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Position: Für eine pessimistische Sicht auf das Alter gibt es keinen Grund

Die Zukunft sieht düster aus. Jedenfalls wenn man den Zeitungen und Zeitschriften glaubt. Dort sind immer wieder pessimistische Prognosen über die Gesundheit älterer Menschen zu lesen.

Mit der Überschrift „Deutschland 2050 – alt, krank, teuer“ hat etwa die „Frankfurter Allgemeine“ vor einiger Zeit ihre Leser konfrontiert und dabei Bezug auf eine Untersuchung des Gesundheitsökonomen Fritz Beske genommen. Das Fazit seiner Studie: Die Zahl kranker Alter nimmt zu und mit ihr wächst auch der Bedarf an Betreuung und Behandlung. Wegen der Alterung der Gesellschaft mangele es aber an ärztlichem und pflegerischem Personal.

Tatsache ist: Wir werden immer älter. In Deutschland wie in vielen anderen Ländern hat die Lebenserwartung in den letzten 40 Jahren um fast zehn Jahre zugenommen. Anders ausgedrückt: Wir werden jeden Tag 24 Stunden älter, aus biologischer Sicht sind es aber nur 18 Stunden. Diese eindrucksvolle Zunahme der Lebenserwartung, die dazu geführt hat, dass Frauen heute im Durchschnitt über 82 Jahre und Männer über 77 Jahre alt werden, stimuliert natürlich die Frage, ob die gewonnenen Lebensjahre als gesunde Jahre gelebt werden oder ob die Menschen das Älterwerden mit Krankheit, Behinderung und Pflegebedürftigkeit „erkaufen“.

Für Deutschland und andere westliche Länder wissen wir, dass die Zunahme der Lebenserwartung fast zur Hälfte durch einen Rückgang der Sterblichkeit an Herzkreislaufkrankheiten erklärt werden kann. Weltweite Studien wie das „Monica“-Projekt der Weltgesundheitsorganisation haben gezeigt, dass das zu zwei Dritteln darauf zurückzuführen ist, dass weniger Menschen neu erkranken und zu einem Drittel auf eine verminderte Sterblichkeit nach Infarkten. Dies bedeutet, dass das Neuauftreten von Herzkreislaufkrankheiten in höhere Altersgruppen verschoben wird und eine sogenannte Kompression der Morbidität stattfindet. Die Zeit zwischen Hinfälligkeit und Tod wird also verkürzt.

Für die USA konnte belegt werden, dass die Behinderungsrate in den letzten 25 Jahren um jährlich zwei Prozent zurückging, während die Sterblichkeit jährlich nur um ein Prozent abnahm. Der Beginn von Behinderungen wurde also in höhere Altersgruppen verschoben. Hinweise zur Kompression der Morbidität gibt es auch für Deutschland, zum Beispiel weisen die Daten des Augsburger Herzinfarktregisters darauf hin, dass koronare Herzkrankheiten immer später auftreten. Dies bedeutet, dass die Zahl der gesunden Lebensjahre zugenommen hat.

Insgesamt ist die gesunde Lebenserwartung in Deutschland in den letzten Jahren stärker gestiegen als die allgemeine Lebenserwartung. Krankheiten, die Behinderungen verursachen, verschieben sich in höhere Altersgruppen.

Für eine pessimistische Sicht gibt es also keinen Grund. Das hat auch die Akademiengruppe „Altern in Deutschland“ (bestehend aus Leopoldina und Akademie der Technikwissenschaften) in einem dreijährigen Forschungsprojekt bestätigt. Die Ergebnisse dieses Projektes wurden in neun Bänden dokumentiert und im März 2009 veröffentlicht – allerdings nahm die Öffentlichkeit bislang erstaunlich wenig Notiz davon.

Im neunten Band werden unter anderem 15 gängige Legenden über das Alter widerlegt. Legende Nummer neun: „Steigende Lebenserwartung bedeutet mehr Krankheit und Pflege“. Das ist falsch. Die Begründung: „Gesundheitliche Einschränkungen und chronische Behinderungen im Alter haben sowohl bei Männern als auch bei Frauen im Vergleich zu früheren Jahren abgenommen. Die durchschnittliche gesunde Lebenszeit jenseits des 65. Lebensjahres ist allein in der Dekade der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts um zweieinhalb Jahre für Männer und um eineinhalb Jahre für Frauen gestiegen. Herzinfarkt und Schlaganfall werden in höhere Altersgruppen verschoben und werden dank des medizinischen Fortschritts heute öfter überlebt. Beeinträchtigungen durch diese Erkrankungen werden seltener, und sie können mit modernen technischen und medizinischen Hilfsmitteln heute besser ertragen werden.“

Eine Reihe von Studien zeigt auch, dass sich Werte wie Herzfrequenz, Muskelkraft und Lungenfunktion von Generation zu Generation positiv verändert haben. Die biologische Leistungsfähigkeit eines heute 60-Jährigen entspricht im Durchschnitt derjenigen eines 55-Jährigen der vorherigen Generation. Die vorliegenden Daten sprechen also dafür, dass die heute älteren Menschen „fitter“ sind als die entsprechenden Altersgruppen früherer Generationen. Vor diesem Hintergrund erscheint es auch gerechtfertigt und sinnvoll, das Rentenalter zu erhöhen, beziehungsweise es flexibel zu gestalten und damit der Rentenkasse etwas Gutes zu tun und dem Mangel an Erwerbstätigen entgegenzuwirken.

Im hohen Alter nimmt allerdings die Zahl von Demenzkranken zu. Während von den Unter-70-Jährigen weniger als fünf Prozent unter einer Demenz leiden, ist bei den Über-90-Jährigen ein wesentlich höherer Anteil betroffen. Aber auch bei der Demenz ist Fatalismus fehl am Platze, denn insbesondere der Demenz, die sich auf Grund von Gefäßverkalkungen im Gehirn entwickelt, lässt sich aus heutiger Sicht gut vorbeugen.

Es gibt also keinen Grund zu klagen, die deutsche Bevölkerung werde zu alt, zu schwach, zu teuer. Im Gegenteil: Zu bedauern ist, dass nach wie vor, fast jeder fünfte Mann und fast jede zehnte Frau vor Erreichen des 65. Lebensjahres versterben. Dabei spielen Krebserkrankungen, Unfälle und auch Herzkreislauferkrankungen eine wichtige Rolle. Gerade die lassen sich aber durch Gesundheitsförderung, bessere Prävention und bessere Behandlung verhindern.

Ulrich Keil ist emeritierter Professor am Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin an der Universität Münster und leitet dort das WHO-Kooperationszentrum für Epidemiologie und Prävention von Herzkreislauf- und anderen chronischen Krankheiten.

Ulrich Keil

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