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Weltaidstag: Outing am Arbeitsplatz: Angst vor den Kollegen

Dieses Jahr steht zum Weltaidstag das Thema "HIV und Arbeit" im Mittelpunkt deutscher Kampagnen. Niemand ist verpflichtet, seinem Arbeitgeber die Infektion zu melden. Sollte man es trotzdem tun?

„Verstecken ist nicht meine Art“, sagt Dirk. Wäre das anders, dann hätte sich der 41-jährige Berliner Bankangestellte nicht schon eine Woche nach der für ihn niederschmetternden Diagnose „HIV-positiv“ während eines Meetings in seiner Filiale geoutet. Und dann könnte man ihn wohl kaum auf einem Foto bewundern, das ihn im Kreis seiner Kollegen zeigt. Das Bild ist Teil der Kampagne „positiv zusammen leben“, die Gesundheitsministerium, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Deutsche Aidshilfe (DAH) und Deutsche Aids-Stiftung anlässlich des heutigen Weltaidstages aus der Taufe gehoben haben. Einer der Aspekte: HIV und Arbeitswelt.

Der HIV-positive Bankangestellte Dirk gehört nicht zu einer Minderheit: Zwei Drittel aller Infizierten sind erwerbstätig. Längst ist HIV zu einer chronischen Krankheit geworden, die viele Betroffene mit Medikamenten beherrschen. Rund 67 000 Menschen leben in Deutschland damit, „einer von 1000 Erwerbstätigen ist folglich HIV-positiv“, rechnet Silke Eggers, Geschäftsführerin der DAH, vor. „Verbotene“ Berufe gibt es dabei so gut wie keine: Nur Piloten dürfen nicht HIV-positiv sein, und Chirurgen, die invasive Tätigkeiten ausüben. Ansonsten ist heute klar: Auch in der Gastronomie oder im Kindergarten kann man mit HIV arbeiten, ohne andere Menschen zu gefährden. Bei Stellenbesetzungen spiele eine Infektion mit dem Erreger der Immunschwäche keine Rolle, es komme allein auf die Qualifikation an, befand auch die überwiegende Mehrheit der 20 Unternehmer, die im letzten Jahr auf eine Umfrage der DAH geantwortet haben.

Rein rechtlich ist ohnehin kein Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber von der Infektion Mitteilung zu machen. Sollte man es trotzdem tun? Sie könne kein Patentrezept dafür liefern, wie es richtig sei, meint Eggers. Auch wenn aus den Betrieben bei Befragungen „sozial erwünschte“ und „politisch korrekte“ Antworten kommen und HIV kein Kündigungsgrund ist, sind negative Folgen nicht ganz auszuschließen. „Gerade die Gewerkschaften haben Angst, dass es zu Diskriminierungen führt, wenn jemand sich als HIV-positiv outet“, stellt der Sozialwissenschaftler Christian Kranich fest. Er ist Leiter der Abteilung „HIV und Arbeit“ bei der Aidshilfe München und hat vor kurzem in qualitativen Interviews mit zehn HIV-positiven Arbeitnehmern ermittelt, was sie von Offenheit am Arbeitsplatz in dieser Frage halten. Vor allem Frauen hätten Angst davor, skeptisch wahrgenommen zu werden, weil bei ihnen jeder gleich an Drogenabhängigkeit denke, sagt Kranich.

Die 35-jährige Yvette, selbstständig im kreativen Bereich, hat es den Menschen anvertraut, die beruflich eng mit ihr zusammenarbeiten. Nicht alle müssten von der Infektion wissen, die „nur ein Teil meines Lebens ist“, so sagt sie. Zum vollständigen Bild würde dann gehören, dass sie als 20-Jährige von mehreren Männern im Park vergewaltigt wurde. Kurze Zeit darauf kam die Antiretrovirale Therapie (ART), die die Viren in ihrem Fall ohne gravierende Nebenwirkungen in Schach hält. „Ich habe keine Angst mehr um mich, die Zeiten sind vorbei.“

Die lebenslange Behandlung hat in manchen Fällen aber Durchfall, Übelkeit oder Schlappheit zur Folge. „Trotzdem will man im Beruf nicht schlechter sein als andere, man kompensiert eben, indem man die Freizeit zur Erholung nutzt“, sagt Banker Dirk. Das ist bei Arbeitnehmern mit Diabetes oder Depressionen nicht unbedingt anders. „Chronische Erkrankungen sind für jeden Betrieb ein Thema“, sagt Sozialwissenschaftler Kranich. „Sobald die Aspekte Sex, Ansteckung und Tod rausgenommen werden, ist auch HIV eine völlig unaufregende Krankheit.“

Es gebe andere chronische Erkrankungen von Mitarbeitern, die für den Arbeitgeber weitaus gravierendere Folgen hätten, meint auch Axel, leitender Angestellter eines großen Konzerns. Er hat sich das Retrovirus bei einer Bluttransfusion in der Karibik geholt – und in der Firma zwei Jahre lang nichts davon gesagt. Als er bei einem Meeting zusammenbrach, war er gezwungen, zu sprechen. Und hat beste Erfahrungen mit dem Outing gemacht. „Mein Arbeitgeber hat sogar sichergestellt, dass in allen Niederlassungen des Konzerns meine Medikamente liegen.“

Auch Dirk wird jeden Tag pünktlich um 10 Uhr von seinen Kollegen daran erinnert, dass er die Tabletten nehmen muss. An dem Vormittag, als er das Meeting nutzte, um von der HIV-Infektion zu berichten, hat die Filiale seiner Bank eine halbe Stunde später geöffnet. Dirk musste erst seine Kollegen trösten.

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