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Schulstudie: Schädliche Stereotype

Pisa zu Leistungen von Jungen und Mädchen: „Geschlechtsbezogene Vorurteile“ führten dazu, dass 15-jährige Jungen in Mathematik etwas besser abschneiden, während Mädchen weit bessere Leistungen im Lesen erzielen.

Mädchen haben kein Mathe-Gen, Jungen fehlt das Lese-Gen – solche biologistischen Klischees weisen die Pisa-Forscher in ihrer neuen Sonderauswertung über die Leistungen von Mädchen und Jungen zurück. Nicht die Natur, sondern „geschlechtsbezogene Vorurteile“ führten dazu, dass 15-jährige Jungen in den meisten Mitgliedsstaaten der OECD in Mathematik im Schnitt etwas besser abschneiden, während Mädchen im Schnitt durchgängig weit bessere Leistungen im Lesen erzielen. Die OECD hält es nicht nur aus moralischen Gründen für problematisch, wenn Zukunftschancen vom Geschlecht abhängen. Sie ist auch davon überzeugt, dass es wirtschaftliche und soziale Vorteile bringt, wenn die Leistungen eines Geschlechts auf das Niveau des anderen gehoben werden können. „Wir dürfen nicht akzeptieren, dass Vorurteile wie ,Lesen ist nichts für Jungen‘ oder ,Mathe ist nichts für Mädchen‘ weiter bestehen“, erklärt Angel Gurría, Generalsekretär der OECD. „Solche Ansichten führen dazu, dass unseren Gesellschaften wichtiges Bildungspotenzial verloren geht.“

„In Mathematik und den Naturwissenschaften sind die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen sehr gering“, sagt Paolo Zoido, der Leiter der Untersuchung. Er stützt sich dabei auf die drei internationalen Pisa-Studien aus den Jahren 2000, 2003 und 2006 sowie auf andere OECD-Untersuchungen. Im Lesen haben die Mädchen allerdings einen großen Vorsprung. Unter den 15-Jährigen liegen sie im internationalen Schnitt 38 Punkte vor den Jungen (in Deutschland 42 Punkte). 40 Pisa-Punkte entsprechen etwa einem Schuljahr. International erreichen sechs Prozent der Jungen, aber elf Prozent der Mädchen die höchste Kompetenzstufe. 26 Prozent der Jungen liegen auf oder unter der niedrigsten Kompetenzstufe, doppelt so viele wie Mädchen. Die Forscher sehen einen Zusammenhang zwischen einer hohen Motivation zum Lesen und guten Leseleistungen: „Lesen ist eine kulturelle Praxis, die durch das soziale Umfeld beeinflusst wird“, erklärt die OECD. „Um das Interesse von Jungen am Lesen zu erhöhen, müssen deshalb die Familien und die Gesellschaft stärker eingebunden werden.“

In Mathematik fallen die Unterschiede kleiner aus, in der vierten Klasse sind sie laut Timss über alle 36 Teilnehmerstaaten hinweg nicht erkennbar. Allerdings schnitten Jungen in zwölf Staaten besser ab, in acht Ländern war es umgekehrt.

In der achten Klasse lagen laut Timss die Mädchen im internationalen Schnitt in Mathematik vor den Jungen – in 16 Staaten erzielen sie bessere Ergebnisse, in acht Ländern haben hingegen die Jungen einen Vorsprung. Hier tut sich ein scheinbarer Widerspruch zu Pisa auf. Denn bei Pisa liegen 15-jährige Jungen elf Punkte vor den Mädchen (in Deutschland um 19 Punkte), nur in Island lagen die Mädchen bei Pisa 2003 um 15 Punkte vor den Jungen. Der Unterschied zu Timss lasse sich mit einem unterschiedlichen Aufgabendesign erklären, sagt Zoido. Auch sei der Abstand zwischen Jungen und Mädchen bei Pisa „nur sehr gering“. Die höchste Pisa-Stufe erreichen 17 Prozent der Jungen und 12 Prozent der Mädchen. Auf der untersten Stufe ist das Bild ausgeglichen: 21 Prozent sind Jungen, 22 Prozent Mädchen.

Weit größer als bei den Leistungen ist die Kluft zwischen Jungen und Mädchen bei ihrer Einstellung zur Mathematik. In 32 von 40 Ländern gibt es mehr Mädchen, die im Matheunterricht unter Leistungsdruck, Hilflosigkeit und Stress leiden. Im fehlenden Selbstbewusstsein der Mädchen, der mehr auf Stereotypen als auf tatsächlichen großen Leistungsunterschieden beruht, sieht die OECD eine weitere Herausforderung für Eltern und Lehrer.

In den Naturwissenschaften ist der Abstand von Jungen und Mädchen noch geringer als in Mathematik. In der vierten Klasse gibt es im internationalen Schnitt keine Unterschiede. In der achten Klasse liegen die Mädchen laut Timss in 14 Ländern vorn, in elf Ländern die Jungen. Bei Pisa sind die Ergebnisse in den meisten Ländern ausgeglichen (in Deutschland haben die Jungen einen kleinen Vorsprung von sieben Punkten). Allerdings erreichen Jungen international häufiger die oberste Kompetenzstufe (57,1 Prozent) und liegen auch häufiger auf oder unterhalb der niedrigsten Kompetenzstufe (52,4 Prozent).

„Der Bericht zeigt, dass Lehrkräfte deutlich mehr für die Gleichberechtigung tun können“, erklärt OECD-Generalsekretär Gurría. So müssten sie sich der Erwartungen, die sie gegenüber Schülerinnen und Schülern haben, bewusst werden. Der Philologenverband forderte eine Leseoffensive für Jungen. Der VBE erklärte, in der Lehreraus- und -fortbildung müsse „mehr als bisher auch der Aspekt geschlechterbezogener Pädagogik aufgenommen werden“.

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