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Heiß mit Halsband. Der Sender, den dieses Streifengnu um sein Genick trug, lieferte Forschern Daten über den relativ hitzeresistenten Lebenswandel dieser Antilopen. Und Proben ihrer Muskeln zeigten, warum sie sich diesen überhaupt leisten können.

© Alan Wilson

Physiologie: Die besonderen Fähigkeiten der Gnus

Gnus sind in Natur-Dokus nur Nebendarsteller, und das meist als Mahlzeit. Nun zeigt sich, dass sie ganz spezielle Eigenschaften haben.

Die größte Mittagshitze im Schatten zu verbringen, ist keineswegs eine Erfindung von Menschen südlicher Gefilde. Löwen machen es genauso, ebenso viele andere Arten. Es gibt triftige Gründe für diese oft für ein Nickerchen genutzten Pausen: Bei jeder Bewegung produzieren die Muskeln auch reichlich Wärme.

In kühleren Gegenden hält diese den Körper auf Betriebstemperatur, während sie in der Sonnenglut rasch zu einer Überhitzung führen kann. Je wärmer die Umgebung, desto mehr Wasser muss der Organismus verdunsten, um sich zu kühlen. Das allerdings ist gerade in heißen Gegenden oft knapp und nur an wenigen Stellen verfügbar. Die Rast im Schatten oder auch in der Höhle, wie es etwa die Erdmännchen bevorzugen, ist deshalb sinnvoll.

The Wanderer

Die Streifengnus im Norden Botswanas aber scheinen von solchen Pausen wenig zu halten. Sie wandern auch bei über 38 Grad Celsius durch die karge Landschaft. Wie diese Antilopen mit sehr effektiv arbeitenden Muskeln Überhitzung und ein Austrocknen vermeiden, beschreiben Alan Wilson vom Royal Veterinary College der University of London und seine Kollegen jetzt in der Zeitschrift „Nature“.

Zunächst untersuchten sie, wie sehr Gnus sich tatsächlich der Hitze aussetzen. Denn konkrete Messungen gab es bis dahin nicht. Dafür verfolgten sie die Herden mit Helikoptern und setzten einzelne Tiere von dort aus mit Betäubungspfeilen außer Gefecht. „Wir haben den rund 220 Kilogramm schweren Gnus dann ein gut ein Kilogramm schweres Halsband mit verschiedenen Hightech-Geräten umgehängt und sie rasch wieder freigelassen“, erklärt Alan Wilson.

Über eineinhalb Jahre wurde über das Satellitenortungssystem GPS dann immer wieder der Standort aufgezeichnet, ein Beschleunigungsmesser registrierte Bewegungen oder Ruhephasen und ein weiterer Sensor maß die Luftfeuchtigkeit. Ein spezielles Thermometer zeichnete die effektive Temperatur auf, die von der tatsächlichen Lufttemperatur, der Sonnenstrahlung und dem Wind beeinflusst wird.

The Lion sleeps today

In der Trockenzeit zwischen April und Oktober weideten die Herden normalerweise fünf bis 15 Kilometer vom Boteti-Fluss entfernt. Alle zwei bis drei Tage wanderten die Tiere dann zum Fluss, um ihren Durst zu löschen. 13 der 16 Gnus kamen zumindest einmal erst nach vier Tagen zum Wasser und sieben der Tiere legten sogar einmal eine fünftägige Trinkpause ein. Den Fluss erreichten die Gnus dabei immer am späten Vormittag. Nach dem Trinken liefen sie am Nachmittag in der größten Hitze zu ihren Weideflächen zurück.

„So gehen sie wahrscheinlich den gefährlichen Löwen aus dem Weg, die in der heißen Tageszeit im Schatten ruhen und normalerweise nur am Morgen oder Abend Beute machen“, sagt Wilson. „Ganz ähnlich verhalten sich auch die Geparde in Namibia, die ebenfalls vor allem in den frühen Morgenstunden und in der Abenddämmerung aktiv sind“, ergänzt Bettina Wachter vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin, die im südlichen Afrika das Leben von Geparden untersucht.

Für die Pflanzenfresser ist es also viel sicherer, wenn sie die Siesta der Raubtiere ausnutzen und in der heißen Tageszeit unterwegs sind. Vollkommen egal ist ihnen die Hitze allerdings auch nicht. Die Temperatursensoren registrierten jedenfalls auch, dass die Gnus gern den Schatten der Bäume aufsuchen oder sich in Bereichen mit etwas kühlender Luftbewegung aufhalten. Zweimal im Jahr aber wandern die Streifengnus im Norden Botswanas am Ende der Trockenzeit in drei oder vier Tagen 60 bis 80 Kilometer weit durch eine praktisch schattenlose Landschaft zu ihren Weidegründen in der feuchten Jahreszeit. Zu Beginn der Trockenzeit kommen sie den gleichen Weg wieder zurück.

Down in in Africa

Wilson und seine Kollegen wollten wissen, wie diese besondere Hitzebeständigkeit funktioniert. Um das herauszubekommen, entnahmen sie sechs Gnus beim Anlegen des Halsbandes, noch während sie betäubt waren, kleine Proben vom Beugemuskel im durchschnittlich 1,09 Meter langen Vorderbein.

In einem Feldlabor beobachteten sie kurz danach die Reaktionen dieser Muskelzellen und verglichen sie mit denen von Zellen aus den gleichen Muskeln von sieben Kühen. Deren Vorderbeine sind mit 1,28 Meter nur wenig länger. Die Nutztiere waren mit durchschnittlich 770 Kilogramm allerdings dreieinhalbmal schwerer als die Gnus.

Während die Gnumuskeln 62,6 Prozent der Energie in Bewegung umsetzen konnten, arbeiteten die Rindermuskeln mit 41,8 Prozent viel weniger effektiv. Sie produzieren deshalb im lebenden Tier auch deutlich mehr Wärme. Ihren sehr guten Wirkungsgrad erreichen die Muskeln der Gnus, weil sie den wichtigen Energieträger der Zellen namens ATP sehr effizient nutzen. „Das gelingt ihnen mit relativ langsamen Bewegungen und langen Schritten, mit denen sie 97 Prozent ihrer Wege zurücklegen“, erklärt Alan Wilson. Bis auf die ebenfalls für ihr eher gemächliches Temperament bekannten Schildkröten hat bisher kein untersuchter Muskel ähnlich effektive Werte erreicht, berichten die Forscher weiter.

The heat is on

Diese Gemächlichkeit aber zahlt sich gerade in Wüste und Savanne aus. Während ein Gnu bei einer 20 Kilometer langen Tageswanderung in Botswana täglich rund 3,13 Liter Wasser verdunsten muss, um eine Überhitzung seines Organismus durch die Abwärme der Muskelbewegung zu vermeiden, läge der Verlust umgerechnet auf die Effektivität der Kuhmuskeln bereits bei 4,7 Litern. Eine viertägige Wanderung würde schon einen Unterschied von mehr als sechs Litern bedeuten.

Ob andere Wüsten- und Savannentiere ähnliche Strategien und ähnlich effektive Muskeln entwickelt haben, ist noch völlig unbekannt. „Wir arbeiten daran, das bei Zebras herauszufinden“, sagt Wilson. Auf jeden Fall ist Hitzeresistenz ein Teil des Evolutionsrennens, auf den sich Raubtiere offenbar nicht eingelassen haben – vielleicht, weil jeder heiße Tag auch einen kühleren Abend hat. Und wenn es um Fähigkeiten beim Jagduell geht, sind die Muskeln der Jäger immer besser als die ihrer bevorzugten Beute. Das haben Untersuchungen Wilsons an Geparden, Impalas, Löwen und Zebras gezeigt, die im Februar in „Nature“ veröffentlicht wurden. Wäre es anders, sagt Wilson, dann würden sie schlicht viel zu selten Beute machen, um überleben zu können.

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