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 Rita Süssmuth (79) ist Präsidentin des deutschen Hochschulkonsortiums der Türkisch-Deutschen Universität in Istanbul. Sie war Präsidentin des Bundestags und Familienministerin.

© Thilo Rückeis/Tsp

Rita Süssmuth zur Türkisch-Deutschen Uni Istanbul: „Der gute Geist kehrt hoffentlich bald zurück“

Auch die Türkisch-Deutsche Universität in Istanbul ist vom Vorgehen Erdogans betroffen. Rita Süssmuth erklärt im Interview, wie es an der Uni weitergeht.

Frau Süssmuth, der Rektor der Türkisch-Deutschen Universität in Istanbul, Halil Akkanat, hat die deutschen Partner angegriffen: diese hätten nach dem Putschversuch einseitig die Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit kritisiert, anstatt auf das „Trauma“ des Putschversuches mit den vielen Toten einzugehen. Die Deutschen würden die Türken nicht verstehen. Können Sie den Vorwurf nachvollziehen?

Es trifft zu, dass zu viele, auch Zivilisten, darunter Akademiker und Wissenschaftler, ihr Leben bei dem Putschversuch verloren haben. Da verstehen wir schon, dass er diesen Punkt macht: Ihr vernachlässigt eure Anteilnahme gegenüber eurer Kritik an der Verletzung der Wissenschaftsfreiheit. Umgekehrt war es bei den Informationen, die uns erreichten, aber naheliegend und verpflichtend zu fragen, welchen Gefahren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Menschen in der Türkei insgesamt, auch durch die Reaktion der Regierung ausgesetzt sind. Und persönliche Anteilnahmen sind ja durch intensiven telefonischen und persönlichen Austausch mit unserer Universität erfolgt.

Akkanat rechtfertigt die Maßnahmen Erdogans gegen die Wissenschaft, wie die Suspendierung von Dekanen, das Schließen von Hochschulen und das Entlassen von Dozenten. Diese seien nötig gewesen, um Gefahren vom türkischen Staat abzuwenden. Zum „terroristischen Netzwerk“ würden auch Rektoren und Professoren gehören. Wie steht das deutsche Konsortium, das die TDU trägt, zu dieser Ansicht?

Wenn der Staat vermutet, dass der Putsch nicht nur aus dem Militär kommt, ist es naheliegend, zu überprüfen, woher er sonst noch kommen könnte. Dass der Rektor diese Position verteidigt, kann man aus seiner Sicht nachvollziehen. Das deutsche TDU-Konsortium hat dazu noch keine abschließende Stellungnahme abgegeben. Es ist schwierig, eine Gesamtbeurteilung zu geben, weil uns einfach noch vieles an Wissen über die Vorgänge fehlt. Es ist wichtig festzuhalten: Suspendieren bedeutet nicht, dass die Dekane entlassen sind. Sie nehmen weiterhin Lehre und Forschung wahr, sind allerdings zurzeit nicht in der Dekansfunktion tätig.

Das klingt zurückhaltend. Sehen Sie die Wissenschaftsfreiheit also nicht in Gefahr?

Der Grundsatz der Wissenschaftsfreiheit ist unverzichtbar. Unsere Zusammenarbeit beruht auf diesem Fundament. Dabei ist der kritische Dialog, den wir weiter mit unseren Partnern führen, ganz wichtig.

Die deutsche Regierung unterstützt die TDU zurzeit mit vier Millionen Euro pro Jahr für die Entwicklung der Studiengänge und die Finanzierung des deutschen Personals. Die TDU ist rechtlich aber eine türkische Uni und an das türkische Hochschulrecht gebunden. Erweist sich die Konstruktion in der Krisensituation als Fehler?

Wir haben anfangs geprüft, die TDU als Stiftungsuniversität zu gründen. Das hätte aber einen zu hohen finanziellen Aufwand von beiden Seiten erfordert. Aber entscheidend ist: Es gibt eine deutsch-türkische Regierungsvereinbarung, die festschreibt, auf welchen Grundlagen die beiden Partner zusammenarbeiten. So werden beispielsweise die Grundsätze von Lehre und Forschung und die Berufungsstandards verankert. Es ist Entscheidendes vom DAAD, von den deutschen Universitäten geleistet worden, gerade in den Rechtswissenschaften, den Ingenieurswissenschaften und European Studies, nicht zu vergessen den Bereich der Sprachvermittlung. Wir haben hervorragende Kräfte aus deutschen Universitäten für die TDU in Istanbul gewonnen. Vor allem unser Rektor hat außerordentlich viel dazu beigetragen, dass das Projekt jetzt auf einem guten Weg ist. Wir gehören zu einer der am besten bewerteten Unis in der Türkei, was ihr Entwicklungskonzept und die Zusammenarbeit mit den Studierenden betrifft.

Werden die suspendierten Dekane jetzt wieder ins Amt eingesetzt?

Die Überprüfung ist bisher nicht abgeschlossen. Das Ausreiseverbot und die Urlaubssperre sind aufgehoben worden, niemand ist an einer Dienstreise gehindert worden. Es mussten auch keine Mitarbeiter aus Deutschland zurückkehren. Dem können Sie entnehmen, dass sich die Lage gegenwärtig entschärft.

Wie geht es mit der TDU weiter?

Es gibt neben dem, was ungewiss ist, auch Positives zu berichten. Der Ausbau geht in einem Tempo wie nie zuvor voran, derzeit wird an neun Neubauten gleichzeitig gearbeitet. Zum Wintersemester werden fünf neue Studiengänge angeboten. Waren bislang 535 Studierende eingeschrieben, werden es jetzt 900 sein. Die Ergebnisse der zentralen Aufnahmeprüfung zeigen, dass die TDU erneut sehr gute Studierende bekommen hat. Ich hoffe, dass der gute Geist, der den Aufbau der Uni bisher begleitet hat, bald zurückkehren wird. Es lohnt sich, hier eine sehr gute Forschungsuniversität weiterzuentwickeln.

- Die Fragen stellte Tilmann Warnecke.

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