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Schule: Zum Patriotismus erziehen

Schullehrer in Japan müssen weiterhin die Nationalhymne singen. Eine Schadensersatzklage von 130 Lehrern, die ihr Verfassungsrecht auf Meinungsfreiheit verletzt sahen, ist von einem Bezirksgericht abgewiesen worden.

Schullehrer in der japanischen Hauptstadt Tokio leiden weiter unter patriotischen Dienstanweisungen ihrer konservativen Präfekturregierung. Ein Bezirksgericht hat in diesen Tagen eine Schadensersatzklage von 130 Lehrern abgewiesen, die ihr Verfassungsrecht auf Meinungsfreiheit verletzt sahen. Die Pädagogen hatten sich geweigert, bei Abschlussfeiern die Fahne zu grüßen und die Nationalhymne zu singen. Schulamt und Bildungskommission der Stadt Tokio hatten daraufhin Disziplinarstrafen ausgesprochen und die Lehrer auf Schulungen „zur Sicherstellung des korrekten Ablaufs von Schulveranstaltungen“ geschickt. Die Bildungskommission habe das Recht, für Lehrer Schulungen anzuordnen, wenn sie Dienstanweisungen nicht befolgen würden, sagte Richter Shigeru Nakanishi. Die Fortbildung habe lediglich aus einer 20-minütigen Ermahnung und der Abfassung eines Aufsatzes bestanden. Eine Verletzung der Meinungsfreiheit der Lehrer erkenne er nicht.

Vor allem die Nationalhymne „Kimigayo“ ist aus Sicht der Kläger mit Japans militaristischer Vergangenheit verbunden. Im 19. und 20. Jahrhundert spielte sich Japan im westlichen Pazifik als Führungsmacht auf. Der Text des Liedes ist jedoch viel älter und stammt aus einem über 1000 Jahre alten Gedicht, das dem Kaiserhaus eine lange Herrschaft wünscht. Befürworter weisen darauf hin, dass andere konstitutionelle Monarchien in ihren Hymnen ebenfalls den König ehren, ohne deshalb gleich undemokratisch zu sein. Eine ähnliche Diskussion dreht sich um die japanische Fahne mit der aufgehenden Sonne auf weißem Grund. Der seit 1999 regierende Präfekturgouverneur Shintaro Ishihara sieht es als seine Pflicht, für die Erziehung der jungen Tokioter zu patriotischen Bürgern zu sorgen. Dazu gehört seiner Meinung nach auch der Respekt für die Symbole des Staates – und diesen sollen ihnen die Erzieher vorleben.

Die protestierenden Lehrer wiederum halten – wie berichtet – die Bewertung von Fahne und Hymne für ihre Privatsache. In den vergangenen vier Jahren machten sich Hunderte von ihnen strafbar, weil sie nicht mitsangen, die Fahne nicht ehrten oder sich weigerten, die Hymne auf dem Klavier zu begleiten. Inzwischen ist die Stimmung so aufgeladen, dass selbst das Tragen einer blauen Schleife als Friedenssymbol untersagt ist. Einige Lehrer mussten nur Bußgelder zahlen, anderen drohte eine Gefängnisstrafe. Die Schulbehörde hat einer ganzen Reihe von widerborstigen Pädagogen die sonst übliche Weiterbeschäftigung nach der ersten Pensionsgrenze mit 60 Jahren versagt. Die jetzt verlorene Klage geht auf Fälle aus dem Jahr 2004 zurück.

In der Vergangenheit hatten die Hymnengegner vor Gericht auch Erfolge verbucht: Im September vergangenen Jahres entschieden andere Richter, dass Lehrer und Bibliothekare nicht zum Mitsingen verpflichtet seien. Nach diesem Urteil waren die Strafen gegen die klagenden Lehrer nicht verfassungsgemäß. Im Mai 2007 entschied die gleiche Kammer jedoch überraschend, dass die Zeremonie nur ein äußerliches Ritual sei und die Betroffenen nicht in ihrem spirituellen Kern treffe. Die höchste Instanz bestätigte dieses Urteil. Japans Justiz ist zwar unabhängig, gilt aber als freiwillig staatstragend. Viele Eltern halten wenig von Ishiharas Vorliebe fürs Nationale, sehen die klagenden Lehrer mit ihren Gewissensfragen und psychologischen Gutachten aber dennoch als Querulanten.

Die emotionale Eskalation der Diskussion um Fahne und Hymne durch konservative Politiker auf der einen und Schullehrer auf der anderen Seite nimmt teils skurrile Züge an. Mehr und mehr protestierende Lehrer singen statt der Hymne unauffällig eine Parodie. Da fehlt zwar der öffentliche Protest, doch immerhin folgen sie ihrem Gewissen. Und so lange keiner genau hinhört, droht auch der Karriere keine Gefahr. 

Finn Mayer-Kuckuk

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