zum Hauptinhalt
Eine von VroniplagWiki überprüfte Arbeit – die roten Stellen weisen auf Plagiate hin.

© VroniPlag Wiki CC-BY-SA

Plagiate in der Wissenschaft: Universitäten klären unwillig über Plagiate auf

Noch immer befassen sich viele Universitäten nur widerwillig mit Plagiaten – wenn überhaupt. Das zeigen die Reaktionen der Unis auf die Plagiatsdokumentationen auf VroniplagWiki. Zwei Mitwirkende des Portals ziehen Bilanz.

Zum vierten Jahrestag des Plagiatsskandals um Karl-Theodor zu Guttenberg meldeten sich Politik und Wissenschaftsorganisationen zu Wort. Bundesministerin Johanna Wanka stellte fest: „Es besteht Einigkeit, dass dem Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden muss.“ Dorothee Dzwonnek, die Generalsekretärin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), sieht „große Fortschritte“ bei der Betreuung. Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Horst Hippler, verweist auf zahlreiche Aktivitäten und einen noch nicht abgeschlossenen Diskurs.

143 Wissenschafts-Plagiate auf VroniplagWiki

Doch wie gehen Universitäten mittlerweile mit dokumentierten Plagiaten um? In den vergangenen vier Jahren haben wir als Mitwirkende beim VroniPlag Wiki Hochschulen zahlreiche Plagiatsdokumentationen übermittelt. Auf de.vroniplag.wikia.com sind derzeit 143 Fälle von Wissenschaftsplagiaten an 45 Universitäten im In- und Ausland öffentlich gemacht. Jede problematische Stelle ist dem kopierten Original Wort für Wort gegenübergestellt. Jede der rund 20 000 Fundstellen wurde von zwei Personen überprüft. Nur die schwersten Fälle werden namentlich veröffentlicht, sichtbare Spitze eines Eisbergs mit knapp 400 weiteren, bisher weniger schwerwiegenden Fällen. Nur wenige betreffen bekannte Politiker, deutlich mehr plagiierende Wissenschaftler. In 46 der 143 Fälle ist uns eine Entscheidung einer deutschsprachigen Universität bekannt.

Ein Fall liegt an einer Uni drei Jahre. Der Dekan ist dennoch überrascht

Die erfreuliche Nachricht: Es gibt nicht wenige Universitäten, die gründlich und doch zügig untersuchen sowie entscheiden und sich dabei an einschlägige Rechtsvorschriften und Rechtsprechung halten.

Die unerfreuliche Nachricht: Sie sind nicht in der Mehrzahl. Dass viele Universitäten sich eher widerwillig mit Plagiatsfällen befassen, zeigt schon eine einfache Zahl: In etwa einem Drittel der gemeldeten Fälle erhielten wir nicht die erbetene Eingangsbestätigung. Ein Kommissionsvorsitzender erklärte auf Nachfrage, diese sei „eher unüblich“. Manche Fälle schlafen trotz Nachfragen ein, andere wären ohne Nachhaken wohl sanft entschlummert. Im Fall mit der längsten Verfahrensdauer (über drei Jahre, an der Universität Bonn) war der neue Dekan höchst überrascht. Er hatte davon noch nie gehört. (Hier die entsprechende Dokumentation bei VroniplagWiki.)

Einige Plagiatsfälle werden im Vorfeld "entsorgt"

Plagiatsfälle werden gelegentlich im Vorfeld „entsorgt“. Jüngst entschied eine Promotionskommission, den Fall nicht dem zuständigen Fakultätsrat vorzulegen – obwohl die Arbeit fast zur Hälfte zusammenkopiert war. Manchmal werden kritische Stellen vorher aussortiert. So wurde bei einem Fall an der BTU Cottbus im Fachbereich Umweltwissenschaften und Verfahrenstechniken dem auswärtigen Gutachter vorgeschrieben, sich nur zwei der neun bereits dokumentierten Plagiatsquellen anzuschauen (hier der Fall bei VroniplagWiki). Als der Gutachter bei einer der zwei Quellen ein Plagiat sah, entschärfte die Kommission dies durch die Aussage des kopierten Doktorvaters, er fühle sich nicht plagiiert. Die Pressemitteilung der Universität titelt: „Keine Plagiate in der Doktorarbeit von Professor (N.N.)“. Auch der externe Gutachter der DFG sei zu diesem Schluss gekommen.

Hinweisgeber werden nicht informiert

Während manche Universitäten für detaillierte Dokumentationen dankbar sind, halten andere den Überbringer schlechter Nachrichten wohl für den Hauptübeltäter, den es auf Distanz zu halten gilt. Beteiligungs- und Informationsrechte, die viele Hochschulsatzungen als Reaktion auf die großen Wissenschaftsskandale der 1990er Jahre eingeführt haben, werden ignoriert oder umlaufen. Zwingend vorgesehene mündliche Anhörungen werden nicht durchgeführt. Als lästig empfindet manche Universität auch ihre satzungsgemäße Pflicht, Hinweisgeber über das Ergebnis und die wesentlichen Gründe der Entscheidung zu informieren. Die sind auch auf Nachfrage nicht erhältlich. Vielleicht weil es keine vermittelbaren Gründe gibt?

Noch zugeknöpfter gab sich die Universität Innsbruck, als es um die Doktorarbeit eines Berliner Juristen ging. Die Uni weigerte sich, dem Hinweisgeber mitzuteilen, ob der Vorfall überhaupt untersucht würde – weil schon das den guten Ruf des Plagiators diskreditieren könnte. Vielleicht war der Fall schlicht zu peinlich: Die Arbeit war zuvor an der Humboldt-Universität als großflächiges Plagiat aufgeflogen. Der Verfasser reichte sie dann mit kleinen Änderungen in Österreich ein, wo sie angenommen wurde. Und obwohl es sich um einen der gravierendsten und dreistesten Fälle handelt, wurde das Entzugsverfahren offenbar eingestellt. Der Verfasser lehrt als Wirtschaftsrecht-Professor weiterhin an der Hochschule Heilbronn.

Bei Plagiaten von Politikern sind Unis strenger als bei Wissenschaftlern

Ähnliche Ergebnisse lassen sich auch in Deutschland erzielen, zum Beispiel bei der Feststellung von Vorsatz, der für einen Entzug erforderlich ist. Die ständige Rechtsprechung folgert Vorsatz aus der Diskrepanz zwischen gehäuften Plagiaten und der erforderlichen Erklärung, dass man alle Quellen und Zitate ordnungsgemäß gekennzeichnet habe. Manche Universitäten halten offenbar Vorsatz ohne ein Geständnis für nicht nachweisbar. Andere geben sich blauäugig. Bei einer Medizinerin der Universität Heidelberg fanden sich Plagiate auf 75 Prozent der Seiten (hier die VroniPlagWiki-Dokumentation). Die Hälfte des Wortlauts stammt aus der Habilitationsschrift des Doktorvaters, die in der Dissertation nirgends erwähnt ist. Der mittlerweile selbst habilitierenden Autorin beließ man den Titel. Dem Betreuer nahm man ab, dass er seine eigene Habilitationsschrift nicht wiedererkannt habe.

Wiedervorlage mit korrekter Zitierweise - das geht nicht

Normalerweise führt bei Prüfungen jede erkannte Täuschung zum Nichtbestehen, selbst wenn zum Beispiel der Spickzettel nichts genützt hat. So bewertet die Rechtsprechung bei Plagiaten stets die eingereichte Dissertation und nicht, wie sie ohne die inkriminierenden Stellen aussähe – so etwa auch im Fall Schavan. Diese verbotene „geltungserhaltende Reduktion“ auf die nicht beanstandeten Teile (und wer weiß schon, ob die wirklich plagiatsfrei sind?) nehmen aber viele Universitäten vor. Da wird trotz seitenlanger Plagiate der „wissenschaftliche Kern“ der Arbeit für intakt befunden.

Das lässt sich mit nicht vorgesehenen Rechtsfolgen kombinieren. Bei einem Fall an der TU Berlin waren für 32 Prozent der Seiten Plagiate dokumentiert, etwa aus Wikipedia und der Tagespresse. Die TU bestätigte den Doktorgrad mit der Auflage, binnen sechs Monaten die Dissertation „unverändert, aber mit korrekter Zitierweise vorzulegen“. Die Annahme, dass Plagiatoren über ihre Verfehlungen Buch führen und auf Zuruf plagiierte Stellen nachbessern können, erwies sich als irrig. Das verbesserte Werk ist auch zwei Jahre später nicht veröffentlicht.

Auf dünnem Eis bewegen sich Universitäten auch, wenn sie bei massiven Plagiaten lediglich eine Rüge aussprechen und den Doktorgrad bestehen lassen. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf befand im Fall Schavan, bei gravierenden Verstößen bestehe dazu von vornherein kein Anlass, und außerdem fehle es dafür an einer Ermächtigungsgrundlage. Ähnliches dürfte gelten für die in Promotionsordnungen nicht vorgesehene Bestätigung des Doktorgrads bei gleichzeitiger Herabstufung der Note – etwa auf „rite“.

Viele Verfahren gegen Wissenschaftler sind noch nicht entschieden

Geht es um den Entzug des Grades, scheinen Universitäten bei Politikern strenger, bei Wissenschaftlern großzügiger. Insgesamt wurden in den bisher entschiedenen Fällen 59 Prozent der Grade entzogen. Das betrifft 73 Prozent der Fälle von Politikern, aber nur 45 Prozent von Forschern. Nahe liegt, dass man bei bekannten Politikern schneller reagiert. Bei den erfassten Europa-, Bundes- und Landespolitikern dauerte die Entscheidung im Median zwei Monate, bei Wissenschaftlern ein Jahr. Ohnehin sind die Wissenschaftler betreffenden Verfahren nicht einmal zur Hälfte entschieden. Man tut sich mit den Kollegen wohl schwerer. Dabei richten plagiierende Forscher größeren wissenschaftlichen Schaden an als plagiierende Politiker.

DFG und HRK empfehlen aus gutem Grund, das Ergebnis der Fachöffentlichkeit mitzuteilen. Manche Hochschulen kommen dem nach, andere hüllen sich in Schweigen.

Die bisherige Praxis lässt viel Licht und noch mehr Schatten erkennen. Fast alle Fälle von Kontrollversagen ließen sich vermeiden, wenn Hochschulen sich an geltendes Recht und die Empfehlungen der DFG hielten, auch wenn diese stellenweise präziser ausfallen könnten. Manchmal fehlt es an Personal, oft an Kenntnis der Regeln und am guten Willen. Als Bedrohung wird wohl nicht der Verstoß gegen gute wissenschaftliche Praxis empfunden, sondern dessen Bekanntwerden.

- Debora Weber-Wulff ist Professorin für Medieninformatik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, Gerhard Dannemann Professor für Englisches Recht an der Humboldt-Universität. Der Text erschien in einer ersten Version im Magazin „Forschung&Lehre“.

Gerhard Dannemann, Debora Weber-Wulff

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false