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Promis mit Burnout: Was ist psychisch krank?

Viele Promis haben sich zum Burnout bekannt. Das könnte helfen, das Stigma psychischer Krankheiten zu mildern, glauben Experten. Es wirft aber auch die Frage auf: Wo endet die Gesundheit des Geistes?

Die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Freiburg genießt einen ausgezeichneten Ruf. Trotzdem war dem gut aussehenden Mittfünfziger der Gedanke peinlich, beim Verlassen des Gebäudes von Bekannten gesehen zu werden. Schließlich war er Pilot. Eine psychische Krankheit passte da ausgesprochen schlecht ins Image. Das scheint sich inzwischen geändert zu haben. „Seit der Burnout-Welle kann mein Patient offen darüber reden, dass er hier behandelt wird. Er hat festgestellt, dass auch einige Kollegen betroffen sind“, berichtet Mathias Berger, der die Klinik leitet.

Eigentlich dürfte das Bergers Patient gar nicht überraschen. Eine Studie des Robert-Koch-Instituts hat ergeben, dass fast jeder vierte männliche und jede dritte weibliche Erwachsene im Jahr 2011 zumindest zeitweilig unter psychischen Störungen wie Depressionen oder Schlafproblemen litt. Und bei einer von fünf Frauen zwischen 45 und 65 Jahren wurde schon einmal eine Depression diagnostiziert. Nur redet kaum jemand darüber. Negative Klischees wie das vom „gewalttätigen“ Schizophrenen oder der Depressiven, die sich nur „ein bisschen mehr zusammenreißen“ müsste, machen vielen Menschen Angst. Die Stigmatisierung psychisch Kranker treffe sie und ihre Angehörigen wie eine „zweite Krankheit“, heißt es beim Aktionsbündnis Seelische Gesundheit, einer Initiative der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN).

Das ist beim Burnout anders. Burnout kann man zugeben. Burnout gilt als die Krankheit der Tüchtigen. Wer ausgebrannt ist, muss schließlich einmal für etwas gebrannt haben, das liegt schon sprachlich nahe. Seit Prominente wie Mariah Carey sich outen und sogar, wie Miriam Meckel, Bücher darüber schreiben, ist Burnout irgendwie in Ordnung. „Als Türöffner für Gespräche über seelische Erkrankungen ist der Begriff ein Segen, es wirkt der Tabuisierung entgegen“, sagt deshalb Bergers Kollege Wolfgang Maier, Direktor der Klinik für Psychiatrie an der Uni Bonn. Die beiden Psychiatrieprofessoren begrüßen das, sie wünschen sich eine Gesellschaft, in der über seelische Leiden so offen gesprochen werden kann wie über erhöhte Cholesterinwerte oder schmerzende Kniegelenke.

„In dieser Gesellschaft werden wir ein Wort wie Burnout nicht mehr nötig haben“, fügt Berger aber sofort hinzu. Denn auch wenn es ein Türöffner ist, ist das Wort mit Risiken und Nebenwirkungen behaftet: Zum Beispiel könnte es passieren, dass Ärzte auf eine gründliche Untersuchung verzichten, wenn ihre Patienten schon mit dem Etikett „Burnout“ in die Praxis kommen. „Grunderkrankungen wie eine beginnende Multiple Sklerose, Blutarmut oder ein Problem mit der Schilddrüse, die allesamt mit Müdigkeit und mangelnder Belastbarkeit im Beruf einhergehen, könnten auf diese Weise übersehen werden“, fürchtet Berger.

Zudem ist es fraglich, ob durch die modische Diagnose wirklich Vorurteile gegen psychische Erkrankungen wie Schizophrenie oder Depression abgebaut werden. Als Schalke-Trainer Ralf Rangnick vor kurzem ausfiel, legte sein Arzt Wert auf die Feststellung, dass seine Erkrankung heilbar sei und „auch keine Depression“. „Das könnte im Umkehrschluss nahelegen, dass Depressionen unheilbar sind“, sagt Maier. Depression als unbeeinflussbares Schicksal der Schwachen, das mit einem Stigma behaftet bleibt, Burnout dagegen als behebbare Störung der Leistungsträger der Gesellschaft – das wäre nach Ansicht des Psychiaters eine verhängnisvolle Botschaft.

Das „Burnout“ wirft aber auch eine grundsätzliche Frage auf: Wo hört psychische Gesundheit auf? Wo beginnt eine echte Krankheit der Seele? Der Burnout, ungeachtet seines englischen Namens schon vielfach als "deutsche Krankheit" gehandelt, taucht im international geltenden Klassifikationssystem Psychischer Erkrankungen der Weltgesundheitsorganisation, dem ICD-10, nicht auf. Auch in der Neufassung ICD-11 ist damit nicht zu rechnen. Einzig in einem Anhang ist unter Ziffer Z 73.0 „Burnout gleichbedeutend mit Zustand der totalen Erschöpfung“ aufgelistet – nicht als Krankheit, sondern unter „Schwierigkeiten der Lebensbewältigung“.

Auf der nächsten Seite: Burnout als Modediagnose?

Eine Arbeitsgruppe der DGPPN, zu der auch Maier und Berger gehören, hat sich mit der Modediagnose befasst und legt den Kollegen für die tägliche Praxis ein Stufenmodell nahe. Wenn Menschen während ungewöhnlich anstrengender Phasen im Job zeitweilig erschöpft sind, sich ausgelaugt fühlen und schlecht schlafen, sollte der Arzt auf keinen Fall sofort mit der Diagnose „Burnout“ zur Hand sein. „Ansonsten bestehe die Gefahr, routinemäßig bewältigbare Prozesse des Arbeitslebens in die Nähe von Krankheitszuständen zu rücken“, geben Berger, Maier und ihr Göttinger Kollege Peter Falkai ihren Kollegen im „Deutschen Ärzteblatt“ zu bedenken. Nicht jeder, der eine schwere Zeit durchmacht, muss deshalb gleich krankgeschrieben werden.

Doch die Gefahr besteht. Unter amerikanischen Psychiatern wird seit einigen Wochen zum Beispiel heftig debattiert, wie viel Trauer nach dem Tod eines geliebten Menschen noch normal ist. Anlass ist die Neufassung des Krankheitskataloges der American Psychiatric Association, der ab dem nächsten Jahr gelten soll. In diesem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, kurz DSM 5, wird empfohlen, die Alarmglocken schon nach zwei Wochen läuten zu lassen: Wenn Traurigkeit, Apathie, Konzentrationsstörungen, Schlaflosigkeit und Appetitmangel dann noch anhalten, könnten sie Symptome einer behandlungsbedürftigen Depression sein. In der letzten Fassung des Diagnosemanuals, dem DSM 4 von 1994, war dagegen empfohlen worden, nach dem Tod eines nahen Angehörigen mindestens zwei Monate verstreichen zu lassen, in der vorangegangenen Fassung war es sogar ein ganzes Trauerjahr gewesen.

Berühmte Burnout-Patienten:

„Trauer ist keine Krankheit“, so lautete kürzlich der Einspruch in einem Editorial des britischen Medizinjournals Lancet. Sie sollte als Teil des menschlichen Lebens und als normale Antwort auf den Tod eines geliebten Menschen betrachtet werden. Parallel zu der Neufassung des DSM gibt es inzwischen aber auch bei der Weltgesundheitsorganisation Überlegungen, das ICD 11 um eine Störung mit dem Namen „verlängerte Trauer“ zu erweitern. Vor einer „Inflation der Diagnosen in der Psychiatrie“ warnt deshalb der Psychiater Allen Frances von der amerikanischen Duke-University.

Die Grenze zwischen psychischer Erkrankung und normalen Unterschieden des menschlichen Verhaltens ist schon bei Heranwachsenden nicht leicht zu ziehen. Wenn kleine Kinder gern herumtoben und auch geistig etwas sprunghaft sind, wundert das keinen. Andererseits gibt es da die auffällige Unkonzentriertheit, die Schwierigkeiten, die Aufmerksamkeit auf ein Thema zu richten und die starke motorische Unruhe, die als typische Kennzeichen des Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndroms (ADHS) gelten. Zum Gesamtpaket der Behandlung gehören neben guter Strukturierung des Alltags und Verhaltenstherapie auch Medikamente.

In Deutschland sollen inzwischen eine Viertel Million Heranwachsende Medikamente gegen ADHS einnehmen, meist die Substanz Methylphendidat. Inzwischen ist es auch für Erwachsene zugelassen. Für Betroffene ein Segen. Vielleicht haben im Jahr 1993 zu wenig Menschen davon profitiert. Dass die Zahl der Verschreibungen sich seitdem vervierfacht hat, ist trotzdem erklärungsbedürftig. „Es ist zu vermuten, dass bei der Verordnung nicht immer genügend Sorgfalt waltet“, urteilt Ulrike Lehmkuhl, Direktorin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Charité. Die gründliche Diagnostik ist aufwendig, und an die Empfehlung, es zunächst ein Jahr lang mit Verhaltenstherapie zu probieren, wollen sich Eltern wie Kinderärzte nicht immer halten. Lehmkuhl fürchtet, dass eine ganze Anzahl von Kindern unnötigerweise Medikamente bekommt. "Bei anderen, die dringend eine Behandlung brauchen würden, wird das dafür nicht erkannt".

Weiter geht es mit: Verhinderung von Erkrankungen durch frühzeitige Beratung und Behandlung.

Im Fall der Trauer die Krankheitsschwelle immer weiter zu senken, sei nicht zuletzt ein Angriff auf die Würde des Menschen und seiner umfassenden Empfindungen, meint Frances. Empfindungen, zu denen auch Trauer angesichts von Tod, Trennung und selbst Verlust eines langjährigen Arbeitsplatzes gehöre. Mitunter können solche Empfindungen in eine Krankheit übergehen. So betrachten die Experten der DGPPN Burnout pragmatisch als Risikozustand, aus dem sich, wenn nicht rechtzeitig eingeschritten wird, echte Krankheiten wie Depressionen, Angsterkrankungen, aber auch Medikamentenabhängigkeit, Bluthochdruck oder ein Tinnitus entwickeln können.

Frühzeitige Beratung und Behandlung sollen das verhindern. Harald Gründel, Ärztlicher Direktor der Uniklinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Ulm und seit Jahren wissenschaftlich an der Beziehung zwischen Arbeitswelt und seelischen Erkrankungen interessiert, wertet inzwischen die Daten aus, die er und seine Kollegen einer neuen Einrichtung verdanken: Mit psychosomatischen Sprechstunden im Betrieb (PSIB) machen die Ulmer nämlich ein Angebot ohne große Hürden, das noch dazu diskret in Anspruch genommen werden kann. Vier von fünf der 67 Patienten aus zwei Betrieben, deren Daten inzwischen ausgewertet wurden, waren selbst der Meinung, ihre Probleme hätten mit dem Arbeitsplatz zu tun. Nach dem Urteil der Ärzte war allerdings in weniger als der Hälfte der Fälle ausschließlich die Arbeit der Grund. Doch über Stress im Job können viele besser sprechen als über private Konflikte. Drei Viertel der Patienten seien zum ersten Mal im Leben in Kontakt mit Psychosomatikern, Psychiatern oder Psychotherapeuten gekommen, berichtet Gründel. Die Mehrheit der Arbeitnehmer, die PSIB bisher in Anspruch genommen haben, hat es bei ein bis zwei Sitzungen belassen.

Gut möglich, dass bei einigen von ihnen auf diese Art lange Leidens- und Behandlungswege vermieden werden konnten. Führt der Burnout zu einer Depression, dann entsteht daraus manchmal langfristig auch Angst vor dem Job. Die Psychologin und Psychotherapeutin Beate Muschalla vom Rehabilitationszentrum Seehof der Deutschen Rentenversicherung in Teltow versucht Menschen zu helfen, die wegen einer seelischen Erkrankung lange pausieren mussten und nun regelrechte Angst vor dem Job entwickelt haben. "In der Depression haben sie sich oft als insuffizient und hilflos erfahren. Daraufhin wuchs ihre weitergehende Angst, ihren Ansprüchen am Arbeitsplatz nicht mehr gerecht werden zu können." In der Therapie erfahren sie, dass sie Belastungen durchaus standhalten können, lernen aber auch, sich wirkungsvoll zu entspannen. Zwei Drittel der Reha-Patienten kehren anschließend ins Erwerbsleben zurück. Ein Happy End wird daraus aber nur, wenn sie auch ein wenig für ihren Job "brennen" können.

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