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Vor neuen Aufgaben. Sandra Scheeres war in der vergangenen Legislaturperiode im Abgeordnetenhaus jugendpolitische Sprecherin ihrer Fraktion.

© DAVIDS

Sandra Scheeres: Neu am Pokertisch

Berlins künftige Wissenschaftssenatorin Sandra Scheeres muss gleich auf die große Bühne. Die Wissenschaftsexperten, die die großen Herausforderungen sehen, machen sich Sorgen.

Klaus Wowereits Besetzung des Berliner Wissenschaftsressorts gilt als Coup. „Außerordentlich zufrieden“ sind die Uni-Präsidenten, der Akademie-Präsident spricht von der „besten Wahl, die Deutschland im Moment zu bieten hat“, sogar die Opposition ist begeistert. – Diese Äußerungen sind nicht aktuell, sondern fünf Jahre alt. Damals war es dem Regierenden Bürgermeister gelungen, Jürgen Zöllner aus Rheinland-Pfalz nach Berlin zu holen. Die Diskrepanz zu den Reaktionen auf die Ernennung von Sandra Scheeres am Montag könnte nicht größer sein.

Unter Berliner Wissenschaftsexperten löst die Personalie Bestürzung aus. Üblicherweise wird neuen Senatorinnen und Senatoren eine Frist von 100 Tagen gewährt, bis man sie beurteilt. Bei Scheeres ist das anders. Nicht, weil man ihr vorschnell die Qualitäten einer guten Politikerin absprechen will. Vielmehr wird ihr politisches Profil, ihre Expertise für Kitas und Jugend und ihre Unerfahrenheit in der Wissenschaftspolitik, als dramatische Abwertung dieses Feldes betrachtet. Die Berliner Wissenschaft, aus Sicht ihrer Akteure Glanz und Gloria der Hauptstadt, ist schon durch die bloße Ernennung von Scheeres beschädigt worden. Diejenigen, die die großen Herausforderungen sehen, machen sich Sorgen.

Scheeres muss sogleich auf der großen Bühne bestehen. Die Fusion der Charité mit dem Max-Delbrück-Centrum (MDC) soll Berlin viele Millionen vom Bund bringen. Die anderen Länder werden das genau verfolgen. Aus Neid und weil es sich um ein Pilotprojekt handeln soll, mit dem Ehen zwischen Bund und Ländern in der Wissenschaft erprobt werden. Über die verfassungsrechtlichen Fallstricke muss Scheeres irgendwie hinwegsteigen.

Schon im Sommer muss Scheeres sich an den Pokertisch des Elitewettbewerbs setzen. Die FU ist schon Exzellenzuni, sie muss ihren Elitestatus jetzt verteidigen. Die Humboldt-Universität will ihn endlich erringen. Zwar entscheiden zuerst Juroren aus der Wissenschaft. Doch sie treffen nur eine Vorauswahl. In der Schlussrunde entscheiden die Politiker. Im Jahr 2007 hatte schon die wissenschaftliche Jury die HU wegen ihres schlechten Antrags aus dem Rennen geworfen. Die FU war zwar noch drin. Ohne Zöllners robuste Verhandlungen wäre sie aber dennoch gescheitert. So tough und schlau muss Scheeres auch auftreten.

Sie muss auch versuchen, den Bund schon früh zu einer langfristigen Aussage in Sachen Hochschulpakt zu bewegen. Berlins Hochschulen bekommen daraus 100 Millionen Euro. Doch ab 2015 laufen die Mittel aus. Die neuen Berliner Hochschulverträge, über die ab dem nächsten Jahr verhandelt werden muss, sollen aber die Zeit von 2013 bis 2017 abdecken. Berlin müsste also entweder versprechen, nach 2015 selbst immer mehr Landesmittel in die Unis zu stecken. Oder es muss den Bund dazu bewegen, sich selbst noch länger umfassend im Hochschulpakt zu engagieren als geplant. Passiert weder das eine noch das andere, könnte den Hochschulen eine neue Sparorgie drohen.

Es hätte ja durchaus Kandidatinnen in der SPD gegeben, denen man es zugetraut hätte, die Schwierigkeiten zu meistern. Allen voran Doris Ahnen, Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Rheinland-Pfalz. Sie hätte das Format gehabt. Berlin wäre eine Herausforderung gewesen. Erst recht, da Ahnen nicht mehr länger als mögliche Nachfolgerin von Kurt Beck gilt. Immerhin, sie ist gefragt worden, und zwar „deutlich im Vorfeld“ der Senatsbildung, wie es aus ihrem Umkreis heißt. Warum Ahnen abgesagt hat, ist nicht zu ergründen. Hat Zöllner, ihr politischer Ziehvater, zu viel Negatives über Berlin erzählt? Hat ihr der Ressortzuschnitt nicht gefallen?

Eine andere profilierte SPD-Wissenschaftspolitikerin, die ehemalige sächsische Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange, wurde dagegen gar nicht erst gefragt, wie sie auf Anfrage mitteilt.

Hätte dann Wowereit nicht vor Zöllner niederknien und ihn bitten müssen, doch noch zwei Jahre zu machen?, fragt sich jetzt mancher. Zöllner hätte sich eine zweite Legislaturperiode gewünscht, aber Wowereit wollte ihn nicht länger. Er experimentiert stattdessen mit dem Ressort, personell wie vom Zuschnitt her.

Der Zuschnitt ist bundesweit einzigartig. Die staatlich finanzierten nicht universitären Institute fallen in Berlin der Wirtschaft unter der Überschrift „Forschung“ zu, etwa das Wissenschaftskolleg, die Akademie der Wissenschaften oder die Institute der Max-Planck-Gesellschaft. Ungefähr 60 solcher Institute gibt es in Berlin. Die Hochschulen hingegen bleiben im Ressort Bildung, Jugend und Wissenschaft. Alle Berliner Universitäten kooperieren jedoch eng mit den außeruniversitären Instituten, bei Berufungen oder in der Exzellenzinitiative. Als Keimzellen für Ausgründungen wären die Hochschulen im Wirtschaftsressort sogar besser aufgehoben als manches außeruniversitäre Institut. Viel Gestaltungsmöglichkeiten bringt der Wirtschaftssenatorin Sybille von Obernitz die außeruniversitäre Forschung sowieso nicht. Der Etat beträgt zwar 300 Millionen Euro (von 1,8 Milliarden Euro des Wissenschaftsetats). Doch die Institute haben einen hohen Grad von Autonomie. Und bei der Festlegung ihres Etats ist der Bund federführend. Die Aufteilung macht wenig Sinn, „aber sie ist zu organisieren“, sagt einer, der die Verwaltung kennt.

Es drohe „mehr Bürokratie“, kritisiert jedoch der Personalratsvorsitzende der Verwaltung, Rüdiger H. Pipial. Die Mitarbeiter würden erheblich belastet, durch „Doppelzuständigkeiten und Reibungsverluste“. Mehrarbeit würden Abstimmungen über die Exzellenzinitiative, die 150 gemeinsamen Berufungen von Universitäten und außeruniversitären Instituten und die Fusion von Charité und MDC erzeugen.

Verwaltungsmitarbeiter gehen aber davon aus, dass die Koalitionäre nur noch „Feinjustierungen“ vornehmen. Denkbar sei, dass von den betroffenen 38 Mitarbeitern einzelne in der Wissenschaftsverwaltung bleiben können. Denn für die personell ohnehin ausgedünnte Hochschulabteilung sei der Schnitt hart. Sie verliere etwa im Bereich der Exzellenzinitiative wichtige Zuarbeiter, mit denen sie künftig nicht mehr über den Gang, sondern quer durch die Stadt zusammenarbeiten müsse.

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