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Platz da! Noch die gab es so viele Studierende in Berlin wie jetzt. Raumnot ist eine Folge.

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Semesterstart in Berlin: An den Unis herrscht das Prinzip Presswurst

In Berlin bekommt längst nicht jeder einen Studienplatz - überall schützen sich die Hochschulen mit dem Numerus clausus vor dem Andrang. Trotzdem kann es bei einigen Fächern richtig voll werden.

Martin Schwab, der Dekan des Fachbereichs Rechtswissenschaft der FU, begrüßt die Erstsemester bei der Immatrikulationsfeier gerne mit einem Ständchen auf dem Keyboard. Diesmal wird der Applaus für den Professor noch lauter werden als im Vorjahr. Denn noch einmal wurden weit mehr Erstsemester in Jura zugelassen, als überhaupt Plätze bereitstehen – 428 statt 319. Dabei platzte die Fakultät schon vorher aus allen Nähten: „Das ist eine bildungspolitische Katastrophe“, sagt Andreas Fijal, der Prodekan für Lehre bei den Juristen.

Die FU-Rechtswissenschaftler sind nicht die einzigen, die unter einer Überlast stöhnen. Auch bei den Wirtschaftswissenschaftlern, in der Pharmazie oder in der Germanistik der FU werden sich Studierende einen Studienplatz teilen müssen. An der Humboldt-Universität nehmen etwa die Philosophie, die Geographie, die Biologie oder die Grundschulpädagogen mehr Erstsemester auf, als sie eigentlich verkraften können.

Für die betroffenen Studierenden heißt das, dass sie manche Vorlesungen nun auf der Leinwand im Nachbarhörsaal verfolgen müssen. Ihre Seminare werden zu Massenveranstaltungen. Es wird für sie auch schwieriger, in Pflichtkurse aufgenommen zu werden, wie aus der HU zu hören ist. Oftmals werden diese Erstsemester auch nicht von Professoren, sondern nur von Lehrbeauftragten unterrichtet – ein Qualitätsproblem. Für die Professoren bedeutet die Überfülle schließlich, dass ihre Prüfungsbelastung weiter steigt, sie also weniger Zeit zum Forschen haben. Denn die Lehrbeauftragten sind nicht prüfungsberechtigt.

Eigentlich müsste das Prinzip Presswurst an Berliner Unis Geschichte sein. Seit Jahren schirmen sie sich gegen die herandrängenden Studierwilligen mit einem fast flächendeckenden Numerus clausus ab. Sind die Plätze voll, soll niemand mehr hereindürfen – mag die Nachfrage wegen der doppelten Abiturjahrgänge, der Aussetzung der Wehrpflicht und der extremen Studierneigung der Abiturienten auch noch so hoch sein. Doch der Studienplatzmangel – ein Effekt der jahrzehntelangen Unterfinanzierung der deutschen Hochschulen – wird trotz des wuchernden NC nicht gut verwaltet, weder in Berlin noch bundesweit. Mehrere Faktoren kommen zusammen.

1. In Berlin bringt Masse Geld

Berlin zwingt seine Hochschulen über das leistungsbasierte „Preismodell“, möglichst viele Studierende im ersten Hochschulsemester aufzunehmen: Für jedes Erstsemester fließt Geld vom Land. Uniwechsler, die erst in einem späteren Semester kommen, müssen unfinanziert mitgeschleppt werden. Überhaupt sind die Mittel so knapp bemessen, dass sich die steigenden Strom- oder Personalkosten nur bei völliger Auslastung begleichen lassen, heißt es aus den Uni-Leitungen.

Doch können die Unis die Studierenden nicht gleichmäßig auf alle Schultern verteilen. Kleine Fächer wie Semitistik oder Kunstgeschichte Afrikas, aber auch wenig populäre Naturwissenschaften laufen selten voll. Darum müssen beliebte Fächer wie BWL, Jura oder Germanistik das Geld für weniger nachgefragte Fächer mit einspielen – indem sie mehr Studierende aufnehmen, als sie gut betreuen können. Einen „perversen Anreiz“ sieht eine FU-Professorin darum im „Preismodell“.

2. Auch an der FU bringt Masse Geld

An der FU kann der Effekt des „Preismodells“ noch von der internen Mittelvergabe verstärkt werden. Zwischen den Fachbereichen werden 30 Prozent des Budgets für Leistungen in Forschung und Lehre verteilt. Fächer, die in der Forschung nicht punkten können, müssen also einen Teil ihres Etats erwirtschaften, indem sie mehr Studierende aufnehmen. Auch darum müssen die FU-Juristen schon seit Jahren „über den Durst trinken“, wie man in FU-Kreisen formuliert.

Die Unis haben sich bei der Zulassung verschätzt

Platz da! Noch die gab es so viele Studierende in Berlin wie jetzt. Raumnot ist eine Folge.
Platz da! Noch die gab es so viele Studierende in Berlin wie jetzt. Raumnot ist eine Folge.

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3. Die Unis verschätzen sich

Diesmal haben die FU-Juristen aber einen weit größeren Schluck über den Durst genommen, als geplant. Denn die Freie Universität hat sich zusätzlich zu den geplanten hohen Aufnahmezahlen auch noch verkalkuliert. Es ist durchaus üblich geworden, dass die deutschen Hochschulen ihre Plätze überbuchen wie Fluggesellschaften ihre Flüge. Denn viele Studierende bewerben sich mehrfach, um in NC-Zeiten ihre Chancen zu steigern. Am Ende nimmt nur ein Bruchteil den angebotenen Platz wirklich an. Die FU ging davon aus, dass wie im vergangenen Jahr 27 Prozent der in Jura Zugelassenen kommen. Doch tatsächlich waren es 33 Prozent. Schlimmer noch traf es nach Angaben aus der Universität die Kunstgeschichte der FU: Sie rechnete wie im vergangenen Jahr mit einer Annahmequote von 21 Prozent, doch tatsächlich sagten 38 Prozent zu – für ein kleines Fach ein Drama.

Auch die Humboldt-Universität hat in verschiedenen Fächern eine böse Überraschung erlebt, weil das Annahmeverhalten der Zugelassenen von Jahr zu Jahr stark schwankt, etwa in der Philosophie. „Die Mehrfachbewerbungen sind unsäglich“, sagt Elke Warmuth, die Studiendekanin der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät II. Die Flut von Bewerbungen führe nicht nur zu Überbuchungen, sondern sie bringe die Zulassungsstellen der Hochschulen an den Rand ihrer Kräfte. Abhilfe könnte nur das bundesweite zentrale Bewerbungssystem schaffen, das die Bundesregierung seit Jahren in Aussicht stellt. Doch wann die technischen Probleme gelöst sind, ist ungewiss.

4. Der Senat hat Zulassungszahlen hochgeschraubt – besonders für die HU

Eng wird es zusätzlich noch wegen der neuen Kapazitätsverordnung (KapVo). Die Senatsverwaltung für Wissenschaft hat bei einzelnen Veranstaltungstypen die Zulassungszahlen heraufgesetzt. Das Ziel sei schließlich, „möglichst vielen Studienbewerberinnen und -bewerbern eine Hochschulausbildung zu ermöglichen“, lautet die Begründung.

Besonders die HU ist davon betroffen: „Bei uns hat die KapVo voll zugeschlagen“, sagt die Prodekanin Warmuth. Manche Fächer hatten im Zuge der Bachelor-Reform ein Studium in kleinen Gruppen angeboten, etwa die Geographie und die Biologie. Sie müssen nun weit mehr Studierende zulassen, die Geographie laut Warmuth 30 Prozent: „Ein kleines Fach kann das kaum ausgleichen.“ Selbst wenn es gelänge, noch Lehraufträge an externe Kräfte zu verteilen, sei das doch nur „eine Notlösung“. Gute Leute seien auf dem bundesweit abgegrasten Markt kaum aufzutreiben – man könne ihnen ja auch keine Perspektiven bieten.

In der Lehrerbildung wird auch die FU die KapVo zu spüren bekommen. Die Professoren müssen noch mehr Studierende im Praktikum betreuen als schon vorher: „Dramatisch“, nennt das der Grundschulpädagoge Detlef Pech, Studiendekan der Philosophischen Fakultät IV der HU. Die Entwicklungen stünden im krassen Gegensatz zu den Empfehlungen, die gerade erst die Expertenkommission dem Berliner Senat zur Verbesserung der Lehrerbildung gegeben hat.

5. Manche Fächer haben keinen NC mehr – nun kommen Parkstudierende

Weniger nachgefragte Fächer wie Mathematik, Physik oder Informatik dürfen sich nicht mehr mit dem NC abschirmen. So schreiben sich dort auch Studierende ohne echtes Interesse am Fach ein – weil sie später in ihr Wunschfach wechseln wollen oder nur wegen des günstigen Semestertickets: „Diese Studierenden machen die Studienkultur kaputt“, ist aus der FU zu hören. An der TU wuchs die Zahl der Erstsemester in Elektrotechnik von 200 auf 400 Studierende, nachdem im vergangenen Jahr der NC wegfiel, sagt TU-Vizepräsident Hans-Ulrich Heiß. „Und hinterher haut man uns die hohen Abbrecherzahlen um die Ohren.“ Abbrecher kosten die Unis auch Geld: Im Preismodell des Senats gibt es Mittel für Studienabsolventen.

Die Unis helfen sich mit studentischen Tutoren oder auch mit heimlichen Quersubventionierungen aus der Forschung: Nachwuchswissenschaftler, die aus Drittmittelprojekten finanziert werden, unterrichten kostenlos. Doch die Raumausstattung wächst nicht mit der raschen Expansion mit, auch in den Bibliotheken fehlen Plätze. Schließlich ist die Zahl der Studierenden in Berlin sehr rasch gestiegen: von nur noch 132 822 Studierenden nach der letzten Sparrunde im Jahr 2006 auf 153 694. Noch nie zuvor hatte Berlin so viele Studierende. Aus den Unis heißt es dazu: „Mit immer weniger Mitteln immer mehr Studis abfrühstücken: Das fliegt uns irgendwann um die Ohren.“

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