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Preußen und Ägypten: „Ein Abenteuer von ungewissem Ausgang“

Vor 165 Jahren reiste Richard Lepsius für drei Jahre mit einer preußischen Expediton nach Ägypten. Von Michael Zajonz

In grauen stählernen Archivschränken schlummert das Drehbuch seines wissenschaftlichen Erfolgs: 2500 Zeichnungen und knapp hundert flache Kisten in Form nachgebildeter Bücher, mit imitierten Lederrücken und aufgeklebten Etiketten. Darauf hat Richard Lepsius, der Mitbegründer der modernen Ägyptologie, vor über 150 Jahren handschriftlich die Stationen seines großen Abenteuers notiert: Gisa und Sakkara, Fayum, Theben, Philae…

In den Buch-Kisten lagern unzählige Papierabklatsche altägyptischer Grab- oder Tempelreliefs, abgenommen durch Teilnehmer der von Lepsius geleiteten königlich-preußischen Expedition nach Ägypten 1842 bis 1845, von ihm persönlich sortiert und beschriftet. Für einen Abklatsch wird nasses Papier mit einer Bürste fest an den Stein angeschlagen und bildet – im getrockneten Zustand – die eingemeißelten Hieroglyphen und Figuren plastisch und maßgetreu ab. Abklatsche dienen dazu, mit ihrer Hilfe abgeformte Inschriften nach der Rückkehr in aller Ruhe analysieren, transkribieren, übersetzen zu können.

Aufbewahrt werden die fragil wirkenden Papierreliefs heute zusammen mit den Zeichnungen und Plänen der Expeditionsteilnehmer im Akademieflügel der Staatsbibliothek Unter den Linden. Der Ägyptologe Stephan J. Seidlmayer, Leiter der Arbeitsstelle Altägyptisches Wörterbuch der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und Professor an der Freien Universität, ist für den Bilderschatz der preußischen Ägypten-Expedition verantwortlich. Er und seine Mitarbeiter eröffnen am 29. November eine Ausstellung zu Lepsius und seinen Männern im Museum für Islamische Kunst im Pergamonmuseum.

Seidlmayer bewundert die wissenschaftliche und körperliche Leistung der Expeditionsteilnehmer. Bis in den heutigen Sudan sind die Preußen, junge Männer um die Dreißig, damals vorgedrungen. „Keine Routinetour, sondern ein echtes Abenteuer mit ungewissem Ausgang“, meint der Ägyptologe. Mindestens einmal habe man das eigene Leben riskiert, obwohl Lepsius generalstabsmäßig geplant hatte. Und zum ersten Mal reisten Forscher in das ehemalige Reich der Pharaonen, denen wissenschaftliche Standards mindestens so viel bedeutet haben wie die Inbesitznahme archäologischer Objekte.

Zwar hat auch Lepsius mit wohlwollender Genehmigung von Mehmed Ali, dem osmanischen Vizekönig Ägyptens, rund 1500 altägyptische Kunstwerke und Gebrauchsgegenstände für die erst wenige Jahre zuvor gegründeten Berliner Museen ausgeführt. Doch mindestens ebenso wichtig nahmen die Preußen die methodisch penible Dokumentation ihrer Forschungsarbeit. Die von Lepsius ausgewählten Fachleute – darunter der Architekt und Bauforscher Georg Gustav Erbkam, der Maler Johann Jacob Frey, der Bildhauer Joseph Bonomi, die Zeichner Ernst und Max Weidenbach sowie der Gipsformer Carl Franke – erforschten alle aufgesuchten Monumente in Wort, Zeichnung, Aufmaß und Plan. Zur Ehre der Wissenschaft. Preußisch präzise.

Lepsius war eine Forscherpersönlichkeit, wie sie nur das 19. Jahrhundert hervorbringen konnte: Feldforscher und Systematiker, Abenteurer und Akademiker. Die noch junge Ägyptologie fiel dem 1810 in Naumburg geborenen klassischen Philologen beinahe in den Schoß. 1833 suchten Alexander von Humboldt und der preußische Gesandte in Rom Carl Josias von Bunsen einen jungen Wissenschaftler, der in die Fußstapfen des im Vorjahr verstorbenen Entzifferers der Hieroglyphen Jean François Champollion treten könnte – und bestürmten damit Lepsius.

Dieser nahm die Karriereumplanung zunächst nur zögernd in Kauf, um sich dann jedoch mit umso beeindruckenderem Tempo in das noch umstrittene Lebenswerk des großen Franzosen einzuarbeiten. Als Lepsius Ende der 1830er Jahre die preußische Forschungsexpedition nach Ägypten und Nubien zu planen beginnt, gehört er zu den internationalen Koryphäen seines Fachs. Den Reiseplan genehmigt Friedrich Wilhelm IV. im Dezember 1840, nur wenige Monate nach seiner Thronbesteigung – und erhöht die beantragten Mittel auf das Doppelte. Im Spätsommer 1842 kann es endlich losgehen.

Über Kairo reist man nach Gisa und Sakkara, wo sich das Expeditionsteam erstmals nicht nur über das Wozu, sondern auch über das Wie des Pyramidenbaus Gedanken macht. Am 15. Oktober 1842, Königs Geburtstag, weht über der Cheopspyramide der Preußenadler. Bei Hawara gelingt es, in unansehnlichen Ziegelmauern das berühmte, von Herodot beschriebene Labyrinth zu identifizieren. Immer weiter südlich geht es, über Beni Hassan nach Luxor und Abu Simbel, bis weit in die nubische Wüste. Überall suchen Lepsius’ Männer nach Tempeln und Grabanlagen, die frühere Forschungsreisende übersehen oder nicht systematisch genug aufgenommen hatten. Sie zeichnen und messen Bestandspläne und Wanddekorationen, nehmen mit Hilfe der Camera lucida, einem optischen Projektionsgerät mit mehrern Linsen, berückend schöne topografische Panoramaansichten und Inschriften auf und aquarellieren diese anschließend. Es ist die letzte große Expedition, die ohne die Fotografie auskommen muss.

Seine sprachwissenschaftliche Prägung hat Lepsius an den Nil begleitet. Sein Ziel war eine (nicht ganz lückenlos erreichte) Chronologie aller Pharaonen, um vor allem die Geschichte des Alten Reichs anhand der gefundenen Inschriften erzählen zu können.

Monumentales Endresultat der knapp dreijährigen Expedition – und bis heute ein Standardwerk jeder ägyptologischen Fachbibliothek – sind die „Denkmaeler aus Aegypten und Aethiopien“. Die insgesamt zwölf Bände mit 900 großen Abbildungen sowie Text- und Ergänzungsbände sind zwischen 1849 und 1913 in Berlin erschienen. Sie dokumentieren, was inzwischen vielerorts für immer verschwunden ist.

Noch etwas anderes macht Lepsius' Lebensleistung anschaulich. Schon während der Reise enwickelte er mit Erbkam und den Brüdern Weidenbach Ideen für einzigartige Raumdekorationen für die Ägyptische Abteilung des im Bau befindlichen Neuen Museums in Berlin, die er später in seinen Entwürfen in Berlin umsetzte. Selbst wenn der Ägyptische Hof mit den exakt nachgebildeten Säulen des Ramesseum im Zweiten Weltkrieg untergegangen ist, wird das Neue Museum nach seiner Generalsanierung ab 2009 ein zentraler Erinnerungsort für Lepsius sein. Seine Büste wird wieder unter den Kolonnaden des Gebäudes aufgestellt werden.

Im Vorgriff darauf haben die Staatlichen Museen zu Berlin im November 2006 in engster Zuammenarbeit mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften eine Lepsius-Ausstellung gezeigt – im weltberühmten Ägyptischen Museum in Kairo. Zur Eröffnung kamen neben Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, und Museums-Generaldirektor Peter-Klaus Schuster auch der Chef der ägyptischen Antikenverwaltung Zahi Hawass. Ein Politikum.

Die Ausstellung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften im Islamischen Museum will nun andere Facetten der preußischen Ägypten-Expedition beleuchten. Wie das Verhältnis – oder eigentlich: Nicht-Verhältnis – der preußischen Protestanten zur islamisch geprägten Gegenwart von 1842. Deutlicher als bisher sollen auch die einzelnen Expeditionsteilnehmer in ihren Leistungen gewürdigt werden. Etwa der Bauforscher und Architekt Erbkam, dessen Bauaufnahmen und Lagepläne noch heute durch ihre Präzision verblüffen. Seidlmayer, der selbst in Dahschur ein Grabungsprojekt leitet, hat einen Erbkam-Plan nachgemessen: „Der ist sehr sehr genau.“

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