zum Hauptinhalt
Gefährliche Mischung. Alte, oft chronisch kranke Patienten bekommen meist einen regelrechten Medikamentencocktail. Stimmen ihre Ärzte die Wirkstoffe nicht genug aufeinander ab, kann es zu gefährlichen Wechselwirkungen kommen.

© picture-alliance/ dpa

Patientensicherheit: Vermeidbare Fehler

Je älter die Menschen werden und je mehr Krankheiten sie haben, desto komplizierter wird die Therapie mit Medikamenten. Durch Verordnungsfehler der Ärzte und Einnahmefehler der Patienten kommt es immer wieder zu gefährlichen Wechselwirkungen zwischen den Wirkstoffen.

Herr A. hatte seine Gesundheit immer ernst genommen: Er hatte sich Rat und Rezepte bei einem Dutzend Ärzten geholt, darunter drei Hausärzte, ein Kardiologe und Psychiater, die nichts voneinander wussten. Er nahm gewissenhaft ein, was sie ihm verordneten – bis er, mit Mitte fünfzig, tot umfiel. Plötzlicher Herztod.

Die Ärzte hatten ihm verschiedene Medikamente verordnet, die alle den Herzrhythmus auf dieselbe Art und Weise beeinflussten, meist als Nebenwirkung. So kam es zu lebensbedrohenden Herzrhythmusstörungen, bis zum tödlichen „Herzschlag“. Falsch angewendet wird aus einem hilfreichen ein tödliches Mittel.

Das ist eines der Beispiele vermeidbarer Neben- und Wechselwirkungen, die auf dem „Deutschen Kongress für Patientensicherheit bei medikamentöser Therapie“ in Berlin diskutiert wurden. Veranstaltet wurde der Kongress von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Sie gehört zum „Aktionsbündnis Patientensicherheit“, das unter anderem vom Berliner Ärztekammerpräsidenten Günther Jonitz und dem Kongresspräsidenten Daniel Grandt vom Klinikum Saarbrücken gegründet wurde. Angesiedelt ist das Bündnis im „Institut für Patientensicherheit“ der Uni Bonn.

Frühzeitig stieß das Bundesgesundheitsministerium dazu. Mit Aktionsplänen versucht es, die Sicherheit der Patienten bei der Behandlung mit Medikamenten zu erhöhen. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr hielt daher auf dem Kongress selbst den ersten Vortrag. Arzneimitteltherapie sei „immer ein relevantes Risiko“, sagte er. Nun stünden die vermeidbaren Schäden durch falsche Anwendung im Fokus. Denn der Umgang mit Medikamenten werde zunehmend schwieriger: Die Menschen werden immer älter, Betagte haben oft mehrere Krankheiten zugleich, der medizinische Fortschritt hat viele Leiden behandelbar gemacht, also werden immer mehr Arzneimittel verordnet. Das führe auch zu mehr Fehlern, zum Beispiel durch nicht berücksichtigte Wechselwirkungen. Und das ausgedünnte Klinikpersonal sei gehetzt und überfordert. Ein fehlerträchtiger Zustand, ergänzte Jonitz. Um Verordnungsfehler der Ärzte und Einnahmefehler der Patienten zu vermeiden, sensibilisierte schon der „Aktionsplan 2008 – 2009“ Ärzte, Apotheker, Pflegende und Patienten für das Problem, sagte Bahr. Inzwischen habe sich eine „Fehlervermeidungskultur“ entwickelt.

Den Anstoß dazu gab 1999 das amerikanische „Institute of Medicine“ mit seinem Bericht „To err is human“ (Irren ist menschlich). Darin zeigten Versorgungsforscher unter anderem die Dimension der vermeidbaren Arzneimittelschäden. Ähnliche Studien sind in Deutschland selten. Die, die es gibt, bestätigen den Befund. Auch hier sind etwa fünf Prozent aller Krankenhausaufnahmen durch „unerwünschte Arzneimittelereignisse“ bedingt; ein Viertel wäre vermeidbar.

Jeder dritte stationäre Patient in den USA holt sich in der Klinik neue Leiden (zwei Prozent davon sind tödlich), berichtete Grandt. Arzneimittelschäden sind dabei doppelt so häufig wie Infektionen mit Krankenhauskeimen. 44 Prozent der „unerwünschten Ereignisse“ könnte man vermeiden. Und von hundert ambulanten Patienten erleiden jährlich sieben vermeidbare Arzneimittelschäden.

Auf welchen Wegen sich die anwendungsbedingten Schäden durch Medikamente vermeiden lassen, wird im neuen Forschungsschwerpunkt „Arzneimitteltherapiesicherheit“ des Gesundheitsministeriums erforscht. Dabei geht es auch um eine Bewertung der Wirksamkeit der Versuche, die etwa aus den Aktionsplänen entwickelt wurden.

Bisher steht fest: Die bessere Information der Patienten ist nutzlos, wenn sie nur schriftlich geschieht. Die Beipackzettel mit vielen, teils aus juristischen Gründen aufgeführten Nebenwirkungen schrecken eher ab. Viele notwendige Medikamente landen nach der Lektüre in der Schublade. Also besser Flyer und Broschüren? „Ob Sie den Patienten das Papier in die Hand drücken oder es gleich in den Papierkorb werfen, ist egal“, sagte Jean-François Chenot von der Uni Greifswald. Das zeigte eine Studie mit Hausarztpatienten, die Blutverdünner wie Marcumar nehmen mussten. Nur eine persönliche Schulung durch Praxispersonal erweiterte das Wissen der Patienten und machte sie sicherer.

Und die Ärzte? Auch bei ihnen bewirken schriftliche Informationen wenig, zeigen zwei Beispiele: Die „Priscus-Liste“ jener Medikamente, die im Alter nur mit Vorsicht oder gar nicht angewandt werden dürfen, werde meist ignoriert, lautete das Ergebnis eines Saarländischen Projekts zur Verringerung des Risikos für den Sekundenherztod. Alte Patienten stürben deshalb eher an der falschen Arzneitherapie als an ihrer Krankheit.

Auch die Ärzte von Herrn A. achteten vermutlich nicht auf schriftliche Informationen: Das Antidepressivum Citalopram etwa wird häufig verordnet. Zusammen mit mehreren anderen Arzneimitteln, die den Herzrhythmus beeinflussen, kann es zu lebensbedrohenden Herzrhythmusstörungen führen. Eine schriftliche dringende Warnung (ein „Rote-Hand-Brief“) an die Ärzte nützte laut einer Erlanger Studie so gut wie gar nichts.

Mehr unter www.aktionsbuendnis-patientensicherheit.de. Ein Merkblatt für Patienten („Tipps für eine sichere Arzneimitteltherapie“) gibt es unter www.ap-amts.de.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false