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Glückliche Gelassenheit. Mit der Zeit lernt man, auf die vergangenen Jahre ohne Reue zurückzublicken.

© picture alliance / dpa

Psychologie des Alterns: Mensch, ärgere dich nicht ...

... schon gar nicht über verpasste Chancen. Gesunde Ältere haben gelernt, ohne Groll auf ihr Leben zu blicken. Jüngere sollten jedoch eine andere Strategie fahren.

„Das Schlimmste im Leben sind die Versuchungen, denen man nicht erlegen ist“, lässt der Dramatiker Alan Ayckbourn eine seiner Figuren seufzen. Im echten Leben ist es der psychischen Gesundheit anscheinend nicht zuträglich, so zu denken. Zumindest Ältere fahren besser, wenn sie verpassten Chancen nicht nachtrauern. Das legt eine Studie nahe, die im Fachblatt „Science“ erschienen ist.

Die Psychologin Stefanie Brassen und ihr Team vom Uniklinikum in Hamburg-Eppendorf haben dafür Freiwillige im „Hirnscanner“ mit einem Computerspiel konfrontiert. In diesem Spiel konnten pro Runde acht Kästchen geöffnet werden, deren Mehrzahl eine (virtuelle) Geldsumme enthielt. Dummerweise waren aber auch kleine Boxen darunter gemischt, aus denen den Teilnehmern ein Teufelchen entgegengrinste. In diesem Fall hatten sie das gesamte Geld aus der jeweiligen Spielrunde verloren.

Nach jedem Geldkästchen konnten die Teilnehmer sich entscheiden, weiterzumachen und das Risiko des Verlusts einzugehen, oder aber das Spiel mit dem sicheren, aber bescheidenen Gewinn zu beenden. In diesem Fall öffneten sich alle Kästchen, die Spieler bekamen dadurch ein Feedback und konnten erkennen, welchen Gewinn sie sich durch ihre Vorsicht hatten entgehen lassen.

Die 61 Freiwilligen, die 80 Runden dieses kurzen Spiels im funktionellen Magnetresonanztomografen (fMRT) mitmachten, waren sorgfältig ausgewählt: Ein Drittel junge, psychisch gesunde Erwachsene um die 25, ein Drittel ältere, psychisch gesunde Erwachsene um die 65 und ein Drittel Ältere mit Depression.

Als die Forscher die Teilnehmer nach ihren Reaktionen auf die Spielergebnisse gruppierten, bildete sich eine interessante Koalition. Nämlich die zwischen den jüngeren Teilnehmern und den älteren Menschen mit Depression: Sie alle entschieden sich umso häufiger dafür, in der nächsten Runde größere Risiken einzugehen, um sich die Kästchen mit dem Geld möglichst nicht entgehen zu lassen, je mehr Chancen sie in den vorherigen Runden verpasst hatten – ein Verhalten, das die gesunden Senioren nicht zeigten.

Auch die Aktivitäten zweier wichtiger Gehirnregionen, die sich im fMRT zeigten, glichen sich bei den Jungen und den Älteren mit Depression: In beiden Gruppen waren die Aktivitäten im ventralen Striatum gleich, das beim Gefühl des Bedauerns eine wichtige Rolle spielt, außerdem zeigte sich ein charakteristisches Muster im anterioren cingulären Cortex (ACC), der an der Regulierung von Emotionen beteiligt ist. Die gesunden Älteren dagegen hatten andere Erregungsmuster, vor allem eine stärkere Aktivität des ACC nach Spielrunden, die für sie nicht optimal gelaufen waren. Die Forscher halten das für einen deutlichen Hinweis darauf, dass sie ihre Gefühle nach verpassten Chancen besser in den Griff bekamen.

Messungen der Hautleitfähigkeit und der Herzschlagfrequenz, die die Forscher in einer zweiten Studie ohne Hirnscanner mit insgesamt 30 anderen Teilnehmern und demselben Spiel vornahmen, wiesen in dieselbe Richtung: Bei den Älteren ohne Depressionen veränderten sich die Reaktionen des autonomen Nervensystems im Unterschied zu den Erkrankten durch Pech im Spiel nicht.

Zu dieser Untersuchung gehörte auch ein Fragebogen. Dort gaben auch die gesunden Senioren zu Protokoll, dass es sie fuchste, wenn sie in einer Runde mit dem Spiel zu früh aufgehört hatten. Allerdings legte sich der Ärger bei ihnen schneller und wirkte sich auch nicht auf ihre Entscheidungen in der nächsten Spielrunde aus. „Psychisch gesunde ältere Menschen können diese Emotionen offensichtlich besser regulieren“, sagt Stefanie Brassen. Sie vermutet, dass es zum gelingenden Altern gehört, sich nicht anhaltend über verpasste Chancen zu ärgern.

Für jüngere Menschen sieht das womöglich anders aus, denn sie haben mehr Möglichkeiten, das Bedauern produktiv zu machen, indem sie beim nächsten Mal anders handeln. Möglicherweise wäre es für sie sogar von Nachteil, eine vermasselte Prüfung oder eine gescheiterte Beziehung seelenruhig hinzunehmen, ohne ihr Verhalten beim nächsten Anlauf zu korrigieren. Ältere kann umgekehrt das Bedauern dazu bringen, mit dem eigenen Handeln in der Vergangenheit zu hadern und in Grübeln zu verfallen.

Die Mehrheit der Älteren hat aber wohl gelernt, diesen Fallstricken des Bedauerns zu entgehen. Dazu passt, was Untersuchungen inzwischen belegen: Die Lebenszufriedenheit der Menschen nimmt im Alter zu. Der Tiefpunkt liegt bei Mitte 40. „Mich interessiert, was zufriedene ältere Menschen richtig machen“, sagt Brassen. Auch wenn wir körperlich am liebsten alle Mittvierziger blieben: Geistig und seelisch ist weiteres Reifen typisch für erfolgreiches Altern.

Wann es Zeit dafür ist, das jugendliche Muster des Bedauerns zu durchbrechen, ist noch nicht klar. „Altersdepressionen gehen aber wahrscheinlich oft mit einem ,jugendlichen’ Umgang mit verpassten Chancen einher“, sagt Brassen.

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