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Notausgang. Schavan spricht von Flüchtigkeitsfehlern und hofft auf einen Freispruch im Düsseldorfer Verfahren.

© dpa

Plagiatsaffäre: Der Schavan-Check

Galten 1980 andere Zitierregeln? Und verstößt das Verfahren tatsächlich gegen Richtlinien? Die Argumente der Doktor-Debatte im Test.

Seit Mai 2012 diskutiert die Öffentlichkeit über die Doktorarbeit von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU). Die Universität Düsseldorf, von deren erziehungswissenschaftlicher Fakultät Schavan 1980 promoviert wurde, geht dem Verdacht nach, Schavan habe getäuscht. Viele bekannte Persönlichkeiten haben Schavan in den Medien unterstützt und die Uni Düsseldorf für ihr Verfahren kritisiert. Was ist dran an ihren Argumenten?

„Die Uni hat Schavan nicht angehört“

Tatsächlich hat Schavan nur eine schriftliche Stellungnahme eingereicht. Hat sie sich eine mündliche Anhörung überhaupt gewünscht? Auf diese Frage bekommt der Tagesspiegel aus ihrem Ministerium keine Antwort. Allerdings sagen Rechtsexperten, es gebe keinen Anspruch auf eine mündliche Anhörung. Und da es sich um einen kleinteilig zu prüfenden Sachverhalt handle, sei eine mündliche Anhörung wohl auch nicht hilfreich.

„In der Erziehungswissenschaft waren damals die Zitierstandards lockerer“

Diesem von einigen Professoren in der Öffentlichkeit erweckten Eindruck widersprechen andere Pädagogik-Professoren: Die üblichen Zitierregeln (im engsten Sinne) hätten auch in den siebziger Jahren in der Erziehungswissenschaft gegolten – und auch an Pädagogischen Hochschulen. Von einer solchen PH kam Schavans Doktorvater. Bei diesem Argument steht demnach Aussage gegen Aussage. Diejenigen Professoren, die behaupten, die Zitierregeln seien damals andere gewesen, haben dies noch nicht belegt.

„Schavan ist nur ein ,Grenzfall’ – nicht mal VroniPlag wollte ihn öffentlich machen“

Tatsächlich sei die Mehrheit der VroniPlag-Wiki-Aktivisten im Frühjahr 2012 der Auffassung gewesen, dass gegen Schavan nicht genug vorliege, um ihren Fall im Internet öffentlich zu machen, sagt die Informatikerin Debora Weber-Wulff (Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin), die als „WiseWoman“ bei VroniPlag Wiki mitarbeitet. Doch inzwischen habe der frühere Mitstreiter „Robert Schmidt“ auf seiner eigenen Seite „so viel mehr dokumentiert, dass auch ich mit einer Namensnennung und einer Information der betroffenen Hochschule einverstanden wäre“, erklärt Weber-Wulff.

„Es gibt nur einen Gutachter“

Tatsächlich hat die Uni nur einen ihrer Professoren mit der „Sachstandsermittlung“ beauftragt, den Judaisten Stefan Rohrbacher. Rohrbacher hat Schavans Arbeit mit der Forschungsliteratur verglichen und offenbar fehlende Quellenangaben auf 73 Seiten dokumentiert. Auf zwei weiteren Seiten erklärt er, wie er den Fund interpretiert und kommt zu dem Urteil, Schavan habe mit „leitender Täuschungsabsicht“ gehandelt. Mit Rohrbachers „Sachstandsermittlung“ haben sich dann aber im Promotionsausschuss weitere sechs Mitglieder, davon drei Professoren, befasst und dem Fakultätsrat die Aberkennung des Doktorgrads empfohlen. Im nun eröffneten Hauptverfahren im Fakultätsrat müssen weitere 15 Uni-Angehörige, darunter acht weitere Professoren, zu einem Urteil finden. Anders als manchmal behauptet, besteht zwischen den Entscheidern und den Vorprüfern praktisch keine Personalunion. Von den 15 stimmberechtigten Mitgliedern des Fakultätsrats gehört nur ein Professor auch dem Promotionsausschuss an.

„Erziehungswissenschaftler werden nicht angehört“

Tatsächlich hat die Uni keinen Erziehungswissenschaftler in ihren Entscheidungsgremien. In der Öffentlichkeit hat Schavan „externe Fachgutachter“ für sich gefordert. Allerdings hatte Schavan die Möglichkeit, ihrer Stellungnahme selbst Gutachten von Erziehungswissenschaftlern beizulegen – das ist in diesen Verfahren so üblich. Die Mitglieder der Gremien müssen diese Gutachten dann zwingend berücksichtigen. Hat Schavan also erziehungswissenschaftliche Expertisen eingereicht? Auch auf diese Frage bekommt der Tagesspiegel keine Antwort vom Ministerium. Die Uni darf dazu keine Auskunft geben, ihr wurde von Schavans Anwalt ein Redeverbot auferlegt.

"Guttenberg war schlimmer": Stimmt, doch das ist nicht der Maßstab

„Das Verfahren verstößt gegen die Richtlinien der DFG“

Davon kann keine Rede sein. Zwar forderte die Allianz der zehn wichtigsten Wissenschaftsorganisationen die Uni Düsseldorf auf, bei Schavan „übliche Verfahrenselemente“ wie „das Mehraugenprinzip“ oder „eine angemessene Berücksichtigung des Entstehungskontextes“ anzuwenden. Maßgeblich seien die Richtlinien der DFG zur „Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“. Doch in diesen 1998 aufgestellten Richtlinien ist von solchen Anforderungen an Plagiatsverfahren keine Rede. Zentrale von der DFG empfohlene Elemente (ein in Vor- und Hauptverfahren gestuftes Vorgehen, die wissenschaftlichen Mitglieder der Uni sollen das Verfahren in ihren Händen halten) hat die Uni Düsseldorf ganz im Gegenteil erfüllt. Allerdings ist Rohrbachers Gutachten an den „Spiegel“ durchgestochen worden, bevor Schavan es kannte – ein Mangel, mit dem sich später noch ein Gericht befassen wird, sollte Schavan im Falle einer Entziehung ihres Doktorgrads klagen.

„Ohne Computer waren Fehler leichter möglich“

Vor 33 Jahren „gab es noch keine technischen Möglichkeiten, einen Text noch einmal zu überprüfen. Man konnte nur selbst genau lesen und auf die Prüfer vertrauen“, hat Schavan gerade dem „Zeit-Magazin“ gesagt. Damit wollte sie „Flüchtigkeitsfehler“ in ihrer Arbeit erklären. Doch wer handschriftlich aus der Forschungsliteratur exzerpiert, verfährt genauso wie mit einer Word-Datei: Er schreibt als Erstes auf, welcher Quelle die folgenden Exzerpte entstammen. Überträgt er die Passage später in die Dissertation, setzt er eine Fußnote.

„Guttenberg war schlimmer“

Das scheint zu stimmen. Doch die Arbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg ist nicht der Maßstab, an dem sich fortan Unis und Gerichte orientieren. Klaus Ferdinand Gärditz, Professor für Öffentliches Recht in Bonn und Kenner von Plagiatsverfahren, erklärt: „Ich kenne Gerichtsurteile, da ging es um fünf oder sechs Seiten in einer 350-seitigen Dissertation; und das hat für die Entziehung gereicht.“ Es gebe eine Bagatellgrenze, auch diese „wird sich aber nicht quantitativ ziehen lassen“. In der – allerdings „eher spärlichen Rechtsprechung“ – gehe es eher um die Qualität der Täuschung als um die Quantität. Rohrbachers Gutachten moniert in Schavans Dissertation 60 Passagen.

„Die Unis sind sich nicht einig, was ein Plagiat ist“

Schavan hat gesagt, es wäre gut, wenn die Unis „ein gemeinsames Verständnis“ darüber, was ein „Plagiat“ ist, entwickeln würden und einen „Kodex zum wissensgerechten Umgang mit Plagiatsvorwürfen“ schaffen könnten. Der Eindruck entsteht, es gehe an den Hochschulen willkürlich zu. So ist es aber nicht. Der Jura-Professor Gärditz verweist darauf, dass es akademische Standards guter wissenschaftlicher Praxis gibt, die in Leitfäden für Studierende, in der tradierten Fachkultur oder in Erklärungen von Wissenschaftsorganisationen formuliert sind. Dass es bei Plagiatsvorwürfen immer um komplexe Einzelfälle gehe, sei nicht zu ändern, „ebenso wenig wie der Streit über Details“. Das sei aber in allen Rechtsgebieten so.

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