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Pharmaindustrie: Stimmungsmacher

Sind Antidepressiva weitgehend wirkungslos? Ein genauer Blick in die Analyse, die in der Pharma-Industrie für Unruhe sorgt, offenbart ein etwas differenzierteres Bild.

Die Nachricht klingt erstmal wie ein Stimmungskiller für die Pharma-Industrie: Antidepressiva wirken kaum besser als Scheinmedikamente. So lautet das Ergebnis einer Übersichtsstudie des britischen Psychologen Irving Kirsch von der Universität Hull.

Der Psychologe analysierte 47 Untersuchungen zur Effektivität einer Medikamentengruppe namens SSRI (selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, bekannter Markenname in den USA: „Prozac“). SSRI sorgen dafür, dass der Botenstoff Serotonin im Gehirn länger aktiv bleibt. Die Medikamente gehören, in Kombination mit einer Psychotherapie, zur Standardbehandlung von schweren Depressionen.

„Obwohl es Patienten besser geht, wenn sie die Medikamente nehmen, so hilft ihnen auch ein Scheinmedikament – und der Unterschied ist nicht sehr groß“, fasst Kirsch seine Befunde zusammen. „Das heißt, die Stimmung depressiver Patienten kann sich auch ohne Chemie verbessern.“

Prompt hagelte es Schlagzeilen. „Prozac und ähnliche Medikamente wirken nicht“, titelt der britische „Guardian“, zahlreiche Medien folgten.

Ein genauer Blick in Kirschs Analyse (veröffentlicht im Online-Fachblatt „Plos Medicine“, Band 5, e45) allerdings offenbart ein etwas differenzierteres Bild. Gemittelt über alle 47 Studien ergab sich nämlich sehr wohl ein statistisch bedeutsamer Effekt zugunsten der Antidepressiva – er war nur insgesamt nicht sonderlich hoch.

Das liegt daran, dass die Wirkung der Medikamente bei leichten Depressionen eher gering ist. Hier sind die Mittel einem Scheinmedikament kaum überlegen. Bei sehr schweren Depressionen jedoch tritt die Überlegenheit der Antidepressiva gegenüber dem Scheinmedikament auch in Kirschs Analyse klar zu Tage.

Psychiatern ist dieser Effekt wohlbekannt. „Je schwerer die Depression ausgeprägt ist, desto deutlicher sind die Behandlungseffekte“, sagt Isabella Heuser, Psychiatrie-Chefärztin an der Berliner Charité.

Kirsch hat Studien analysiert, in denen man Patienten für die Dauer von vier bis maximal acht Wochen entweder mit einem Antidepressivum oder einem Scheinmedikament behandelt hat. „Ein Scheinmedikament wirkt über das Prinzip Hoffnung“, sagt Heuser. „Das geht durchaus auch mit biochemischen Veränderungen einher, die kurzfristig die Stimmung erhellen.“ Dieser erste Effekt jedoch lasse nach einer Zeit nach. Langfristig gehe es darum, die Hirnverbindungen dauerhaft zu verändern, wozu laut Heuser Medikamente und Psychotherapie besser in der Lage seien als ein bloßes Scheinmedikament. Im Klartext: Wer seine Analyse auf einen kurzen Zeitraum beschränkt, der überschätzt zwangsläufig die kurzfristige Wirkung der Schein-Arznei.

Kirsch hebt hervor, er hätte auch Studien analysiert, die von der Pharma-Industrie nicht veröffentlicht wurden, weil sie keine positiven Ergebnisse erbracht haben. Dies ist zwar richtig, jedoch stehen der US-Arzneimittelbehörde, die über die Zulassung der Medikamente bestimmt, all diese Studien genauso zur Verfügung – offenbar kommt die Behörde zu einem anderen Ergebnis als Kirsch, da sie keine wirkungslosen Pillen zulässt.

Seit Ende der 1990er Jahre veröffentlicht Kirsch, selbst in erster Linie ein Experte für Hypnose, Berichte zur vermeintlichen Wirkungslosigkeit von Antidepressiva. „Ich hoffe, wir können diesen Grabenkrieg endlich überwinden“, sagt Heuser. „Es beunruhigt vor allem Patienten – unnötig und fahrlässig.“

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