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Zuckende Blitze über München

© picture alliance / dpa

Riskante Wetterlage: Wo die Blitze in Europa zucken

Um Gefahren durch Blitzschläge besser einschätzen zu können, haben Wissenschaftler Messnetzwerke eingerichtet. In Europa sammelt "Euclid" die Daten

Eben noch schien die Sonne, eben noch bewegte sich kein Grashalm in der heißen Windstille. Jetzt aber toben die Elemente – es stürmt und schüttet. Alle paar Sekunden wird die Stadt in weißblaues Licht getaucht, gefolgt von einem Krachen, dass man zusammenzuckt.

Um die Gefahr durch Blitzschlag einzuschätzen und mehr über Gewitter zu lernen, haben Wissenschaftler Messnetze eingerichtet. In Europa werden die Daten durch die Europäische Kooperation für Blitzerkennung „Euclid“ gesammelt. In den „Euclid“-Mitgliedsländern fangen Spezialsensoren ständig elektromagnetische Wellen auf, die von den Blitzen ausgehen. Euclid nutzt 140 dieser Sensoren. In Deutschland liefert das Siemens-eigene Detektionssystem „Blids“ die Daten.

Laut Euclid zuckten von 2006 bis 2012 jedes Jahr durchschnittlich vier Millionen Blitze zwischen Wolken und Boden. Hochburg der Blitze ist das Dreiländereck von Italien, Österreich und Slowenien. Pro Jahr und Quadratkilometer schlägt dort sieben Mal der Blitz ein. Die Ursache für die Häufung ist feuchtwarme Luft vom Mittelmeer, die über den Ostalpen zu Gewitterwolken aufsteigt. In Deutschland befindet sich das Maximum im Süden Bayerns, mit drei Blitzen pro Quadratkilometer und Jahr. Im Laufe eines Jahres schwankt die Blitzaktivität über Europa enorm. Die meisten Blitze, 85 Prozent, ereignen sich in den Gewittermonaten Mai bis September, das Minimum tritt im Januar auf.

Im Herbst ist das Mittelmeer noch warm - Gewitter kommen häufig vor

Einer der vier Wissenschaftler, die die europäischen Blitze untersucht haben, ist Dieter Poelman, Spezialist für Blitzerkennung am Königlichen Meteorologischen Institut Belgiens. „Die Signale von Blitzen wandern Hunderte von Kilometern durch die Atmosphäre“, erläutert er. Je nach Art des Blitzes entsteht ein anderes Signal. Innerhalb der Wolken rufen Blitze hochfrequente Wellen hervor, wohingegen die selteneren Blitze zwischen Wolke und Boden niederfrequente Signale im Zehn-Kilohertz-Bereich aussenden. In Poelmans Studie wurden nur Wolke-Boden-Blitze untersucht.

Durch den Vergleich von Aufzeichnungen mehrerer Sensoren lässt sich der Ort der Blitze mit einer Genauigkeit von 100 bis 600 Metern bestimmen. Die Blitze entstehen im Frühjahr vorwiegend über dem südlichen Kontinentaleuropa, währen sie sich im Herbst über dem Mittelmeer häufen. Diese Verschiebung hat meteorologische Gründe: Im Frühjahr bilden sich Gewitter oft über Land, weil der Boden durch den hohen Sonnenstand erwärmt wird. Im Herbst kühlen sich Land und Luft schon ab, während das Wasser des Mittelmeers noch warm wie ein Heizungkörper ist, gleichfalls ein Rezept für Gewitter.

Auch für Versicherungen sind die Messungen interessant

Nutzer der Euclid-Messdaten seien vor allem Wetterdienste, Versicherungen und Wissenschaftler, erzählt Poelman. Wetterdienste warnen bei Blitzgefahr zum Beispiel Flughäfen. Flugzeuge dürfen dann zur Sicherheit nicht betankt werden. Versicherungen prüfen anhand der Daten die Schadensmeldungen ihrer Kunden. Etwa wenn ein Landwirt angibt, eine Kuh sei vom Blitz getötet worden. Und Wissenschaftler vergleichen die Euclid-Messungen mit Radardaten, um besser zu verstehen, an welchen Stellen einer Gewitterwolke sich besonders viele Blitze bilden.

Etliche Regionen der Erde besitzen kein mit Euclid vergleichbares Blitzmessnetz. Dort sind die Messungen entsprechend ungenau, und das gilt erst recht für die Meere. Für globale klimatologische Studien nutzen Wissenschaftler darum auch Satelliten. Die Sensoren im All erkennen Blitze auf der Erde an ihrem Licht. Sauerstoffmoleküle der Luft senden bei einem Blitz besonders starke Strahlung mit einer Wellenlänge von 777 Nanometern aus, also im Infrarotbereich. Diese Satellitensensoren können allerdings nicht zwischen Wolke-Wolke-Blitzen und Wolke-Boden-Blitzen unterscheiden.

Übers Jahr gesehen blitzt es über dem Kongo am häufigsten

Pro Sekunde zucken im Durchschnitt 46 Blitze über der Erde. Das berichteten Forscher um Richard Blakeslee von der Nasa vor zwei Jahren anhand von Daten, die Satelliten-Blitzsensoren zwischen 1995 und 2010 aufgezeichnet hatten. Am häufigsten, übers Jahr gesehen, blitzt es demnach im tropischen Kongo. Die höchsten monatlichen Blitzraten treten aber von Anfang April bis Anfang Mai in Ostindien sowie im August über Nordpakistan auf. Dort schlägt sich offenkundig der Monsun in der Statistik nieder.

In Zukunft sollen die Messsysteme am Boden und im All weiter ausgebaut werden. Für 2015 und 2018 sind die Starts eines US-amerikanischen und eines europäischen Satelliten zur Erfassung der Blitzaktivität geplant. Außerdem soll 2016 ein neuer Sensor auf der Internationalen Raumstation installiert werden, wie Blakeslee berichtet.

Die diversen Messdaten der Bodenstationen werden zunehmend miteinander verknüpft. Signale unterschiedlicher Frequenz liefern einander ergänzende Informationen über die Blitze. So lässt sich auch ihre Intensität besser abschätzen. In Zukunft, das ist abzusehen, dürfte kaum noch ein Blitz auf der Erde unbemerkt bleiben.

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