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Der Neue. Kultusminister Andreas Stoch (SPD) will um Vertrauen werben.

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Schulpolitik in Baden-Württemberg: Weiter mit der Gemeinschaftsschule

Der neue Kultusminister in Baden-Württemberg, Andreas Stoch, hält an der Einführung von Gemeinschaftsschulen fest, will aber keine „Zwangsmissionierung“ betreiben.

Gleich der erste Nachkriegs-Kultusminister im Südweststaat, der in Indien geborene Missionarssohn Gotthilf Schenkel, trug ein SPD-Parteibuch. Dann aber regierte die CDU das Ressort über ein gutes halbes Jahrhundert. Seit dem Wahlerfolg von Grün-Rot 2011 bemühen sich wieder die Sozialdemokraten um die Schulpolitik in Baden-Württemberg. Die Koalition rief den Bildungsaufbruch aus – unter anderem mit dem Ausbau der Gemeinschaftsschulen. Doch Anfang Januar stolperte Ressortchefin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD) aus dem Amt, nachdem ihr nicht nur die Opposition fachliches Unvermögen und eine laxe Dienstauffassung vorgeworfen hatten. Nun soll es Andreas Stoch (SPD) richten: Der 43-Jährige wurde in der vergangenen Woche als neuer Kultusminister vereidigt. Er ist zwar Jurist und noch kein Schulexperte, gilt aber als analytischer Kopf.

Stoch will keineswegs alles anders machen. Viele unter seiner Vorgängerin getroffene Grundentscheidungen stießen ja durchaus auf Zustimmung: die sukzessive Einführung einer Gemeinschaftsschule, der Wegfall verbindlicher Grundschulempfehlungen, die begrenzte Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums. Doch mit der Vielzahl der Baustellen wuchs die Unsicherheit bei Gewerkschaften, den 110 000 Lehrkräften und den Kommunalverbänden, die die Schulträger repräsentieren. Ihr Vertrauen wolle er jetzt zurückgewinnen, sagt Stoch.

Die neue Gemeinschaftsschule soll unverändert hohe Priorität genießen. Die SPD führt pädagogische Gründe für deren Einführung an. In den Kommunen wird der neue Schultyp aber hauptsächlich als strukturpolitische Maßnahme gesehen, um trotz des Rückgangs der Schülerzahlen eine Schule im Ort zu halten. 4100 allgemeinbildende Schulen zählt das Land, 120 Anträge auf Gemeinschaftsschulen liegen dem Kultusministerium derzeit vor.

Furcht vor einer alles nivellierenden Einheitsschule begegnet Stoch mit der Versicherung, sie sei keine Konkurrenz zum bestehenden Bildungsangebot, sondern eine Ergänzung. „Wir sind nicht mit dem Anspruch unterwegs, eine bestimmte Schulform mit einer Art Zwangsmissionierung unters Volk zu bringen. Alle Kommunen und Regionen müssen überlegen, wie sich die Schülerzahl in den nächsten zehn Jahren entwickelt und daran die regionale Schulentwicklung ausrichten“, sagt Stoch. Einen solchen Entwicklungsplan muss er nun rasch ausarbeiten. Das war nicht nur Warminski-Leitheußer, sondern auch der CDU-Vorgängerregierung bislang nicht gelungen. Mehr noch: Es gibt bislang weder Lehrpläne für die Gemeinschaftsschulen noch einen Ansatz, wie die Pädagogen dafür ausgebildet werden sollen.

Streit gibt es auch um den Haushalt. Bis 2020 will Baden-Württemberg mehr als 11 000 Lehrerstellen streichen, ein Fünftel davon bis Ende kommenden Jahres. Gerechtfertigt wird dies durch stark zurückgehende Schülerzahlen. Doch die Verbände sind empört. Stoch will das Sparpaket mit dem Finanzminister neu verhandeln. Eltern und Lehrer fürchten unterdessen um den Bestand von Realschulen und Gymnasien. Aufgrund einer massiven Intervention von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) wird der geplante, universale Bildungsplan für alle allgemeinbildenden Schulen nicht auch den Gymnasien übergestülpt. Darin sehen die Gymnasien nun eine Art Bestandsgarantie, auf die die Realschulen noch warten. Die Neigung der beiden weiterführenden Schularten, lokal mit den bislang 40 Gemeinschaftsschulen zu kooperieren, jedenfalls ist gering.

Einen Auftrag hat der neue Kultusminister schon am zweiten Arbeitstag erfüllt: Rund zehn Prozent aller Gymnasien, die zur neunjährigen Schulzeit zurückkehren, sind benannt. 44 werden es insgesamt, eines pro Land- oder Stadtkreis. Mehr wollte der grüne Koalitionspartner, der am achtjährigen Gymnasium festhält und den Rückschritt für Ressourcenvergeudung hält, nicht durchgehen lassen.

Am hochdifferenzierten Sonderschulsystem will Stoch nicht grundsätzlich rütteln – trotz der UN-Konvention, die auch Deutschland zur Inklusion an Regelschulen verpflichtet. So weit wie möglich wolle man den Wunsch mancher Eltern erfüllen, Kinder mit Behinderungen an einer Regelschule unterrichten zu lassen, sagt Stoch. Gleichzeitig aber sollten die sonderpädagogischen Strukturen erhalten bleiben. Das Doppelangebot kostet Geld, „aber die Eltern und ihre Kinder haben diese Wahlmöglichkeit verdient“.

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