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Ionenfalle. In dieser Kammer werden die geladenen Atome mit Hilfe elektrischer Felder festgehalten.

© Universität Innsbruck/C.Lackner

Quantencomputer: Sensible Revolutionäre

Quantencomputer könnten die Entwicklung von Medikamenten sowie die Materialforschung enorm voranbringen – wenn ihre Bauteile nicht so empfindlich wären.

Quantencomputer beflügeln die Phantasie: aufwendige Verschlüsselungen, komplizierte chemische Prozesse – kein Problem, die revolutionären Rechner lösen das Problem. Zumindest theoretisch, die Praxis sieht anders aus. Vor einem Jahr meldete die kanadische Firma D-Wave Systems stolz, dass sie den ersten „kommerziellen“ Quantencomputer an den US-Konzern Lockheed Martin ausgeliefert habe. Seitdem ist es um dieses Vorzeigeprojekt ruhig geworden. Das mag an der erhitzten Debatte liegen, die es ausgelöst hat. Was die Kanadier da anböten, sei gar kein echter Quantencomputer, bemängelten Experten. Selbst in einer hundertmal leistungsfähigeren Version hätte dieser nicht mehr Rechenkraft als ein Handy, bloggte etwa Umesh Vazirani. Pikant: Der Quanteninformatiker von der Universität Berkeley hat das spezielle Quantencomputer-Konzept mit erdacht, das die Kanadier anwenden und nach seiner Einschätzung „missverstanden“ haben.

Dieser Streit zeigt, wie weit der Quantencomputer noch am Anfang steht. Aber was ist das Besondere an ihm? Auf der Suche nach soliden Antworten spricht man am besten mit einem Pionier wie Rainer Blatt. Der Physiker forscht an der Universität Innsbruck seit vielen Jahren an Bausteinen zukünftiger Quantencomputer. 2005 gelang es seinem Team, das weltweit erste „Quantenbyte“ aus acht Atomen herzustellen.

„Quantencomputer werden Rechenmaschinen für Spezialanwendungen sein“, sagt Blatt, „nicht für Textverarbeitung.“ Grundsätzlich können klassische Computer bei richtiger Programmierung alles rechnen, was auch Quantencomputer können. Letztere könnten aber manche Aufgabe elegant mit wenigen „Quantenbits“ lösen, bei der ein konventioneller Computer am explodierenden Rechenaufwand scheitert. Praktisch ist das mangels geeigneter Geräte noch nicht erwiesen, aber theoretisch sind derzeit drei Arten solcher Aufgaben identifiziert. Eine ist die schnelle Suche in riesigen, ungeordneten Datenbanken. Die zweite ist das rasante „Faktorisieren“, das mathematische Knacken großer Zahlen, zum Beispiel in Nachrichtenschlüsseln.

Blatt interessiert sich vor allem für die dritte Anwendung: Quantencomputer können das Verhalten beliebiger Quantensysteme simulieren. Ein Quantensystem ist im Prinzip alles, was so klein ist, dass es von den Eigenschaften der Quantenwelt dominiert wird. Dazu zählen einzelne Atome, Moleküle oder die Nanostrukturen neuerer elektronischer Chips. Die Pharmaindustrie zum Beispiel setzt auf der Suche nach neuen Wirkstoffmolekülen auch Computersimulationen ein. Diese Simulationen sind aber extrem vereinfacht und damit nur begrenzt nützlich. Schon die Atome eines kleineren Moleküls bilden nämlich ein so komplexes Quantensystem, das selbst ein Supercomputer an einer präzisen Simulation von dessen chemischen Eigenschaften scheitert.

„Ein System aus nur 40 Atomen ist auf heutigen konventionellen Computern nicht mehr berechenbar“, sagt Blatt. „Mit 40 Quantenbit, die alle miteinander wechselwirken, könnten wir das, und davon sind wir nicht mehr weit entfernt.“ Mit einfachen Worten: Ein relativ kleiner Quantencomputer könnte das Verhalten eines solchen Moleküls exakt erfassen. Bei geschickter „Programmierung“ braucht er dazu genauso viele Rechenelemente, sogenannte Quantenbits, wie das Molekül an Atomen enthält. Damit würde er ein viel gezielteres molekulares Design neuer Materialien ermöglichen. Auch Legierungen für neue Hochtemperaturstähle zum Beispiel ließen sich schneller am Computer entwerfen, denn die quantenhaften Wechselwirkungen zwischen den Atomen wirken sich direkt auf die Materialeigenschaften aus. Solche Stähle würden beispielsweise höhere Temperaturen in Kraftwerksturbinen erlauben und damit deren Effizienz steigern. Noch heute erfordert die Suche nach neuen Werkstoffen langwieriges Ausprobieren. Das zielgerichtete Materialdesign mit Hilfe von Quantencomputern wäre eine Revolution.

Der Informationsträger der Quantencomputertechnik ist das Quantenbit, kurz „Qubit“. Wie herkömmliche Bits kann es zwischen zwei digitalen Zuständen null und eins umschalten. Zusätzlich enthält es aber auch die quantenmechanische Überlagerung beider Zustände. „Es ist ein Sowohl-als-Auch“, erläutert Blatt. Erst wenn man den Zustand des Quantenbits durch eine Messung liest, also die Quanteninfopost öffnet, erhält man eine Null oder Eins. Die Messung hat zudem Einfluss auf das Ergebnis. Nun kann man fragen, wozu man dieses komplexe Verhalten braucht, wenn man am Ende auch nur eine Null oder Eins wie beim klassischen Bit bekommt. Der Mehrwert an Rechenkraft entsteht erst durch das quantenmechanische Verschalten mehrerer Qubits. Quantenregister heißt so ein Grundbaustein des Quantencomputers in Anlehnung an die konventionelle Computerarchitektur.

Zum Verschalten nutzen fast alle Forschungsteams einen Effekt namens Verschränkung. Mit diesem Quantenphänomen tut sich allerdings unsere Vorstellungskraft schwer, denn es fehlt ein Pendant in unserer Erfahrungswelt der großen Dinge. Hilfsweise kann man sich verschränkte Qubits als ein ausgedehntes Quantenobjekt vorstellen. In ihm sind alle Qubits eng miteinander verbunden. Sie „spüren“ sofort, wenn eines von ihnen manipuliert wird. Das Programmieren stellt die Verschränkung des Quantenregisters her, das Auslesen der Information beendet sie. Das verschränkte Quantenregister enthält nun, vereinfacht gesagt, alle möglichen Lösungen der programmierten Aufgabe zugleich. Beim Auslesen erhält man mit großer Wahrscheinlichkeit die gewünschte Lösung. Das gilt zumindest für jene Aufgaben, für die sich Quantencomputer eignen. Ein konventioneller Computer dagegen muss dafür alle Lösungswege separat nacheinander durchkalkulieren.

„Diese Parallelität macht Quantencomputer so mächtig“, sagt Blatt. Allerdings ist die Verschränkung hoch empfindlich, kleinste Störungen lassen sie zerfallen. Das Register muss also seine Aufgabe innerhalb der Lebensdauer der Verschränkung erledigen können. Nach dem Auslesen eines Ergebnisses muss das Quantenregister für die nächste Rechnung neu verschränkt werden. Das entspricht dem permanenten Einlesen, Verarbeiten und Auslesen von Bits in den Registern konventioneller Rechner.

Für die Herstellung von Quantenregistern eignen sich im Prinzip alle quantenmechanischen Systeme, die zwischen zwei gegensätzlichen Zuständen umschalten können. Blatts Team nutzt elektrisch geladene Atome als Qubits. Diese „Ionen“ schweben in einer Falle, die aus elektrischen Feldern geformt ist. Ihr natürlicher Bewegungsdrang ist enorm eingeschränkt auf wenige Millionstel Grad Celsius über dem absoluten Temperaturnullpunkt. Das Quantenregister „programmieren“ die Innsbrucker mit Laserlichtpulsen. Ihre Weltbestmarke steht derzeit bei 14 verschränkten Ionen, die sie voll unter Kontrolle haben. Dieser Zustand lebt etwa eine Tausendstelsekunde, was für Computerprozesse durchaus eine kleine Ewigkeit darstellt.

Etwa fünfzehn verschiedene Ansätze werden derzeit weltweit erforscht, erläutert Blatt. Neben den Ionenfallen sind es etwa Quantenpunkte: extrem kleine Strukturen in Halbleitermaterialien, die sich so ähnlich wie ein einzelnes Atom verhalten. Die Innsbrucker Technologie habe im Moment „die Nase vorn“, sagt er, denn die Ionen seien gut kontrollierbar. Sie seien aber auch vergleichsweise langsam, sagt Blatt: „wie die Röhrentechnologie der Computerfrühzeit.“

Roland Wengenmayr

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