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Fallensteller im Mikrokosmos. David Wineland und Serge Haroche entwickelten Methoden, um Phänomene der Quantenwelt an geladenen Atomen und Photonen studieren zu können. Eine praktische Anwendung ihrer Arbeit sind optische Uhren wie diese an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig. Sie sind etwa 100-mal genauer als die heute für die Zeitmessung gebräuchlichen Cäsium-Atomuhren.

© Marc Steinmetz / VISUM

Physik-Nobelpreis: Erste Schritte auf dem Weg zum Quantencomputer

Physik-Nobelpreis für Serge Haroche und David Wineland: Sie entwickelten Fallen für winzige Teilchen.

Der Quantencomputer ist von Superlativen umgeben: unvorstellbare Rechenkraft, knackt hartnäckige Verschlüsselungen, wird unser Leben derart radikal ändern, wie es gegenwärtige Computer im vorigen Jahrhundert taten. Die letzte Zuschreibung ist die aktuellste. Sie stammt vom Nobelpreis-Komitee in Stockholm, das am Dienstag zwei Wegbereiter des Quantencomputers als Preisträger in der Sparte Physik bekannt gab. Serge Haroche und David Wineland erhalten den mit 930 000 Euro dotierten Preis.

Dem Franzosen und dem Amerikaner gelangen Experimente, mit denen sie die seltsamen Vorgänge in der Quantenwelt genauer erkunden konnten. Einen Quantencomputer gibt es zwar immer noch nicht, doch die Arbeiten der beiden Physiker gelten als „die allerersten Schritte“ auf dem langen Weg dorthin, wie das Komitee in Stockholm begründet.

Die Welt der Quanten ist ein verrückter Mikrokosmos, in dem die physikalischen Gesetze, die wir aus unserer Makrowelt kennen, teilweise nicht mehr gelten. Das macht es schwer, das Verhalten von einzelnen Atomen oder Lichtteilchen zu verstehen. In der Makrowelt heißt es immer: entweder – oder. Ein Fußball kann nur vor oder hinter der Torlinie sein. Entweder Tor oder nicht. Ein winziges Bällchen in der Quantenwelt hingegen kann sich den Gesetzen der Quantenmechanik zufolge sowohl im Tor als auch draußen befinden. Es nimmt beide Positionen zugleich ein. Erst in dem Moment, in dem eine Messung stattfindet – Tor oder nicht? – , „entscheidet“ es sich für einen Ort. Dann ist allerdings der mysteriöse Zustand des „Sowohl – als auch“ beendet.

Teilchen in der Falle. So funktionieren die Apparaturen, mit denen die Preisträger die Quantenwelt erkundeten.
Teilchen in der Falle. So funktionieren die Apparaturen, mit denen die Preisträger die Quantenwelt erkundeten.

© Nobel-Komitee/TSP

Dieser Umstand machte es Physikern lange Zeit unmöglich, die Quantenwelt zu studieren. Sobald sie in diese Welt hineinblickten, indem sie beispielsweise die Eigenschaften eines Lichtteilchens maßen, war es mit der „Überlagerung“ mehrerer Zustände vorbei.

Mit raffinierten Fallen gelang es Haroche und Wineland, Quantenobjekte zu beobachten, ohne den typischen „Sowohl – als auch“-Zustand zu zerstören. Wineland und sein Team konzentrierten sich auf elektrisch geladene Atome, Ionen genannt. Mit Hilfe eines elektromagnetischen Wechselfeldes hielten sie die Ionen fest, so dass diese nicht entweichen konnten. Normalerweise verhält sich ein gefangenes Ion wie jeder andere in dieser Lage: Es zappelt wild umher. Um es zur Ruhe zu bringen, arbeiten die Wissenschaftler bei Temperaturen knapp über dem absoluten Nullpunkt, doch das allein genügt nicht. Wineland entwickelte eine Technik, bei der Laserpulse so auf ein Ion gelenkt werden, dass die „Laserstupser“ gegenläufig zu den Eigenbewegungen des Ions sind. Das Gezappel geht nochmals zurück und das Teilchen befindet sich in einer Art Grundzustand.

Nun regten die Forscher mit einem weiteren Laserpuls das Ion minimal an, so dass es in den gewünschten „Sowohl – als auch“-Modus kam. Das kann heißen, dass es zugleich zwei verschiedene Energiezustände einnahm oder dass es gleichzeitig zwei verschiedene Bewegungsarten vollführte.

David Wineland
David Wineland

© Reuters

Um diese Quantenzustände zu untersuchen, schickten die Wissenschaftler Laserstrahlen mit unterschiedlicher Wellenlänge durch die Falle. Sie fungieren als Botschafter aus der Quantenwelt, die je nach Eigenschaften der gefangenen Teilchen die Kammer entweder passieren oder absorbiert werden.

Serge Haroche und seine Kollegen bauten eine ähnliche Falle, in der allerdings Mikrowellen-Photonen eingeschlossen werden. Diese rasen zwischen zwei Spiegeln hin und her, die so gut reflektieren, dass die Photonen für mehr als eine Zehntelsekunde verfügbar sind – und untersucht werden können.

Genau darum geht es Wineland, Haroche und anderen Physikern. Sie wollen die Phänomene wie die Überlagerung zweier Zustände erforschen, weil sie die Basis von Quantencomputern sind. Herkömmliche Rechner basieren auf einer Technik, bei der es nur entweder – oder gibt. Null oder eins. Anders beim Quantencomputer, er soll die seltsame Parallelität gezielt nutzen. Sowohl null als auch eins. Mit geschickter Programmierung könnten komplexe Aufgaben in einem Bruchteil der Zeit gelöst werden, die konventionelle Computer brauchen. Das ermöglicht phantastische Anwendungen. Es wird aber noch dauern, bis es soweit ist.

Serge Haroche
Serge Haroche

© AFP

Für die Ionenfalle gibt es eine andere Anwendung, die bereits real ist. Sie ist Grundlage für optische Uhren, die viel genauer sind als Atomuhren. „Winelands Team hält den derzeitigen Rekord mit einer Uhr, die eine relative Genauigkeit von 10 hoch minus 17 hat“, sagt Fritz Riehle von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig. Hätte sie ihre Messung mit dem Urknall vor 14 Milliarden Jahren aufgenommen, würde sie heute gerade fünf Sekunden falsch gehen. Solche Uhren können satellitengestützte Navigation wie GPS noch genauer machen. „Sie könnten auch dazu beitragen, Forschungssonden im All noch besser auf Kurs zu halten“, sagt Riehle. Nicht zuletzt könnte es mit den extrem genauen Uhren gelingen, physikalische Theorien mit ungekannter Präzision zu überprüfen. Und so womöglich neue Entdeckungen zu machen.

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