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Einfache Lösung. Was aber, wenn das eine in das andere umschlägt?

© Maurizio Gambarini/picture alliance / dpa

Psychologie: Hass, ein ganz normales Gefühl

Auch negative Emotionen sind Teil der menschlichen Natur. Deshalb wäre es absurd, sie verbieten zu wollen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hartmut Wewetzer

Sanfte Grüße, Bruder! Mit diesen Worten heißt man sich in der nahen Zukunft des Jahres 2032 willkommen. Zumindest will uns das der Film „Demolition Man“ von 1993 weismachen. In dieser Zukunft regiert die Sanftmut, alles Schlimme und Unreine ist verbannt: Drogen, Verbrechen, Sex, Fleischkonsum, Fluchen und vieles mehr. Der Hass hat, zumindest auf den ersten Blick, in diesem irdischen Paradies keinen Platz mehr.

Auch heute schon wollen viele dieses verpönte Gefühl verbannen. „Hate speech“ soll geächtet, gehässige Kommentare aus sozialen Netzwerken gelöscht werden, sonst drohen künftig Millionen-Bußgelder. So sieht es etwa ein Gesetzentwurf des Justizministeriums vor. Dabei könnte es leicht passieren, dass man sich gegenseitig den schwarzen Peter zuschiebt. Hassen tun immer die anderen.

Aber das ist ein Irrtum. Gehasst wird in allen politischen Lagern, auch wenn die Extreme ihm vermutlich stärker zuneigen. Hass ist ein allgemeinmenschliches und allgegenwärtiges Gefühl.

Im Straßenverkehr, im Stadion, am Gartenzaun: Überall Hass

Manchmal bricht er sich explosionsartig Bahn. Im Straßenverkehr reicht ein Augenblick, um nach einem banalen Gerangel aus der friedlichen Miene eines Autofahrers oder Radlers eine wutverzerrte Fratze zu machen. Im Fußballstadion wird die heftige Abneigung gegen den gegnerischen Club in Sprechchören kultiviert. Legendär ist der Streit um Lappalien unter Nachbarn, um die Höhe einer Hecke oder den Schatten, den der Baum vom Nachbarschaftsgrundstück wirft. Anders als der Sekundenhass im Straßenverkehr kann so ein Groll jahrelang vor sich hin glimmen, auf Sparflamme die Seele aufzehren.

René Descartes zählte in seinem 1649 erschienenen Aufsatz über die „Leidenschaften der Seele“ den Hass zu den „sechs ursprünglichen Leidenschaften“. Er wird, wie die anderen Leidenschaften auch, von der Seele nicht etwa hervorgebracht, sondern tatsächlich „erlitten“, von außen aufgedrängt. Hass ist zwar schädlich, sagt Descartes, doch hilft er uns, Dinge, die von Übel sind, zu meiden. Damit ist Hass der Widerpart der Liebe. Wo er abstößt, zieht sie an.

Apropos Liebe: Londoner Forscher haben herausgefunden, dass zwei Gehirnareale, die bei romantischem Liebesempfinden aktiv sind, auch von Hassgefühlen befeuert werden. Die Wissenschaftler glauben, damit zu erklären, „warum Liebe und Hass im wirklichen Leben so eng beieinander liegen“. Als der gefürchtete Stasi-Chef Erich Mielke der Volkskammer gegen Ende der DDR versicherte, „ich liebe doch alle“, meinte er also womöglich: „Ich hasse doch alle.“ Die Liebe der Stasi ist von Hass nicht zu unterscheiden.

Vielen haben schon einmal daran gedacht, jemand anders zu ermorden

Haben Sie sich schon einmal vorgestellt, aus Feindseligkeit jemanden zu ermorden? Wenn dem so ist, dann sind Sie bei Weitem nicht allein. Selbst an sich mild gesonnene Zeitgenossen haben gelegentlich den Wunsch, schlimme Untaten an Mitmenschen zu begehen, wie der amerikanische Psychologe David Buss herausfand. Nach einer von ihm angestellten weltweiten Umfrage haben 91 Prozent der Männer und 84 Prozent der Frauen schon einmal darüber fantasiert, dem Leben eines anderen Menschen, nun ja, gewaltsam ein Ende zu setzen. Wenn Gefühle und Gedanken bestraft würden …

Descartes hatte nicht unrecht: Der Hass ist Teil des normalen emotionalen Inventars. Ob er wünschenswert ist, ist eine ganz andere Frage. Wie andere Gefühle auch, dienen Antipathie und Abscheu als Orientierungshilfe für unser Denken und Handeln. Emotionen leiten den Menschen seit Urzeiten wie ein Kompass. Es mag an seinem Alter liegen, dass dieser Kompass manchmal in die Irre führt. Im Gefühlsleben prallen Urzeit, Steinzeit und Neuzeit unablässig aufeinander, begegnen sich instinktgesteuertes Reptil, Keulenschwinger und elektronisch vernetzter Jetztmensch im nicht immer konfliktfreien Trialog.

Man kann den Hass ächten und die Liebe lobpreisen. Doch sind beide Teil der menschlichen Natur und als solche weder gut noch böse. Tiefe Abneigung kann eine wichtige positive Antriebsfeder sein (etwa bei der Abschaffung der Sklaverei), heftige Zuneigung kann auf Abwege führen (wie der Hang vieler Menschen zu Diktatoren beweist). Was zählt (oder zählen sollte) in der öffentlichen Debatte sind in erster Linie die Argumente – nicht der emotionale Zustand der Debattanten.

Übrigens entpuppt sich die weichgespülte Zukunftswelt im „Demolition Man“ als fauler Zauber. Am Ende siegt das Gute und es darf wieder geflucht werden. Sanfte Grüße!

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