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Seismologie: Gespür fürs Gestein

Mit einem dichten Netz seismologischer Stationen in Nordchile wollen Geoforscher in die Tiefe blicken. Es steht genau in der Gegend, wo das nächste Starkbeben erwartet wird.

Starke Erdbeben, wie das vom 27. Februar vor der chilenischen Küste, sind selten. Weltweit gibt es jedes Jahr nur etwa ein Dutzend dieser heftigen Erschütterungen. Oft befinden sich nur wenige Messgeräte in der Nähe dieser Beben, mit deren Hilfe die Forscher die Vorgänge in einigen Kilometern Tiefe studieren können.

Das soll sich ändern. In dieser Woche übergibt das Deutsche Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) eine ganze Flotte von Apparaten an zwei chilenische Universitäten in Santiago und Antofagasta. Die Geräte befinden sich in einer rund 400 Kilometer langen Region zwischen der peruanischen Grenze und der chilenischen Küstenstadt Antofagasta. Den Standort haben GFZ-Forscher Onno Oncken und seine Kollegen bewusst gewählt. Sowohl nördlich als auch südlich davon gab es in den letzten Jahren starke Erdbeben, die Spannungen in der Erdkruste abbauten. Dazwischen ist das nächste Megabeben also „überfällig“.

Wann dieses Beben kommt, weiß auch Oncken nicht. Aber wenn es kracht, wird der Forscher die Erschütterungen so gut beobachten wie noch kein anderes Megabeben zuvor. Denn in den letzten Jahren haben die Potsdamer zusammen mit Kollegen aus Chile und Frankreich 20 seismologische Stationen in der Region aufgebaut. Damit fangen die Geowissenschaftler die Signale auf, die vor, während und nach dem Beben aus der Tiefe bis an die Oberfläche dringen.

Kern einer solchen Messstation ist ein Breitbandseismometer. Dieses Gerät misst die Wellen, die bei einer Erschütterung durch den Untergrund laufen. Allerdings erfassen die Forscher damit nicht nur normale Beben, die in wenigen Sekunden oder Minuten vorbei sind. Sie registrieren auch solche, die nicht einmal die Stärke 2 erreichen, sowie andere, die einige Monate dauern können. Diese „stillen Erdbeben“ setzen ebenfalls sehr viel Energie frei. Das geschieht aber so langsam, dass ein Mensch davon gar nichts spürt. Stille Erdbeben entstehen in sehr großen Tiefen. „Vielleicht ist das Gestein dort ähnlich zähflüssig wie ein Kuchenteig“, vermutet Oncken.

Die Forscher wissen fast nichts über solche stillen Beben, weil sie kaum gemessen werden können. Vielerorts überdecken die viel stärkeren Schwingungen durch ein vorbeifahrendes Auto die natürlichen Bewegungen. In der Küstenwüste in Nordchile gibt es in vielen Gebieten weder Menschen noch Verkehr und die Seismografen werden nicht gestört. Damit weder Veränderungen der Temperatur noch der Luftfeuchte die Messungen beeinflussen, sprengt man in fünf Metern Tiefe einen kleinen Raum in eine Felswand, in dem die Instrumente ungestört von solchen Einflüssen messen.

Ein starkes Beben würde die empfindlichen Breitbandseismometer aber überfordern. Deshalb montieren die Forscher zusätzlich Beschleunigungsmesser in den Felsenkammern, die auch stärkste Erschütterungen gut registrieren. Auf dem Hügel über der Kammer befindet sich ein GPS-Gerät. Denn die Bewegung der Erdplatten ist messbar. Die Nazcaplatte, die den südöstlichen Teil des Pazifiks trägt, schiebt sich mit durchschnittlich sieben Zentimeter pro Jahr unter die südamerikanische. Verhakt sich die Nazcaplatte, beult sie den oben liegenden Kontinent Südamerika ein wenig aus. Holt die Platte dann bei einem Beben die versäumte Bewegung nach, fällt die Beule wieder in sich zusammen. Genau solche Veränderungen registriert das GPS-Gerät.

Daneben gibt es noch „Kriechmessgeräte“, die erfassen, wie stark sich die Oberfläche an bestimmten Stellen dehnt. Neigungsmesser registrieren, wie die untergleitende Nazcaplatte die chilenische Küste auf der einen Seite anhebt und auf der anderen Seite ein klein wenig mit in die Tiefe zieht.

Außerdem wurden an den Stationen Elektroden im Boden verlegt, die die Stärke des elektromagnetischen Felds messen. Strömt in der Tiefe salzhaltiges Wasser in Spalten, die von den Plattenbewegungen aufgerissen werden, verändern sie dieses Feld auch an der Oberfläche minimal.

Die riesige Lauschstation ist fertig. Der Betrieb liegt nun in den Händen der Chilenen. Von den beiden Universitäten werden die Messdaten laufend nach Potsdam gesendet. Auch wenn das gefürchtete Megabeben noch etwas auf sich warten lässt, hoffen die Forscher, mithilfe der laufend erhobenen Daten ein genaueres Bild von den Vorgängen in der Tiefe zu erhalten. Das hilft ihnen einzuschätzen, wie sich die Erdbebengefahr mit der Zeit ändert, sagt Oncken.

Damit wäre schon einiges gewonnen in einer Region, deren Minen ein Drittel des auf der Welt verwendeten Kupfers und große Mengen des Hightechrohstoffs Lithium liefern. 

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