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Ausgemustert. Mitarbeiter des französischen Medizintechnik-Unternehmens PIP in La Seyne sur Mer vor einem Berg ausrangierter Brustimplantate. Das Foto entstand im April 2010. Die Firma besteht mittlerweile nicht mehr. Foto: dpa

© dpa

Riskante Operation: Gefährliche Brustimplantate

Nach dem Skandal um defekte Brustimplantate aus nicht zugelassenem Silikon: Risiken und amtliche Empfehlungen.

„Es war ein kapitalistisches Vorgehen, so ist das nun einmal“, hat der Anwalt des Firmengründers lapidar gegenüber der französischen Presse geäußert. Ein Vorgehen, das schon vor zwei Jahren zum Konkurs des Herstellers von „Poly Implant Prothèse“ geführt hat. Inzwischen ist das Produkt-Kürzel PIP auch in Deutschland allgemein bekannt: Es steht für Brustimplantate, deren Füllung aus billigem, für diesen Zweck weder zugelassenem noch geeignetem Industriesilikon besteht.

DIE VORGESCHICHTE

Zeitweise war Jean-Claude Mas aus dem südfranzösischen Departement Var einer der Marktführer im Bereich der silikongefüllten Implantate, die vor allem bei gesunden Frauen zur Vergrößerung der Brust, aber auch bei Brustkrebspatientinnen eingesetzt werden. Um die Jahrtausendwende herum gab es jedoch deutliche wirtschaftliche Einbußen, vor allem durch Konkurrenz aus Asien. Etwa um diese Zeit soll in der Firma von Jean-Claude Mas mit dem begonnen worden sein, was sein Anwalt nun ein „kapitalistisches Vorgehen“ nennt: Billiges Silikon kam zum Einsatz, das unter anderem zur Herstellung von Matratzen gedacht war. Eine Million Euro sollen damit jährlich eingespart worden sein. Schließlich informierten Firmen-Insider die französischen Behörden. Nach dem 72-jährigen Firmeninhaber wird international gefahndet. Pikanterweise jedoch nicht wegen des Betrugsverdachts, sondern wegen Alkohol am Steuer in Costa Rica.

DIE TÜV-PRÜFUNG

Eine deutsche Institution, die die Brustimplantate als Medizinprodukte der Klasse 3 regelmäßig prüfte und ihnen die CE-Kennzeichnung der EU verlieh, ist Jean-Claude Mas nicht auf die Schliche gekommen: Für die europaweite Zulassung der Implantate hatte der TÜV Rheinland regelmäßig geprüft, ob für ihre Herstellung ein zugelassenes Gel verwendet wurde. „Wie wir seit vorgestern wissen, wurde jedoch eine andere Produktion vorgespielt, sobald unsere Gutachter in der Firma anwesend waren“, sagte der Konzernpressesprecher Hartmut Müller-Gerbes dem Tagesspiegel.

Als Konsequenz drängt sich auf, für das Erteilen des CE-Zeichens unangemeldete Besuche der Produktionsstätten zur Voraussetzung zu machen. Der plastische Chirurg Peter Vogt von der Medizinischen Hochschule Hannover macht das System der Zulassung von Medizinprodukten für das aktuelle Desaster mitverantwortlich. Neben den angekündigten Besuchen bei den Herstellern gehören dazu auch klinische Bewertungen auf der Grundlage von deren eigenen Daten. „Wir sollten die Bestimmungen an die deutlich strengeren Zulassungsverordnungen für Arzneimittel anpassen“, fordert Vogt.

TESTS DER FRANZÖSISCHEN BEHÖRDEN

Ende März 2010 wurden die PIP-Implantate in Frankreich vom Markt genommen, die amerikanische Aufsichtsbehörde FDA hatte allerdings schon im Jahr 2000 Qualitätsmängel angeprangert. Die Aufsichtsbehörde Agence francaise de sécurité sanitaire des produits de santé veranlasste Tests, bei denen die brüchigen Hüllen der Silikonkissen die Zerreißprobe nicht bestanden. Zudem bewirkte das Gel der Füllung Reizungen von Körpergewebe. Schädigungen der menschlichen Erbsubstanz konnten ihm allerdings weder im Laborversuch noch bei Tests mit Mäusen angelastet werden.

DIE GRÖSSTE ANGST: KREBS

Der Proteststurm der betroffenen Französinnen flammte Anfang Dezember auf, nachdem kurz hintereinander zwei Frauen mit gerissenen Implantaten an Krebs gestorben waren, die eine an einem seltenen Lymphknotenkrebs (Lymphom), die andere an Brustkrebs. Inzwischen hat das französische Krebsforschungsinstitut zur Frage des erhöhten Krebsrisikos Stellung genommen. Die Experten kommen zu der Einschätzung, dass es für Brustkrebs nach heutigem Wissensstand kein erhöhtes Risiko gibt, weder mit diesem Implantat noch mit anderen. Was das extrem seltene großzellige anaplastische Lymphom an der Brust betrifft, so könnte es nach allen Brustimplantaten ein etwas erhöhtes Risiko geben.

VORSCHLÄGE FÜR BETROFFENE FRAUEN

Weil ein bundesweites Register fehlt, ist nach Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) unklar, wie viele Implantate der Firma in Deutschland eingesetzt wurden. Bis zum 22. Dezember wurden 19 Fälle von gerissenen Implantaten gemeldet. (Mehr unter www.bfarm.de).

In Frankreich, wo etwa 30 000 Frauen die PIP-Produkte eingesetzt bekamen, sind inzwischen insgesamt rund 1000 Fälle von gerissenen Implantaten dieses Fabrikats gemeldet worden. Die 1260 Mitglieder starke Betroffenenorganisation „Association des porteuses de prothèses PIP“ demonstrierte kurz vor Weihnachten vor dem Gesundheitsministerium in Paris. Am 23. Dezember kam von dort die offizielle Erklärung: Allen Trägerinnen der PIP-Prothesen wird deren Entfernung empfohlen. Ohne Zeitdruck, aber bezahlt von der Sécurité sociale. Nur die Minderheit der Frauen, die das Implantat nach einer Brustkrebsoperation bekamen, kann allerdings damit rechnen, auf Kassenkosten auch Ersatz dafür zu bekommen.

Noch bis zum 22. Dezember hatte die französische Aufsichtsbehörde ein differenzierteres Vorgehen empfohlen: Frauen sollten im Gespräch mit ihrem behandelnden Arzt Vor- und Nachteile einer erneuten Operation abwägen. Eine solche individuelle Risikoabwägung empfiehlt bis auf Weiteres auch das BfArM deutschen Patientinnen mit PIP-Brustimplantaten. „Eine pauschale Empfehlung an alle Patientinnen, PIP-Brustimplantate grundsätzlich entfernen zu lassen, spricht das BfArM derzeit nicht aus“, heißt es aus dem Bundesinstitut. Allerdings sollten die Implantate jetzt und später in regelmäßigen Abständen auf Schäden geprüft werden.

Ob sie ein PIP-Produkt in sich tragen, darüber informiert die Frauen der obligatorische Implantat-Pass. Bleibt die Frage, ob alle Frauen ihn nach der Operation aufbewahrt – und ob sie ihn, etwa nach einem Eingriff im Ausland, überhaupt bekommen haben. „Die meisten Frauen, die vor kurzem operiert wurden, haben aber einen solchen Pass“, sagt Vogt.

Wenn alles gut gelaufen ist, sollten zudem alle Operierten darüber aufgeklärt sein, dass sie mit einem weiteren Eingriff zumindest rechnen müssen. Kleinere oder größere Risse und das „Durchschwitzen“ der Silikontasche sind keine ganz seltenen Phänomene. Studien zeigen, dass zehn Jahre nach dem Einsetzen jedes zehnte Implantat zumindest leicht undicht geworden ist. „Über diese Risiken muss der Arzt mit jeder Frau sprechen, die sich eine Brustvergrößerung wünscht“, fordert Vogt.

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