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Vorsorge. Nur wenn genügend Kinder gegen Polio geimpft sind, kann sich das Virus nicht ausbreiten

© AFP

Polio: Die Kinderlähmung ist nach Afrika zurückgekehrt

Zwei Jahre lang galten alle Übertragungsketten in Nigeria als gestoppt. Doch Polio hatte sich in einer Konfliktregion versteckt.

Die Terroristen von Boko Haram versetzen nicht nur die Bevölkerung im Nordosten Nigerias in Angst und Schrecken. Ihre Angriffe haben zusätzlich eine Situation geschaffen, in der sich das Polio-Virus unbemerkt ausbreiten konnte. In der Provinz Borno hat es nun abermals zwei Kinder gelähmt, teilte die Weltgesundheitsorganisation WHO mit.

Die Nachricht ist ein Rückschlag für den ganzen Kontinent. Zwei Jahre waren seit dem letzten Poliofall in Nigeria vergangen. Experten waren optimistisch, dass alle Übertragungsketten unterbrochen sind. 2017 sollte Afrika als poliofrei gelten – ein Meilenstein im Kampf gegen ein Virus. Nur noch in Afghanistan und Pakistan sei es heimisch, verkündete die Global Polio Eradication Initiative. Ein Trugschluss, wie sich nun herausstellt. Zu den 19 Fällen, die in der asiatischen Krisenregion seit Jahresbeginn gezählt wurden, kommen zwei aus Borno.

Immer wieder wurden Impfhelfer erschossen

Die Kinderlähmung war dort nie ganz verschwunden, zeigt die Erbgutsequenz der Viren, die die beiden Kinder krank gemacht haben. Denn sie ähneln am ehesten einem Poliostamm, der 2011 in der gleichen Gegend identifiziert wurde. Völlig unerwartet sei das nicht, schreibt die WHO. Schließlich habe man 500.000 Kinder in den beiden letzten Jahren nicht mit Impfaktionen erreicht. „Ruhezeiten“ zwischen den Kämpfen zu vereinbaren, war mit Boko Haram nicht möglich. Immer wieder wurden Impfhelfer erschossen.

Die Bezirke Gwoza und Jere, in denen Polio nun erneut Opfer fand, wurden jahrelang terrorisiert. Boko Haram richtete Massaker an, tötete das Vieh und zerstörte Lebensmittel. Erst vor kurzem wurden manche Städte und Dörfer durch Einsätze der Armee gesichert. Allein in Borno sind 1,6 Menschen auf der Flucht, in der Region um den Tschadsee sind es 2,7 Millionen. Viele Kinder sind unterernährt oder haben Durchfälle. Bereits vor den beiden Polio-Fällen sprach die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ von einem Gesundheitsdesaster und mahnte, dass Hilfe dringend nötig sei.

Flüchtlingsströme und Kämpfe erschweren die Notfall-Impfaktionen

Dass es in Krisenregionen Polio-Ausbrüche gibt, ist nichts Neues. „Das Virus ist dort, wo es gerade gefährlich ist“, sagt Jay Wenger, der Direktor der Polioprogramms der Bill & Melinda Gates Foundation. So war es in Syrien, im Irak, so in Somalia. Allerdings wurde das Virus in diesen Fällen von außen eingeschleppt. Nun haben Gesundheitsschützer erstmals entdeckt, dass es sich vor Ort jahrelang unbemerkt verbreiten konnte.

Wie groß das betroffene Gebiet ist und wie viele Fälle es wirklich gibt, ist noch unklar. Flüchtlingsströme und Kämpfe erschweren zudem das Ziel, durch fünf riesige Notfallimpfaktionen weitere Kinder vor der Lähmung zu bewahren und die Übertragungsketten so schnell wie möglich zu stoppen. „Wir untersuchen den Ausbruch im Moment“, sagt Michel Zaffra, der bei der WHO in Genf für die Ausrottung von Polio zuständig ist. So sei im Moment noch nicht bekannt, woher die beiden Kinder stammen. Die geplanten Impfaktionen sind daher nicht auf Borno beschränkt, sondern schließen die Nachbarstaaten ein. Gleichzeitig verhandele man intensiv mit lokalen Größen und mit religiösen Autoritäten, so dass sie die Impfung nicht verbieten. Lokalen Impfhelfern werde außerdem mehr Vertrauen entgegen gebracht. „Die Situation ist kompliziert“, sagt Zaffra. Dennoch bleibt er optimistisch. „Wir haben das in der Vergangenheit auch geschafft.“

2016 sollten alle Übertragungsketten unterbrochen sein - weltweit

Die Welt könne sich Gleichgültigkeit nicht leisten, sagt er – nicht so kurz vor dem Ziel. Pakistan und Afghanistan hätten enorme Fortschritte gemacht. Noch 2016 sollten alle Übertragungsketten unterbrochen sein. Weltweit. Auch die amerikanische Seuchenbehörde CDC betont, dass der Rückschlag nichts an dem Ziel ändere, Polio zu besiegen. Man müsse jetzt die Anstrengungen verdoppeln.

Nigeria gilt als vorbildlich im Kampf gegen Polio. So hat sich das Seuchenüberwachungssystem mit seinen Notfallzentren während der Ebola-Krise bewährt. Der Norden des Landes wurde während der im Detail geplanten Polio-Impfaktionen zum ersten Mal seit der Kolonialzeit genau kartiert. Wenn die Impfhelfer heute von Haus zu Haus gehen, registrieren sie außerdem Neugeborene und informieren die Mütter, welche Dienstleistungen sie in Anspruch nehmen können. In schwer zugänglichen Regionen, in denen die Menschen fast nie einen Arzt oder eine Krankenschwester sehen, errichten sie jeweils für ein paar Tage „Health Camps“. Dort gibt es nicht nur Tropfen gegen Polio, sondern auch andere Impfungen, Vitamin-A-Präparate, Mittel für unterernährte Kinder und eine fachkundige Untersuchung.

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