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Krankheiten: Schizophrene Gene

Forscher finden Ursachen der Psychose im Erbgut.

Die Schizophrenie hat viele Gesichter. Oft ist es das Gefühl, von anderen verfolgt, beobachtet, belauscht zu werden. Oder es sind Stimmen, die sich nicht aus dem Kopf vertreiben lassen. Probleme, klar zu denken, sich im Alltag zurechtzufinden und vernünftig auf andere Menschen zu reagieren – all das kann Ausdruck dieser psychischen Erkrankung sein. Sie bedroht das Ich. Die Persönlichkeit ist nicht etwa „gespalten“, wie das landläufige Vorurteil über die Schizophrenie lautet, sondern droht zu zerfallen. Jetzt haben drei internationale Forscherteams eine Reihe von Veränderungen im Erbgut aufgespürt, die das Risiko für die Erkrankung deutlich erhöhen.

Weltweit erkrankt jeder Hundertste an einer schizophrenen Psychose. Doch gibt es bis heute keinen einfachen Bluttest, keine Röntgenaufnahme oder ein anderes körperliches Merkmal, mit dem eine Schizophrenie festgestellt werden kann. Es ist die Persönlichkeit des Patienten, an der die Diagnose Schizophrenie festgemacht wird. Trotzdem ist seit längerem klar, dass manche Menschen von Natur aus ein erhöhtes Risiko haben – etwa, weil die Krankheit in ihrer Familie vorkommt.

Kommen zu dieser Anfälligkeit belastende Ereignisse hinzu, kann nach heutigem Krankheitsverständnis die Schizophrenie „durchbrechen“. Man schätzt, dass die Gefahr zu erkranken zu mindestens 70 Prozent genetisch bedingt ist. Die Forschergruppen, die ihre Ergebnisse nun in der Online-Ausgabe des Fachblatts „Nature“ vorstellen, nehmen an, dass sie mehr als 30 Prozent des in den Genen verankerten Schizophrenie-Risikos aufdecken konnten.

30 Prozent klingt nach sehr viel. Dabei muss man sich allerdings vor Augen halten, dass sich dieses „große“ Risiko aus vielen kleinen zusammensetzt, möglicherweise von Hunderten von Genen aufsummiert ist. Jede einzelne genetische Auffälligkeit vergrößert das Risiko nur um ein bis zwei Prozent. Es ist die Kombination vieler, für sich genommen harmloser und verbreiteter „Risikogene“, die die Gefahr erhöhen können. „Das“ Schizophrenie-Gen existiert dagegen nicht.

Die Wissenschaftler konzentrierten sich bei ihrer Suche auf winzige Veränderungen in der Sequenz der Erbsubstanz DNS, die Einzelnukleotid-Polymorphismen (kurz „SNPs“ genannt). Nur etwa jeder tausendste biochemische Buchstabe der DNS unterscheidet sich von Mensch zu Mensch, ist also ein SNP (sprich „snip“). Es sind diese minimalen Abweichungen, die ein Schlüssel zu unserer Individualität wie zu vielen Krankheiten sind. Man schätzt, dass es etwa zehn Millionen im menschlichen Erbgut weit verbreitete SNPs gibt. Die SNPs können die Eigenschaften eines Gens verändern und so Einfluss auf den Organismus und seine Krankheitsanfälligkeit nehmen.

Die Forscher suchten das Erbgut von rund 10 000 Schizophrenie-Patienten nach SNPs ab, die sie von gesunden Kontrollpersonen unterschieden. Und wurden fündig, wobei alle drei Teams übereinstimmende Ergebnisse erzielten. Auffällig viele Risiko-SNPs fanden sich in einem Abschnitt auf Chromosom sechs, das eine große Rolle für die Körperabwehr spielt. Vielleicht ein Hinweis auf Infektionen als Auslöser der Erkrankung.

Pamela Sklar vom Broad-Institut in Cambridge/Massachusetts und das „International Schizophrenia Consortium“ entdeckten nicht nur Tausende von verbreiteten genetischen Spielarten (Allele), die jede für sich das Schizophrenie-Risiko nur minimal erhöhen. Es stellte sich zudem heraus, dass viele dieser Spielarten auch bei der manisch-depressiven Krankheit beteiligt sind.

Kari Stefansson von der Firma Decode Genetics in Reykjavik und sein Team spürten ein verändertes Gen mit Namen Neurogranin auf, das bei der Bildung von Nervenkontakten (Synapsen) und damit etwa bei der Gedächtnisentstehung wichtig ist. Ein anderes Erbmerkmal namens TCF4 spielt bei der Entwicklung des Gehirns eine Rolle. Auch Erbanlagen für „Verpackungsproteine“ der DNS, Histone genannt, fielen den Genetikern auf.

Wo aber stecken die anderen 70 Prozent des vererbten Schizophrenie-Risikos? 40 Prozent führen Wissenschaftler auf größere Abweichungen im Genom zurück, bei denen Erbgut-Abschnitte mit Tausenden oder Millionen von „Buchstaben“ verdoppelt wurden, verloren gingen oder falsch eingebaut wurden. Diese Genkopie-Polymorphismen sind selten, erhöhen das Risiko aber umso mehr. Die restlichen 30 Prozent entfallen auf seltene, noch unbekannte SNPs.

Trotz der nun gemachten Fortschritte wird es erst mal keinen seriösen „Schizophrenie-Test“ geben. Viele Forscher dürften alle Hände voll damit zu tun haben, die klaffende Erkenntnislücke zwischen „defekten“ Genen und kranken Patienten zu füllen. Denn es ist zwar klar, dass Erbanlagen an der Schizophrenie beteiligt sind – aber auf welche Weise, ist noch weitgehend unklar.

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