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Wissen: Pelzige Fallschirmspringer

Genanalysen zeigen: Südasiatische Säugetiere mit Flughäuten sind die nächsten Verwandten der Primaten

Was ist pelzig, graubraun und segelt von Baum zu Baum? Ein Colugo – auch Gleitflieger oder Pelzflatterer genannt. Diese kleinen Säugetiere sehen aus wie fliegende Eichhörnchen oder ziemlich dicke Fledermäuse.

Jetzt haben amerikanische und deutsche Forscher anhand von Genanalysen herausgefunden, dass ausgerechnet diese putzigen, nachtaktiven Säugetiere die nächsten Verwandten der Primaten sind, zu denen auch der Mensch, Homo sapiens, zählt („Science“, Band 318, Seite 792).

Auch wenn es so aussieht – richtig fliegen können die etwa katzengroßen Colugos nicht. Sie lassen sich mit ihrer Flughaut wie Gleitschirmflieger in den Regenwäldern Südostasiens von Baum zu Baum tragen. Nur zwei Arten gibt es: den Philippinen-Gleitflieger (Cynocephalus volans) und den Malaien-Gleitflieger (Galeopterus veriegatus). Zusammen bilden sie eine eigene Ordnung – die Dermoptera. Ihre systematische Einordnung war schon kurz nach ihrer Entdeckung im Jahr 1811 umstritten: „Linné zählt sie zu den Halbaffen, Cuvier zu den Fledermäusen, Geoffroy zu den Raubthieren, Oken zu den Beutelthieren und Peters endlich, wohl mit Recht, zu den Kerbthierfressern, deren Reihe sie eröffnen“, heißt es Ende des 19. Jahrhunderts in „Brehms Tierleben“.

Dass die Dermoptera zur selben Gruppe (Taxon) von Säugetieren zählen, der auch die Primaten und die Scandentia (Spitzhörnchen) angehören, ergaben später morphologische Untersuchungen, die in den letzten Jahren durch genetische Analysen ergänzt wurden. Damit war auch klar, dass die Colugos weder zu den ähnlich aussehenden Nagetieren (Rodentia) noch zu den Hasenartigen (Lagomorpha) gehören. Doch im Stammbaum der Säugetiere gab es noch immer unklare Abzweigungen, die nun geklärt werden konnten. So wusste man bisher zum Beispiel nicht, ob die Spitzhörnchen oder die Colugos sich später im Verlauf der Evolution im Stammbaum von den Primaten abgespalten haben.

Zunächst verglichen die Forscher um Jan Janecka und William Murphy von der Texas A&M Universität in College Station Veränderungen im Erbgut der Colugos mit denen von Primaten, Spitzhörnchen und anderen Säugetierlinien. Insgesamt wurde die DNS von 30 Säugetierarten untersucht. Primaten und Gleitflieger hatten sieben seltene Erbgutveränderungen gemeinsam – die anderen Säugetiere glichen sich höchstens in einem solchen Merkmal. „Diese Veränderungen sind entweder zusätzliche oder fehlende DNS-Stückchen in Genabschnitten, die die Produktion bestimmter Eiweiße steuern“, erklärt William Murphy. „Die Veränderungen, die sowohl Colugos als auch Primaten hatten, haben wir in den anderen Säugetierlinien nicht gefunden.“

In einem zweiten Durchgang analysierten die Forscher Unterschiede und Ähnlichkeiten in den 13 000 Basenpaaren der DNS fünf eng verwandter Arten – und zwar jeweils einen Vertreter der Primaten, Colugos, Spitzhörnchen, Nagetiere und Hasenartigen. Dabei kam heraus, dass Primaten und Colugos die engsten Verwandten sind. „Sie spalteten sich vor rund 86 Millionen Jahren von einem gemeinsamen Vorfahren ab“, sagte Murphy dem Tagesspiegel.

Einen kleinen, aber entscheidenden Beitrag zu den jetzt gewonnenen Erkenntnissen leisteten auch die deutschen Forscher Frank Wiens von der Uni Bayreuth und Annette Zitzmann von der Frankfurter Goethe-Universität. Die Biologen nahmen Gewebeproben von einem Spitzhörnchen in Malaysia, das bis dahin noch nicht untersucht war. Auch die DNS aus dieser Probe, die seit den 1990er Jahren in Alkohol konserviert worden war, ging in die Genanalyse der amerikanischen Kollegen mit ein und gab Aufschluss über einen wichtigen Knotenpunkt im Stammbaum der Säugetiere.

Trotz der engen Verwandtschaft mit den Primaten erinnern die Colugos äußerlich kaum an Affen. Ihr Kopf ähnelt eher dem eines Windhundes. Zwischen Vorder-, Hinterbeinen und Schwanz der Gleitflieger spannt sich die fellbewachsene Flughaut, mit der sie bei ausgebreiteten Beinen eine Spannweite von etwa einem Meter erreichen. Den Tag verbringen sie in Baumhöhlen oder an Ästen hängend. Nachts, wenn die Dunkelheit sie vor Raubvögeln, wie dem Philippinenadler schützt, gehen sie auf Nahrungssuche. Colugos sind Pflanzenfresser, die sich von Blüten, Knospen und Blättern ernähren.

Wie viele Colugos es heute noch gibt, lässt sich kaum schätzen. Auf den Philippinen werden sie wegen ihres weichen Fells gejagt – ihr Fleisch gilt als Delikatesse. Der Malaien-Gleitflieger wird vor allem bekämpft, weil er auf Kokosplantagen die Knospen frisst und deshalb als Schädling gilt.

Dagny Lüdemann

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