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Inbrunst des Glaubens. Jedes Jahr pilgern Millionen Menschen nach Mekka zu den heiligen Stätten des Islam.

© picture-alliance/ dpa

Religion: "Es könnte einen bösen Gott geben"

Religion hat sich in den letzten 100 Jahren mehr geändert, als in den 1000 Jahren zuvor. Der Philosoph Daniel Dennett spricht im Interview über gläubige Menschen, ungläubige Priester und wie man auf Mohammed-Karikaturen reagieren sollte.

Herr Dennett, Sie sind Atheist. Warum erforschen Sie ausgerechnet Religion?

Weil sie ein sehr wichtiges Phänomen ist. Wenn wir im 20. Jahrhundert etwas gelernt haben, dann, dass gute Absichten nicht genug sind. Fast jedes Problem, mit dem wir konfrontiert sind, ob das die Verteilung von Reichtum oder Wasser ist oder die Verbreitung von Krankheiten, wird durch religiöse Phänomene verkompliziert. Die muss man verstehen, sonst riskiert man, trotz guter Absichten folgenschwere Fehler zu machen. Religion hat sich in den letzten 100 Jahren mehr geändert, als in den 1000 Jahren zuvor. Und vielleicht wird sie sich in den nächsten 20 noch einmal mehr verändern als in den letzten 100 Jahren.

Und in welche Richtung?

Wir sind so überzeugt, dass soziale Bewegungen träge sind. Ich glaube, das stimmt nicht. Die Dinge können sich sehr schnell ändern. In Vorträgen sage ich: Wer weiß, was in 20 bis 30 Jahren ist, und ich zeige ein Dia des Vatikans. Wird das hier vielleicht das europäische Museum für die römisch-katholische Kirche sein? Und das hier, dann zeige ich ein Foto von Mekka, wird vielleicht ,Disneys Magisches Königreich von Allah’ sein.

Das sollten wir vielleicht nicht drucken.

Doch, das sollten Sie. Im Übrigen: Ich glaube, die Welt hat eine hervorragende Gelegenheit verpasst, als die Mohammedkarikaturen erschienen. Ich glaube, jede Zeitung, jedes Magazin, jede Nachrichtensendung hätte sofort diese Bilder zeigen sollen. In Wirklichkeit war das doch eine Machtergreifung der radikalen Muslime. Die liberalen Muslime, die in der Mehrheit sind, wollten unbedingt, dass wir etwas tun, aber wir haben nichts unternommen und so haben wir den besten Elementen im Islam den Teppich unter den Füßen weggezogen. Dabei hätten wir die Aufregung einfach abtun sollen.

Bei den Auseinandersetzungen sind immerhin Menschen gestorben.

Schande über diese radikalen religiösen Gruppen. Sie haben die Toten auf dem Gewissen.

Viele haben argumentiert, dass man deeskalieren musste, um mehr Schaden abzuwenden.

Das überzeugt mich nicht. Wenn genug Medien gemeinsam vorgegangen wären, wäre es so kontraproduktiv gewesen für radikale Muslime, weiterzumachen. Wenn so etwas wieder passiert, reagieren die Menschen hoffentlich anders.

In Europa wird eher darüber diskutiert, ob die Kritik am Islam nicht in Rassismus umgeschlagen ist. Wo ist die Grenze zwischen Kritik und Islamophobie?

Natürlich gibt es eine Linie, die man nicht überschreiten sollte. Aber wo Islamophobie beginnt, ist nicht klar. Der Begriff wird genau wie der Begriff Antisemitismus häufig missbraucht. Deswegen sind viele Leute viel zu zögerlich dabei, etwas kritisches über Israel oder den Islam zu sagen. Ich glaube, wir müssen anerkennen, dass Antisemitismus und Islamophobie ernste Phänomene sind, die wir streng ahnden müssen. Aber wir dürfen nicht aus Furcht vor so einem Vorwurf eine Gruppe mit Kritik verschonen.

Warum sind Sie eigentlich so sicher, dass es keinen Gott gibt?

All die Phänomene der Religion erscheinen mir im Rahmen der Naturwissenschaften recht leicht erklärbar. Es gibt nichts Übernatürliches, keine Wunder, keine übernatürlichen Pferde. Auch, dass Moral auf etwas Übernatürlichem beruht, halte ich für offensichtlich falsch.

Sie haben eine Erklärung für alles?

Nein, aber ich sehe auch keine gähnende Schlucht, von der niemand weiß, wie sie überbrückt werden könnte. Wenn sich morgen der Himmel auftun würde und eine laute Stimme tönen würde: „Ich bin Jehovah, huldige mir“, dann hätte ich ein Problem. Aber das ist nicht passiert und auch nichts annähernd ähnliches ist jemals passiert, soweit ich weiß.

Trotzdem sind die meisten Menschen religiös. Warum?

Aus sehr ähnlichen Gründen, wie die, warum es so viele WM-Fans gibt. An vielen Orten der Welt ist Religion eine Möglichkeit, sozial zusammenzukommen.

Viele glauben aber auch, dass es ohne Gott keine Moral gibt, kein Gut oder Böse.

Aber das ist doch Unsinn. Angenommen, es gibt einen Gott. Wo kommen jetzt Gut und Böse her? Es könnte doch auch einen bösen Gott geben. Wo hat dann das Gute seinen Ursprung? Schauen Sie sich an, wie unsere Moral sich geändert hat, was wir heute als gut und böse ansehen.

Viele Leute sehen die Kirche als wertvolle kulturelle Institution an.

DANIEL DENNETT (68) ist Religionskritiker und Philosoph an der Tufts University in Medford, Massachusetts. Dennett sprach in Berlin auf Einladung des Dahlem Humanities Center der FU.
DANIEL DENNETT (68) ist Religionskritiker und Philosoph an der Tufts University in Medford, Massachusetts. Dennett sprach in Berlin auf Einladung des Dahlem Humanities Center der FU.

© Doris Spiekermann-Klaas

Die Kirche bekommt viel Unterstützung von Menschen, die sagen, dass sie Religion nicht selbst brauchen. Dawkins nennt das: „Ich bin ein Atheist, aber ..." Diese Position ist manchmal sehr herablassend. Nach dem Motto: Ich bin aufgeklärt und benötige keine Religion, aber das ist nun einmal eine Art heiliger Mythos und wir müssen ihn erhalten, um die Massen mit Moral zu versorgen. Ich glaube nicht, dass die Menschheit Religion braucht, um moralisch zu sein.

Also hat die Religion gar nichts Gutes?

Das Beste, das über Religion gesagt werden kann, ist, dass sie einen Rahmen bietet, eine Gemeinschaft. Die bringt häufig Gutes hervor, wirkt als eine Art künstliche Verlängerung des Gewissens. Nicht, weil die Menschen himmlische Belohnung wollen oder die Hölle fürchten, sondern aus Loyalität zum Team, weil sie respektiert werden wollen von der Gemeinde. Und für Menschen, die nirgends anders hinkönnen, die arm oder leidend sind, spielt die Kirche eine wichtige Rolle. Sie nimmt diese Menschen auf, gibt ihnen Nahrung und Unterkunft und ein Gefühl, dazuzugehören. Dieses Netz müssen wir erhalten.

Warum glauben einige Menschen und andere nicht?

Es gibt nicht annähernd so viele Gläubige, wie man annehmen könnte. Viele Menschen sind ihrer Kirche treu ergeben, wie sie auch treu zu ihrem Fußballteam halten. Darum sagen viele Menschen „Ich glaube“, auch wenn sie es nicht tuen. Nicht nur Kirchgänger, auch Priester. Ich habe gerade eine Studie beendet, in der wir Pfarrer interviewt haben, die insgeheim nicht mehr an Gott glauben. Die sind überzeugt, dass sie nur die Spitze des Eisbergs sind. Häufig geht es nicht darum, dass diese Menschen glauben, sondern darum, dass sie an den Glauben glauben.

In der Studie vergleichen Sie die Priester mit Schwulen, die ihre Neigung verstecken.

Ich bekomme jede Woche Post von Menschen, die schreiben: Wie Sie bin ich Atheist, aber ich kann das nicht zugeben. Ein Zahnarzt schrieb mir, er würde all seine Patienten verlieren, wenn er nicht mehr in die Kirche ginge. In vielen Teilen der USA gibt es einen enormen sozialen Druck, nicht nur zu sagen, man glaubt, sondern auch in die Kirche zu gehen. Die Leute schauen, wer hingeht und wer nicht. In dieser Atmosphäre müssen Atheisten ihre Überzeugung für sich behalten, genau wie Schwule in den 50er Jahren. Die Priester, die wir interviewt haben – das war schockierend. Die meisten hatten richtig Angst, konnten nicht einmal mit ihrer Frau darüber reden. Als die Studie erschienen ist, da hat niemand das Ergebnis bestritten. Die meisten waren nur wütend auf diese Priester. Dieser Zorn erinnert mich an die Wut von Magiern, wenn ein anderer Magier dem Publikum erklärt, wie ein Trick funktioniert.

Sie sprechen von der Zähmung der Religion. Was meinen Sie damit?

In der Tierwelt gibt es Kulturfolger, Tiere, die gut daran angepasst sind, mit dem Menschen zu leben, wie Ratten, Bettwanzen oder Tauben. Die gehören niemandem, niemand beschützt sie, aber sie sind sehr erfolgreich in menschlicher Nähe. Und es gibt gezähmte Tiere. Menschen beschützen sie und kontrollieren ihre Fortpflanzung. Dasselbe gilt bei Kulturgütern. Manche sind einfach da, sie gehören niemandem, niemand schützt sie. Sie sind durch kulturelle Evolution perfekt angepasst, um bei uns zu gedeihen. Dinge wie Aberglauben. Genau wie Kulturfolger können solche Kulturgüter domestiziert werden. Das ändert alles, wie wenn sie vom Wolf zum Hund kommen. Denn jetzt sind diese Kulturgüter für etwas da, für was auch immer der Mensch sie nutzt. Einige der wirklich interessanten Eigenschaften von Religionen stammen höchstwahrscheinlich aus der Zeit, bevor Religionen domestiziert wurden.

Zum Beispiel?

Sprechchöre. In einer mündlichen Kultur hatten die große Vorteile. So lange die Mehrheit Recht hat, korrigiert sie die Fehler der anderen, und der Text bleibt lange erhalten. Das ist der Schlüssel für eine genaue Datenübertragung. Mündliche Kulturen sind sehr fragil. Bei mündlichen Überlieferungen können sich ständig Fehler einschleichen. Aber wenn es eine Tradition des gemeinsamen Singens gibt, wird das Gedächtnis gewissermaßen auf viele Menschen verteilt.

Das Gespräch führten Kai Kupferschmidt und Hartmut Wewetzer.

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