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POSITION: Recht auf Kind und Karriere

Was die Politik tun muss, damit Wissenschaftlerinnen zwei Lebensaufgaben schaffen

Sinkende Geburtenzahlen und die zunehmende Alterung der deutschen Gesellschaft gehören zu den wichtigsten Themen politischer Zukunftsdebatten. Gleichzeitig gewinnt Bildung in postindustriellen Gesellschaften rasant an Bedeutung. Frauen jedoch, die eine Ausbildung, ein Studium oder Fortbildungen absolvieren möchten, sehen sich nach wie vor häufig vor die Wahl zwischen Kind und Karriere gestellt. Der Mangel an hoch qualifiziertem Personal und der Anteil von Frauen in leitenden Positionen werden sich aber nur zum Positiven ändern, wenn die Vereinbarkeit von Familie und Karriere durch die Politik massiv gefördert wird.

Wir sind hoch qualifizierte Berliner Wissenschaftlerinnen, die sich nicht für Kind oder Karriere entscheiden wollen, sondern die in der Vereinbarkeit beider Lebensaufgaben ein gesellschaftliches Grundrecht sehen. Unser Anliegen ist es, dafür zu sorgen, dass Frauen in Zukunft nicht mehr zugunsten des beruflichen Fortkommens auf Kinder verzichten oder ungewollte Kinderlosigkeit riskieren. Eltern sollen durch die Entscheidung für ein Kind nicht mehr beruflich zurückstecken müssen. Wissenschaftlerinnen mit Kindern sehen einen engen Zusammenhang zwischen dem erfolgreichen Verlauf ihrer Karrieren und der Unterstützung durch Kinderbetreuungsmöglichkeiten, wie sie im Berliner Raum verstärkt angeboten werden.

Unsere Forderungen richten wir an alle verantwortlichen Politiker – und stellen sie damit öffentlich zur Diskussion: Wir fordern ein gesetzlich festgeschriebenes Recht auf erschwingliche und flexible Kinderbetreuung durch pädagogisch geschultes Personal ab dem dritten Lebensmonat des Kindes. Kinder müssen bereits im Vorschulalter optimal gefördert werden. Wir fordern ein flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen mit überzeugenden pädagogischen Konzepten und deutlich mehr Personal. Schulkinder sollen bis einschließlich sechste Klasse zuverlässig bis mindestens 17 Uhr betreut und ihren Fähigkeiten und Neigungen entsprechend gefördert werden.

Im wissenschaftlichen Bereich müssen Altersgrenzen für Ausbildungsprogramme, Stipendien, Einstellungen usw. durch Zeitgrenzen für Qualifikationsphasen ersetzt werden. Erziehungsarbeit (auch berufstätiger Eltern) muss dabei konsequent anerkannt werden, um die Entscheidung für Kind und Karriere nachhaltig zu unterstützen. Die vom Gesetzgeber bereits erlassenen Teilzeitregelungen für Eltern müssen von der Politik durch gezielte Förderung bei den Arbeitgebern ergänzt werden.

Wir fordern zudem eine Informationspflicht zu bestehenden Möglichkeiten der Arbeitszeitreduktion seitens des Arbeitgebers. Für befristete Arbeitsverhältnisse fordern wir eine automatische Vertragsverlängerung um die durch Teilzeit eingesparte Zeit. Gleitarbeitszeit als Form der kreativen Arbeitszeitgestaltung sowie flexible Formen der qualifizierten Kinderbetreuung müssen von der Politik und den Arbeitgebern gefördert werden. Die wissenschaftlichen Einrichtungen und Universitäten sollten hierbei eine führende Rolle spielen.

Der Automatismus, dass Frauen für die Kindererziehung sorgen, sollte im offiziellen Sprachgebrauch nicht mehr auftauchen. Es sollte zur gesellschaftlichen Norm werden, dass Männer einen gleichberechtigten Anteil der alltäglichen Erziehungs- und Hausarbeit übernehmen.

Als positives Signal werten wir die Einführung des Elterngeldes, das es berufstätigen Frauen ermöglicht, Kinder zu bekommen, ohne erhebliche finanzielle Einbußen hinnehmen oder sich in finanzielle Abhängigkeiten begeben zu müssen. Nachbesserungsbedarf sehen wir hier allerdings für die Zeit nach dem ersten Lebensjahr und für Personengruppen wie Erwerbslose oder Studierende. Sie sollten nicht schlechter gestellt werden als nach der alten Regelung.

Wir begrüßen die von den Wissenschaftsorganisationen initiierte Offensive für Chancengleichheit und erwarten eine zügige Durchsetzung von Maßnahmen für eine leistungs-, gleichstellungs- und familienorientierte Umgestaltung des Wissenschaftssystems.

Annette Vowinckel ist Mitarbeiterin am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, Birgit Stürmer ist Psychologin an der Humboldt-Universität. Sie gehören zu den Erstunterzeichnerinnen des hier in gekürzter Form abgedruckten Aufrufs der „Berliner Wissenschaftlerinnen-Initiative für Kind und Karriere“, den jetzt auch die Präsidenten aller Berliner Universitäten unterzeichnet haben. Die Initiative im Internet: www.profil-programm.de

A. Vowinckel, B. Stürmer

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