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Gärtner beim Sprengen

© picture alliance / ZB

Seelisch krank: Arbeit gibt Struktur

Für mehr Lebensqualität: Psychisch Kranke sollten möglichst rasch in ihren Beruf zurückkehren.

„Nie ist das menschliche Gemüt heiterer gestimmt, als wenn es seine richtige Arbeit gefunden hat“, meinte zu Beginn des 19. Jahrhunderts Wilhelm von Humboldt. Dass eine sinnvolle, befriedigende Teilhabe am Erwerbsleben der menschlichen Psyche guttut, wurde zuletzt allerdings seltener diskutiert als das Gegenteil: Berufstätigkeit als Ursache für Erschöpfung, für „Burn-out“ und andere seelische Leiden.

„Arbeit ist aber auch ein wesentlicher Schutzfaktor“, sagt Wolfgang Maier von der Uni Bonn und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). „Arbeit ist der zentrale Platzanweiser in unserer Gesellschaft, sie prägt die Identität, sorgt für Struktur, Stabilität und nicht zuletzt für den Lebensunterhalt“, sekundiert Ulf Fink, früherer Berliner Gesundheitssenator und Vorsitzender von „Gesundheitsstadt Berlin“. Seine Organisation hatte letzte Woche zusammen mit der Fachgesellschaft der Psychiater zu einer Veranstaltung geladen, auf der „Arbeit für psychisch Kranke“ im Mittelpunkt stand.

Tatsächlich scheinen sich Arbeitswelt und psychische Erkrankungen heute in vielen Fällen auszuschließen. Unter den gesundheitlichen Gründen für Frühberentungen nehmen die seelischen Leiden inzwischen den Spitzenplatz ein. Und Menschen mit psychischen Problemen sind auch deutlich häufiger arbeitslos. Michael Schubert von der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation stellte eine aktuelle Studie vor, der zufolge bei rund 40 Prozent der Bürger, die Arbeitslosengeld II beziehen, in den letzten Monaten mindestens eine psychiatrische Diagnose gestellt wurde. Das sind doppelt so viele wie unter gleichaltrigen Erwerbstätigen. Insgesamt geht es um 1,4 Millionen Menschen.

Entgegen dem vielfach herrschenden Eindruck sei es aber keineswegs so, dass psychische Krankheiten in den letzten Jahren zugenommen hätten, betonte DGPPN-Präsident Maier. „Doch die Folgen ändern sich, weil am Arbeitsmarkt andere Anforderungen gestellt werden, weil unsere Arbeitswelt in den letzten Jahren für psychisch Kranke weniger passfähig geworden ist.“ Das treffe vor allem für die Minderheit der schwer und längerfristig Erkrankten zu. Maier forderte individuelle Lösungen, um ihren kompletten Rückzug aus der Arbeitswelt möglichst zu vermeiden. Der droht an erster Stelle Menschen mit chronischen Schizophrenie-Erkrankungen.

Umso wichtiger ist es, Betroffenen die Rückkehr in den Beruf zu erleichtern beziehungsweise ihnen überhaupt den Einstieg in den „ersten“ Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Das sollte möglichst rasch erfolgen, auch wenn zunächst noch eine Begleitung durch speziell ausgebildete Fachkräfte nötig ist. Diesen Ansatz favorisiert die DGPPN in ihrer aktuellen Praxisleitlinie. Dafür haben Steffie Riedel-Heller von der Universität Leipzig und Kollegen die einschlägige internationale Fachliteratur, darunter auch 16 randomisierte kontrollierte Studien, durchforstet und festgestellt: Das Konzept des schnellen Wiedereinstiegs mit Begleitung durch einen Jobcoach („first place, then train“), das in vielen Ländern praktiziert wird, ist dem traditionell in Deutschland bevorzugten Berufsvorbereitungstraining („first train, then place“) überlegen.

Langsam beginnt aber auch hierzulande ein Umdenken. Wie auf der Tagung berichtet wurde, fördert die Bundesagentur für Arbeit bereits in mehr als 4000 Fällen eine solche unterstützte Beschäftigung.

Frank Jacobi von der Psychologischen Hochschule Berlin warnte generell davor, bei psychischen Erkrankungen zu viel und zu lang krankzuschreiben. Teilkrankschreibungen, wie sie etwa in Norwegen üblich seien, brächten oft mehr. „Häufig ist Schonung nämlich kontraproduktiv.“ Adelheid Müller-Lissner

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