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Inflationär? In der Chemie werden 92 Prozent der Absolventen promoviert, in der Germanistik nur acht Prozent.

© picture-alliance/ dpa

Plagiats-Skandale und die Folgen: Der Doktor soll besser werden

Neue Standards für die Promotion: Doktoreltern sollen nicht mehr gutachten und ihren Doktoranden nicht zu viele Tipps geben, empfiehlt der Wissenschaftsrat.

Der Skandal um die gefälschte Dissertation des ehemaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg hat eine Lawine grundsätzlicher Kritik an deutschen Promotionsverfahren ausgelöst. Wegen der Aufregung sah sich der Wissenschaftsrat gefordert, selbst erneut kritikwürdige Merkmale der Promotionspraxis zu identifizieren und Vorschläge zur Abhilfe zu machen – und zwar schnell. Darum erfand das Gremium sogar eine neue Textgattung für sich: die des „Positionspapiers“, die nun neben den herkömmlichen umfassenden „Stellungnahmen“ und „Empfehlungen“ steht.

Die nur 37 Seiten umfassende „Position“, entstanden binnen eines halben Jahres und vorgestellt am Montag in Berlin, empfiehlt den Universitäten ein Bündel von Maßnahmen, die den gesamten Verlauf der Promotion betreffen. So sollen Professoren „textbasierte Arbeiten“ in den Geistes- und Sozialwissenschaften stichprobenartig „anhand von stilistischer Kohärenz oder vermittels geeigneter Plagiatssoftware“ überprüfen. Bei experimentellen Arbeiten müssten die Betreuer die Daten auf ihre Plausibilität und Qualität prüfen.

Der Wissenschaftsrat empfiehlt auch, dass die Betreuer einer Arbeit „langfristig“ nicht mehr zugleich als deren Gutachter auftreten dürfen. Auch soll der Zweitgutachter sein Urteil fällen, ohne das Erstgutachten zu kennen. Bei der Auswahl der Gutachter sollen die Kandidaten in Zukunft kein Mitspracherecht erhalten. Die Auswahl trifft ein neu zu schaffendes „Promotionskomitee“, das den Doktoranden neben seinem Doktorvater oder seiner Doktormutter inhaltlich betreut. Schlagen die Gutachter die Bestnote vor, muss das von einem auswärtigen dritten Professor gebilligt werden. „Wissenschaftliches Fehlverhalten“ liegt vor, wenn wissenschaftliche Mitarbeiter und nicht der betreuende Professor das Gutachten oder Teile davon erstellen.

Der Wissenschaftsrat schlägt vor, die bisher möglichen vier Noten auf zwei zu reduzieren: Die Notenskala werde ohnehin nicht ausgeschöpft, auch würden die Standards für die Bestnote lokal stark variieren. Fortan soll die Note wie in europäischen Nachbarländern entweder „Bestanden“ oder „Mit besonderem Lob/Ausgezeichnet“ lauten. Dieser Punkt habe, anders als von ihm erwartet, im Wissenschaftsrat nicht zu großen Kontroversen geführt, sagte Thomas May, Generalsekretär des Gremiums.

Eine eidesstattliche Erklärung darüber, dass die Arbeit selbstständig verfasst wurde, empfiehlt der Wissenschaftsrat nicht. Mit einer solchen „Verrechtlichung“ sei letztlich eine „Auslagerung“ der Thematik aus der Wissenschaft verbunden, sagte Wolfgang Marquardt, der Vorsitzende des Wissenschaftsrats.

Mit der förmlichen Zulassung der Doktoranden durch das Promotionskomitee will der Wissenschaftsrat „die nicht länger hinnehmbare Unklarheit über die Zahl der Doktorandinnen und Doktoranden in Deutschland“ beseitigen. Bisher ist in Deutschland wenig über die Zahl der Abbrecher und über die Dauer der Verfahren bekannt.

Für Doktoranden wird dann auch eine Art „Zwangsexmatrikulation“ möglich.

Was noch auf die Doktoranden zukommt, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Die Fakultäten sollen einen Prozess beschreiben, der greift, wenn der Doktorand „definierte Zeitpläne“ deutlich überschreitet. So könnte er etwa einen Verlängerungsantrag stellen müssen, wie es von Stipendiaten bereits verlangt wird. Nach dem Ablaufen einer festgesetzten Zeitspanne soll das Promotionskomitee dann vorschlagen, ob das Promotionsvorhaben fortgesetzt werden soll oder nicht.

In einer „Betreuungsvereinbarung“, die der Wissenschaftsrat „flächendeckend“ empfiehlt, sollen Doktorand und Promotionskomitee festlegen, wann der Doktorand seinem Betreuer Bericht über Fortschritte bei der Dissertation erstattet. Während in der aktuellen Debatte immer wieder die Forderung nach einer „engeren Betreuung“ laut wurde, stellt der Wissenschaftsrat jedoch nun klar, dass eine „zu engmaschige“ Betreuung“ vermieden werden muss. Professoren, die im Werden begriffene Dissertationen zu häufig begutachten und dann vom Kandidaten überarbeiten lassen, zerstören den „Charakter der Dissertation als einer selbständigen Forschungsarbeit“. Wie die Fakultäten ehrgeizige Professoren davon abhalten können, sich selbst maßgeblich am Entstehen von Dissertationen zu beteiligen, sagt der Wissenschaftsrat nicht.

Der Wissenschaftsrat warnt vor einer „Tonnenideologie“ bei den Promotionen. Sie könne entstehen, wenn die Universitäten ihre Landeszuschüsse deutlich durch hohe Promotionszahlen steigern können. Aber auch unterschiedliche Fachkulturen könnten zu Inflationen führen. Explizit nennt der Wissenschaftsrat die schon seit Jahren von ihm kritisierte Medizin. Überwiegend entspreche eine Promotion in der Medizin nicht den Standards der Doktorarbeiten anderer naturwissenschaftlicher Fächer. Das Gremium kündigt an, sich des Themas „zu einem späteren Zeitpunkt“ noch einmal gründlicher anzunehmen.

Bislang werden 60 Prozent der Absolventen in der Medizin promoviert, das gleiche gilt für die Biologie. Das wird von Physik/Astronomie (79 Prozent) und Chemie (92 Prozent) noch überboten. Im Maschinenbau promovieren 36 Prozent der Absolventen, in Jura 16 Prozent, bei den Wirtschaftswissenschaften neun Prozent, in Geschichte 20 Prozent und in Germanistik acht Prozent.

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