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POSITION: Nur viele Wege führen zum Ziel

Warum Verbote in der Stammzellforschung keine Hilfe sind, kommentiert der Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Günter Stock.

An welchen Stammzellen soll geforscht werden? Der Streit dreht sich um adulte und embryonale Stammzellen. Die jüngste Geschichte hat uns gezeigt, dass wir in der Tat beide Forschungsansätze brauchen, um ausreichend lernen zu können und um beispielsweise die Reprogrammierung von differenzierten Hautzellen in „pluripotente Alleskönner“ einzuleiten und diese somit quasi zurückzuverwandeln.

Da sind zum einen die Ergebnisse aus Japan und den USA zur Reprogrammierung somatischer, differenzierter Zellen. Sie sind ein großartiger Erfolg. Es stellt sich die Frage, wann es gelingen wird, diese Technologie so weit zu entwickeln, dass sie in der Medizin anwendbar ist.

Da ist es nicht verwunderlich, dass die Experimente der Biotechnik-Firma Stemagen eine neue Debatte zum therapeutischen Klonen ausgelöst haben. Stemagen war es gelungen, menschliche Embryonen aus Hautzellen zu klonen. Brauchen wir diese Art von Forschung noch – jetzt, da wir vielleicht bald Zellen umprogrammieren können, ohne dazu Embryonen zu benötigen?

Ich plädiere dafür, verschiedene Wege zur Regenerativen Medizin einzuschlagen, um schließlich Therapien zur Bewältigung wichtiger und schwerer chronischer degenerativer Erkrankungen (wie Diabetes, Multiple Sklerose, Alzheimer, Herzinfarkt und viele andere mehr) zur Verfügung zu haben.

Ich verstehe sehr gut, dass die rasche Folge von wichtigen und auch für unsere Vorstellungen über die Biologie des Lebens revolutionären Ergebnissen eine große Herausforderung darstellen. Die Zahl der Fragen, die nicht eindeutig zu beantworten sind, nimmt zu, wobei wir alle genau wissen, dass nicht nur für das Hier und Heute zu entscheiden ist, sondern gerade im Hinblick auf Forschungsergebnisse auch immer das Morgen und das Übermorgen mitzubedenken ist.

Bei Entwicklungszyklen für neue Therapieformen von 15 bis 20 Jahren erkennt man sofort, wie groß die Herausforderungen an das allgemeine Verständnis sind. Forschungsverbote sind jedoch keine Hilfe. Hilfreich sind eher Mechanismen und Prozesse, die eine regelmäßige und kontinuierliche Nutzen-Risiko-Abwägung erlauben, um ein Lernen mit und aus dem Fortschritt zu ermöglichen, aber vor allem um zu sehen, ob wir das, was uns die Forschung gezeigt hat, auch praktisch anwenden und umsetzen wollen.

Eine Gesellschaft, die mit großer Genugtuung erlebt, wie bei gestiegener Lebensqualität das Lebensalter zunimmt, muss die Möglichkeiten, welche die regenerative Therapie bietet, wollen, unterstützen und dann eines Tages nutzen. Die Reprogrammierung von differenzierten Körperzellen, aber auch das therapeutische Klonen sind Methoden, die eventuell und hoffentlich zu diesem Ziel führen. Noch kennen wir nicht den einzigen Königsweg zur Regenerativen Therapie.

Eine Gesellschaft, deren Mitglieder zu wenig Organe für lebensrettende Organtransplantationen zur Verfügung stellen, eine Gesellschaft, die weiß, dass es eine nicht geringe Anzahl von Patienten gibt, die nach Herztransplantationen unter Umständen jahrelang seelisch betreut werden müssen, weil einige von ihnen Schwierigkeiten mit dem Gedanken haben, mit dem Organ eines verstorbenen Menschen leben zu dürfen (und zu müssen) – eine solche Gesellschaft muss nach therapeutischen Alternativen suchen.

Die Regenerative Therapie ist jedoch auch eine Möglichkeit, die Kosten jahrelanger Therapie und/ oder Pflege zu minimieren, und die Sorge um die Gesundheitskosten in einer älter werdenden Gesellschaft ist für unsere Gesundheitsdebatten ein durchaus relevanter Faktor. Die zu gewinnende Lebensqualität ist ein zusätzlicher Faktor.

Ein Forscher hat nicht die Aufgabe, den Zeitgeist zu bedienen. Forscher legen die Grundlage für das, was oftmals erst viele Jahre später praktisch umsetzbar sein könnte. Forscher leben zwar in der Gegenwart , aber gleichzeitig gedanklich auch in der Zukunft dessen, was eines Tages praktisch machbar sein könnte. Nicht umsonst ist Forschungsfreiheit ein so hohes Gut in unserer Gesellschaft. Schreckensszenarien und Science-Fiction-Schilderungen können und dürfen daher nicht den Dialog über die vor uns liegenden medizinischen, sozialen und ethischen Fragen dominieren!

Der Autor ist Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

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