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Schule in der Türkei. Bei der Pisa-Studie sackte das Land nach unten.

© imago/imagebroker

Schule in der Türkei: Darwin ist nichts für die türkische Jugend

Die Evolutionstheorie sei zu kompliziert für Schüler und außerdem "kontrovers", sagt das Bildungsministerium in Ankara. Es will den Lehrplan entsprechend ändern

Türkische Schüler schneiden in internationalen Vergleichen mit ihren Altersgenossen immer schlechter ab – doch die Regierung setzt nach Meinung von Kritikern nicht auf moderne Bildungsinhalte, sondern auf eine islamisch gefärbte Ideologie. So soll Darwins Evolutionstheorie im kommenden Schuljahr aus den Lehrbüchern für die neunte Klasse entfernt werden: Das Thema sei zu kompliziert für die Schüler, sagt das Bildungsministerium in Ankara. Das türkische Bildungswesen ist schon seit Jahrzehnten ein Schlachtfeld weltanschaulicher Auseinandersetzungen. Bis zur Regierungsübernahme der islamisch-konservativen AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan im Jahr 2002 waren Schulen und Universitäten im Land strikt säkularistisch geprägt. Seitdem hat die AKP das alte säkularistische Etsablishment entmachtet und strebt nach Meinung von Kritikern eine islamische Ausrichtung des Bildungssystems an. Bereits vor einigen Jahren gab Erdogan die Losung aus, in der Türkei solle eine „fromme Jugend“ erzogen werden, und verlangte eine stärkere Orientierung an muslimischen Vorbildern. Türkische Schüler wüssten zwar, wer Einstein sei, könnten aber nichts zu muslimischen Gelehrten des Mittelalters sagen, beklagte der heutige Präsident im Jahr 2014. Erdogan vertritt zudem die These, das muslimische Entdecker vor den europäischen Seefahrern den amerikanischen Kontinent erreichten.

Auch Einheiten zu Atatürk sollen gekürzt werden

Darwins Theorie sei „kontrovers“, erklärte der Chef der Lehrplan-Abteilung des Bildungsministeriums, Alpaslan Durmus. Mit der Reform setzt sich Ankara über den Protest von Akademikern an führenden Universitäten des Landes hinweg, die eine bessere Vorbereitung der Schüler auf das Hochschulstudium fordern. Laut Presseberichten werden auch die Unterrichtseinheiten zum säkularistischen Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk gekürzt. Die regierungskritische Lehrergewerkschaft Egitim-Sen warf der AKP vor, das Prinzip der Trenung von Staat und Religion in der Türkei systematisch auszuhöhlen. In den regelmäßigen Pisa-Studien der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) war die Türkei beim letzten Test im Jahr 2015 im Vergleich zu 2012 abgerutscht. Jeder dritte türkische Schüler liegt mit seinen Leistungen in Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen unter dem Durchschnitt – die laizistische Oppositionspartei CHP sagt, das türkische Bildungssystem liege „im Koma“. Maßnahmen wie die Entfernung von Darwins Theorie aus dem Lehrplan werden wohl kaum die Trendwende bringen, sagen Kritiker: Neben der Türkei verzichtet demnach nur Saudi-Arabien darauf, den Kindern die Evolutionstheorie nahezubringen.

Neue Schulen müssen Gebetsräume einrichten

Islamische Oberschulen, die ursprünglich für die Ausbildung von muslimischen Geistlichen gedacht waren, werden von der Regierung gezielt gefördert. Auf Weisung des Bildungsministeriums müssen neue Schulen in der Türkei ab sofort muslimische Gebetsräume einrichten, in denen Jungen und Mädchen getrennt voneinander beten können. Neben der ideologischen Ausrichtung trägt auch die Entlassungs- und Festnahmewelle seit dem Putschversuch vor einem Jahr zur Bildungsmisere bei. Nach Angaben von Bildungsminister Ismet Yilmaz wurden seit dem vergangenen Sommer mehr als 33.000 Lehrer wegen angeblicher Nähe zur Bewegung des Predigers Fethullah Gülen gefeuert.

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