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© dpa

Selbstmord von Robert Enke: Müssen psychisch Kranke Ausgrenzung fürchten?

Robert Enke hatte Angst, sich öffentlich zu seinen Depressionen zu bekennen. Müssen psychisch Kranke Ausgrenzung fürchten?

Von Anna Sauerbrey

Der Selbstmord von Torwart Robert Enke hat viele Menschen bewegt. Besonders, dass Enke es nicht wagte, seine schwere Erkrankung öffentlich zu machen und sogar befürchtete, seine Adoption könne rückgängig gemacht werden, hat viele betroffen gemacht.

Wie werden psychische Erkrankungen in der Gesellschaft wahrgenommen?

Psychische Erkrankungen werden zwar weiterhin stigmatisiert. Darin sind sich die meisten Experten einig. Nach der Einschätzung von Birgit Janssen, Oberärztin an der Fachklinik für psychische Erkrankungen der Universitätsklinik Düsseldorf, und Harald Freyberger, Direktor der Greifswalder Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, hat sich das gesellschaftliche Klima in den vergangenen Jahren aber hin zu mehr Offenheit gewandelt. Janssen beobachtet: „Über Depression wird häufiger gesprochen.“ Dennoch falle es den Patienten weiterhin schwerer, über ihre Depression zu sprechen als über körperliche Erkrankungen. Vielen sei es unangenehm, auf der Arbeit eine Krankschreibung vom Psychiater einzureichen.

Warum ist es schwieriger, über psychische als über körperliche Krankheiten zu sprechen?

Harald Freyberger sieht die Ursachen für den schwierigen Umgang mit psychischen Erkrankungen in aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen. „Wir leben in einer Gesellschaft, die in bestimmten Subkulturen eine ausgesprochen hohe soziale und persönliche Mobilität erwartet“, sagt er. In Subkulturen wie der Fußball-Bundesliga werde von jungen Spielern „eine glatte und störungsfreie Fassade erwartet“. Dies gelte auch für andere gesellschaftliche Bereiche, etwa für die Politik. „Überall da, wo Leistung und Fitness eine Rolle spielen, kann jede Form von schwerer Erkrankung stigmatisiert sein“, sagt auch Janssen. Auf die allgemein steigenden Anforderungen an die Mobilität führt Freyberger gleichzeitig die große Anteilnahme am Tod Enkes zurück. Da viele Menschen ähnliche Belastungen erlebten, könnten sie gut nachfühlen, wie „krisenanfällig“ Individuen sein könnten, erklärt Freyberger.

Wie gehen Arbeitgeber mit erkrankten Mitarbeitern um?

Psychische Erkrankungen werden immer häufiger und sind mit verantwortlich für längere Fehlzeiten am Arbeitsplatz. Zu diesem Ergebnis kommt unter anderem eine Gesundheitsstudie der Bertelsmann-Stiftung, die am Donnerstag vorgestellt wurde. Demnach klagt ein Drittel aller Erwerbstätigen über psychische Belastungen. Für die repräsentative Studie werden zweimal im Jahr bundesweit knapp 1500 Menschen befragt.

Ein Teil der Stigmatisierung könnte auch darin liegen, dass psychische Erkrankungen im Gesundheitswesen vergleichsweise hohe Kosten verursachen. Nach einem Bericht der AOK, die als größte Krankenkasse etwa 25 Millionen Menschen in Deutschland versichert, wurde 2006 jeder neunte der insgesamt rund 236 Milliarden Euro, die für das Gesundheitssystem ausgegeben wurden, aufgrund psychischer Erkrankungen aufgebracht. Mehr Geld wurde nur für Erkrankungen des Kreislaufsystems und des Verdauungssystems ausgegeben. Auch fehlen laut AOK-Studie Menschen mit psychischen Krankheiten länger als Arbeitnehmer mit körperlicher Erkrankung. „Ich warne aber vor Panikmache“, sagt Janssen, „Depression kann man sehr gut behandeln.“ Eine Kombination aus psychotherapeutischer und medikamentöser Behandlung führe relativ schnell zum Erfolg.

Die Akzeptanz der Arbeitgeber scheint aber – vielleicht auch wegen der hohen Krankheitskosten – gestiegen zu sein. „Ich sehe hier seit 20 Jahren zunehmende Verbesserungen“, sagt Freyberger. Auch nach Erfahrung von Janssen ist die Kooperation mit den Arbeitgebern häufig gut. Die Akzeptanz psychischer Erkrankungen am Arbeitsplatz sei aber weiterhin stark abhängig vom beruflichen und sozialen Kontext, sagt Freyberger. Auch Hanns Pauli, zuständig im DGB-Vorstand für Gesundheit und Arbeitsschutz, will die Offenlegung der Diagnose Depression nicht uneingeschränkt empfehlen. „Es wäre lebensfremd anzunehmen, dass angesichts der hohen Kosten alle Arbeitgeber hilfreich zur Seite stehen“, sagt Pauli.

Gibt es bei der Akzeptanz der Krankheit Unterschiede zwischen Männern und Frauen?

Nach der Erfahrung von Janssen ist die Bereitschaft, eine psychische Erkrankung zu akzeptieren und sich behandeln zu lassen, bei Frauen größer. „In der Männerwelt sind Depressionen noch stärker tabuisiert“, sagt die Oberärztin. Das bestätigt auch der Fehlzeitenbericht der AOK. Während unter AOK-Versicherten rund elf Prozent der Fehlzeiten von Frauen auf psychische Erkrankungen zurückgehen, sind es bei Männern nur rund sechs Prozent. Männer haben hingegen statistisch gesehen ein höheres Risiko für Suchtprobleme. Wissenschaftler würden hier einen Zusammenhang sehen, sagt Janssen. „Man geht davon aus, dass ein Teil der Suchtprobleme von Männern auf unterdrückte psychische Probleme zurückgehen“, erklärt Janssen. Der Alkohol- und Drogenkonsum könnte eine Form verfehlter „Selbsttherapie“ darstellen.

Können Depressive Kinder adoptieren?

Nach Auskunft seiner Ehefrau hatte Robert Enke Angst, das Jugendamt könne ihm seine Tochter wieder wegnehmen, die er und seine Frau im Mai adoptiert hatten. Das ist nach Auskunft des zuständigen Jugendamtes ausgeschlossen. Auch Experten sehen das so. „Eine Adoption wieder rückgängig zu machen, ist sehr, sehr schwierig“, erklärt Michael Wuppermann, ehemaliger Amtsrichter in Siegen und Autor eines Handbuches zum Adoptionsrecht. Auch seien Krankheiten potenzieller Adoptiveltern kein grundsätzlicher Hinderungsgrund für eine Adoption. Bei bekannten Erkrankungen würden die Jugendämter allerdings genau hinschauen, um das Wohl des Kindes zu gewährleisten. „Es wird ganz grundsätzlich geprüft, ob das Kind in einem stabilen Umfeld aufwächst, auch in einem gesundheitlich stabilen Umfeld“, bestätige auch eine Sprecherin des Landschaftsverbands Rheinland, der zuständig für die Jugendämter in Nordrhein-Westfalen ist. „Schwere Depressionen mit erkennbaren suizidalen Absichten können durchaus ein Ausschlussgrund sein“, sagt die Sprecherin.

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