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© X02350

Physik-Nobelpreis: Aufbruch für die Forschung und Nachruf auf eine Legende

Sieben Nobelpreise gingen an die Bell-Laboratorien. Jetzt ist Schluss

Der Physiknobelpreis 2009 ist auch ein Nachruf, ein Abgesang auf die berühmten Bell-Laboratorien in Murray Hill an der Ostküste der USA. Denn eine Hälfte des Preises teilen sich der US-Amerikaner George Smith und der US-Kanadier Willard S. Boyle. Beide haben nahezu ihr gesamtes Forscherleben bei den Bell-Laboratorien verbracht. Aber das Institut hat seine physikalische Grundlagenforschung nun eingestellt.

Boyle wurde 1924 in Amherst in Kanada geboren und wuchs in einer kleinen Holzfällergemeinde auf dem Land auf. Sein Vater arbeitete dort als Arzt. Die Familie bewegte sich im Winter nur mit Hundeschlitten fort und Boyle wurde zu Hause von seiner Mutter unterrichtet. Erst ab der neunten Klasse besuchte er eine Privatschule in Montreal. Nach dem zweiten Weltkrieg studierte er dort an der McGill-Universität, an der er 1950 in Physik promovierte.

George Smith wurde 1930 im Staat New York geboren. Er studierte zunächst an der Universität von Pennsylvania in Philadelphia und promovierte dann an der Universität Chicago.

Beide, Smith und Boyle, begannen nach ihrer Promotion bei den Bell-Laboratorien zu arbeiten. Das Forschungsinstitut gilt weltweit als Innovationsmaschine – aus gutem Grund. Hier wurde der Transistor ebenso erfunden, wie das Betriebssystem Unix und die Programmiersprache C++. In den fünfziger Jahren wurde hier Pionierarbeit in der Laserforschung geleistet, in den sechziger Jahren der erste zivile Kommunikationssatellit entwickelt. Sogar die Entdeckung der kosmischen Hintergrundstrahlung, des „Echos des Urknalls“, gelang mit Arno Penzias und Robert Wilson zwei Forschern der Bell-Laboratorien.

Das Labor wurde 1925 als Forschungsabteilung des amerikanischen Elektrotechnikunternehmens Western Electric und des Telekommunikationsunternehmens AT&T gegründet. Eigentlich war sein Auftrag simpel: Technische Geräte für die beiden Firmen zu entwickeln. Einige Forscher wurden aber auch in der Grundlagenforschung eingesetzt, wo sie viele wichtige Entdeckungen machten. Das Ergebnis: Elf Forscher der Bell-Laboratorien erhielten insgesamt sechs Nobelpreise. Eine erstaunliche Statistik für ein Privatunternehmen.

Mit Boyle und Smith sind es nun sieben Ehrungen – und vermutlich wird es dabei bleiben. Denn das altehrwürdige Forschungslabor hat schwierige Zeiten hinter sich. 1996 war AT&T gezwungen die Forschungsabteilung in das Unternehmen Lucent Technologies zu überführen. Aber der neue Eigentümer hatte Probleme bei der Finanzierung, Forscher wurden entlassen, die Budgets gekürzt. 2002 wurde auch noch einer der Stars des Unternehmens, der deutsche Physiker Jan Hendrik Schön, in einen Forschungsskandal verwickelt. Er hatte in mehr als einem Dutzend wissenschaftlicher Veröffentlichungen Daten gefälscht.

Inzwischen ist Lucent Technologies mit der französischen Telekommunikationsfirma Alcatel fusioniert. Die neue Führung hat beschlossen, sich aus der physikalischen Grundlagenforschung zurückzuziehen. Ende des vergangenen Jahres gab sie bekannt, insbesondere die Bereiche Materialphysik und Halbleiterforschung ganz aufzugeben. Viele Physiker kritisierten zwar den Schritt. Schließlich seien die Bell-Laboratorien eine der letzten Bastionen privater physikalischer Grundlagenforschung, argumentierten sie. Aber ohne Erfolg.

Nobelpreise, die der Grundlagenforschung privater Firmen entspringen, werden in Zukunft also noch seltener. Immer häufiger wird man aber wohl Gesichter wie das von Charles Kao bei der Nobelpreisverleihung sehen. Der Forscher, der die andere Hälfte des diesjährigen Physiknobelpreises erhält, hat zwar die britische und amerikanische Staatsbürgerschaft. Aber geboren und aufgewachsen ist er in Schanghai. Kao studierte zunächst in Hong Kong und dann in London. Ganz in der Nähe, in Harlow, machte er in den Standard Telecommunications-Laboratorien auch seine bahnbrechenden Entdeckungen. Von 1987 bis 1996 war er Vizekanzler der Chinesischen Universität von Hong Kong.

Noch ist China in der Liste der Nobelpreisnationen weit unten, hinter Ländern wie Irland und Norwegen. Aber das Land unternimmt enorme Anstrengungen, um auf dem Weg zur Wissenschaftssupermacht voranzukommen. Nach einem Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat die Zahl der Wissenschaftler in China zwischen 1995 und 2004 um 77 Prozent zugenommen. 2006 lag China mit 926 000 Forschern bereits hinter den USA auf dem zweiten Platz.

Gleichzeitig nehmen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in China zu. In einem Bericht der OECD von 2006 hieß es, dass China zum Ende des Jahres Japan überholen und zum zweitgrößten Investor in Forschung hinter den USA aufsteigen werde. China versucht außerdem Spitzenwissenschaftler im eigenen Land zu halten. Nach wie vor kehren allerdings zwei Drittel der chinesischen Forscher, die ins Ausland gehen, nicht in ihr Heimatland zurück.

Bei allen Veränderungen in der Wissenschaftswelt, bleibt aber auch viel beim Alten: Alle drei Nobelpreisträger haben einen amerikanischen Pass und alle drei sind männlich. Damit entsprechen sie dem Durchschnittsnobelpreisträger. Wirklich revolutionär war dagegen der Medizinnobelpreis. Mit Elizabeth Blackburn und Carol Greider erhielten den in diesem Jahr zum ersten Mal seit Bestehen gleich zwei Frauen. Kai Kupferschmidt

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