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Schweinegrippe-Experte Peters: ''Viele überleben nur dank Intensivmedizin''

Keine Entwarnung: Schweinegrippe-Experte Peters

Bisher verlief die Schweinegrippe milder als von den meisten Experten im Frühsommer vermutet, vor allem was die Zahl der Todesfälle betrifft. Wie schätzen Sie die Entwicklung ein?

Wir hatten in Deutschland zunächst eine durch Reiserückkehrer verursachte Welle, die wir durch allgemeine Maßnahmen der Kontrolle gut in den Griff bekommen haben. Sie hat nicht dieselbe Höhe erreicht wie in anderen europäischen Ländern wie Spanien und Frankreich. Dann kam in den letzten sechs bis acht Wochen zunächst eine massive Zunahme, wie wir sie von anderen Erregern kennen, die sich durch Tröpfcheninfektion verbreiten. Dann ist ein Plateau erreicht worden, und nun sieht es so aus, als würde die Kurve der Neuzunahmen abflachen. Es ist also eine Beruhigung eingetreten. Das heißt aber nicht, dass wir es überstanden hätten.

Wie geht es weiter?

Ich erwarte, dass es in einem oder eineinhalb Monaten wieder zu einem Anstieg kommt. Gründe für solche Anstiege sind oft Reisewellen und der Schulanfang nach den Ferien. In Frankreich können wir eine solche Entwicklung beobachten. Das einzige, was man mit größerer Wahrscheinlichkeit sagen kann: Wenn die übliche Influenza-Saison im Frühjahr zu Ende ist, wird es auch kaum mehr H1N1-Infektionen geben. Möglicherweise wird sich aber im nächsten Herbst und Winter zeigen, dass die bisherigen saisonalen Grippeviren durch H1N1 ersetzt sind. Das bedeutet auch, dass sich das Krankheitsspektrum in Zukunft verändert: Es werden überwiegend Jüngere an Grippe erkranken.

Ist das nicht ein Grund zur Beruhigung, weil die Jüngeren die Infektion besser wegstecken können?

Nein, es macht uns durchaus auch Sorgen. Zwar sind bisher wenige Menschen an der neuen Influenza gestorben. Doch man muss zwei Dinge bedenken: Erstens haben wir keine exakten Zahlen dazu, wie viele Menschen bisher tatsächlich Jahr für Jahr an der saisonalen Grippe gestorben sind. Man betrachtet allein die „Übersterblichkeit“ im Winter und sieht, dass zehntausend Menschen mehr sterben. Wenn mehr Menschen sterben, könnte das aber auch an der Glätte liegen, die zu Stürzen und Verkehrsunfällen führt. Jüngere, gesunde Menschen bekommen von der saisonalen Grippe nur selten schwere Lungenentzündungen. Das trifft vorwiegend ältere Patienten mit mehreren Vorerkrankungen, Immungeschwächte und Krebspatienten.

Und das ist bei H1N1 anders?

Ja, ein Drittel bis ein Viertel derjenigen, die schwer erkranken, haben keine Vorerkrankungen. Das zeigen die Statistiken aus den USA. Wir verdanken es den sehr guten intensivmedizinischen Möglichkeiten, die wir in den industrialisierten Ländern haben, wenn trotzdem nur so wenige Menschen sterben. Bisher gibt es kein flächendeckendes Meldesystem für solche schweren Verläufe. Das Robert-Koch-Institut (RKI) versucht, die Kliniken für eine freiwillige Meldung zu gewinnen. Was wir sehen, ist aber, dass in unserem großen Uniklinikum hier in Münster in den letzten Wochen vermehrt Patienten mit einer H1N1-Infektion auf der Intensivmedizin beatmet werden mussten. Ich schätze, dass auf jedes H1N1-Todesopfer fünf- bis zehnmal so viele kommen, die dank intensivmedizinischer Behandlung überleben. Das dürfte bei der saisonalen Influenza anders sein, weil die Betroffenen älter sind und mehr Grunderkrankungen haben.

Kritisieren Sie das bisherigen Verhalten der Politik und der Behörden in Deutschland?

Ich muss zuerst sagen: Die Arbeit des RKI und des Paul-Ehrlich-Instituts war aus meiner Sicht geradezu aufopfernd. In Nachhinein kann man vielleicht erkennen, dass man einiges hätte anders machen können. Vor allem sollte man zu besseren Übereinkünften zwischen Bund und Ländern kommen, die mit einer Stimme sprechen müssen. Im Frühjahr, wenn mehr Ruhe eingekehrt ist, sollten sich die Verantwortlichen deshalb zusammensetzen, und zwar nicht nur die Politik und die Behörden, sondern auch die ärztlichen Berufsverbände und die wissenschaftlichen Organisationen. Ich betone das, weil das Hauptproblem die Kommunikation durch uns Ärzte selber war. Sehr viele haben apodiktisch zu etwas Stellung genommen, zu dem ihnen die Fachkompetenz fehlte.

Das Gespräch führte Adelheid Müller-Lissner.

GEORG PETERS leitet das Institut für

Medizinische

Mikrobiologie der

Universität Münster.

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