sondern letztlich für den gesamten Globus.

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