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Professor mit Fliege in altem Hörsaal

© IMAGO

Soziale Mobilität an der Uni: Die feinen Unterschiede machen den Professor

Seit langem war die soziale Herkunft bei Berufungen nicht so bedeutend wie heute. Juniorprofessuren sind am exklusivsten.

Professor werden? Wohl jenen, die eine hohe soziale Herkunft haben. Denn die Bedeutung der „feinen Unterschiede“ (Pierre Bourdieu) für die akademische Karriere hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Noch nie in 40 Jahren war der Anteil von Professoren aus der höchsten Schicht so hoch. Das geht aus einer neuen Studie hervor, die soeben in der Fachzeitschrift „Soziale Welt“ erschienen ist. Ihre Autorin, die Soziologin Christina Möller, macht einen Trend zur „sozialen Schließung der Universitätsprofessur“ aus. Und ausgerechnet die Juniorprofessur, von einer sozialdemokratischen Regierung eingeführt, um verkrustete Strukturen aufzubrechen, verschärft die soziale Exklusivität dramatisch.

Möller, Doktorandin bei dem Elitenforscher Michael Hartmann von der TU Darmstadt, bat 5100 Professoren per Mail um Auskunft. Die Antworten von 1340 Professoren aus dem Jahr 2010 flossen in ihre Analyse ein. Darunter waren auch pensionierte Professoren, was einen Vergleich über einen längeren Zeitraum von 1971 bis zum Jahr 2010 möglich macht. Weil alle Professoren in Nordrhein-Westfalen tätig waren, sind die Ergebnisse der Studie nicht einfach auf die ganze Bundesrepublik übertragbar. In der Tendenz aber schon. Denn Möller wählte Nordrhein-Westfalen als Untersuchungsgegenstand, weil es eine besonders dichte Universitätslandschaft hat, zu der sowohl Traditionsunis als auch neue, also erst ab den 1960er Jahren gegründete Unis gehören.

Möller ordnet die Professoren vier sozialen Herkunftsgruppen zu: „Niedrig“ ist die soziale Herkunft von Professoren, deren Eltern Arbeiter und Angestellte in ausführender Tätigkeit oder Beamte des einfachen und mittleren Dienstes sind. Die „mittlere“ Gruppe umfasst Kinder von Meistern, Angestellten in mittlerer Position, Beamten des gehobenen Dienstes oder kleineren Selbstständigen. Zur „gehobenen“ Gruppe gehören Angestellte in gehobener Position und mit umfassenden Führungsaufgaben, Beamte des höheren Dienstes und mittlere und größere Selbstständige, jeweils ohne Hochschulabschluss. Zur Gruppe „hoch“ gehören Kinder von Eltern, die in Staat oder Wirtschaft umfassende Führungsaufgaben wahrnehmen und studiert haben sowie Selbstständige mit hohem Einkommen (mit und ohne Hochschulabschluss).

Mehr Studierende aus der unteren Schicht

Deutlich zu erkennen ist, dass die Chancen auf eine Professur für Angehörige der obersten sozialen Schicht sich im Laufe der Jahrzehnte immer weiter verbessern – während die Chancen für die Angehörigen der untersten Schicht immer schlechter werden. Die Professoren, die in den Jahren zwischen 1971 und 1980 berufen wurden, gehörten der Studierendenkohorte des Jahres 1956 an. Damals stammten 43 Prozent der Studierenden aus der höchsten sozialen Schicht (siehe Grafik). Unter den in den siebziger Jahren Berufenen liegt der Anteil der Professoren aus der höchsten Schicht bei 35 Prozent.

Dreißig Jahre später hat sich die Hochschule im Zuge der Bildungsexpansion deutlich geöffnet. So stammen im Jahr 1985 nur noch 25 Prozent der Studierenden aus der höchsten Schicht. Doch bei den Berufungen aus den Mitgliedern dieser Studierendenkohorte wirkt sich die bessere soziale Mischung nicht aus. Im Gegenteil, die Selektion ist so scharf wie nie zuvor. 38 Prozent der Professoren, die zwischen 2001 bis 2010 berufen wurden, stammen nun aus der höchsten Schicht.

Für die Studierenden mit der niedrigsten sozialen Herkunft verläuft die Entwicklung genau umgekehrt. Die Professoren, die zwischen 2001 und 2010 berufen wurden, stammten nur zu zehn Prozent aus der niedrigsten Schicht. Dabei waren sie in ihrer Studierendenkohorte zu 18 Prozent vertreten.

Noch deutlicher sichtbar wird die Undurchlässigkeit der Universität, blickt man auf die soziale Struktur der gesamten Bundesrepublik, schreibt Möller in ihrem Aufsatz. In der Zeit von den fünfziger bis in die Mitte der achtziger Jahre, als die heutigen Professoren Kinder oder Jugendliche waren, wurden etwa fünfzig Prozent der erwerbstätigen (männlichen) Bevölkerung zur Gruppe der Arbeiter gezählt. Aber nur ein Bruchteil der Kinder aus diesem großen Pool nahm überhaupt ein Studium auf und wurde Professor. Hingegen war der Anteil von höheren Beamten und leitenden Angestellten an der erwerbstätigen Bevölkerung in diesem Zeitraum sehr niedrig, zwischen ein und zwei Prozent. Aber über die Hälfte der jetzigen Professoren hat einen Vater mit gehobenem oder hohem Hintergrund. Die beiden oberen Schichten sind demnach in der Professorenschaft drastisch überrepräsentiert.

Unter den Professorinnen ist die soziale Selektion noch schärfer. Denn eine Frau zu sein erschwert das Vorankommen in der Universität erheblich. Darum müssen Frauen erst recht eine sehr hohe soziale Herkunft mit in die Waagschale werfen können, um eine Professur zu erreichen: Der Anteil der Professorinnen mit hoher sozialer Herkunft liegt aktuell bei 38 Prozent. Bei den Männern auf Professuren sind es nur 32 Prozent. Nur sieben Prozent der Professorinnen haben eine niedrige Herkunft, unter den Männern sind es fast doppelt so viele (13 Prozent).

Der erst am Anfang stehende Aufstieg von Frauen auf Professuren kann darum zu Zielkonflikten führen, wie der Soziologe Michael Hartmann erläutert. Natürlich seien Frauen auf Professuren deutlich unterrepräsentiert. Aber: „Wenn man nur die Frauenquote im Auge hat, dann kann und wird das dazu führen, dass Bürgertöchter in größerer Anzahl höhere Positionen erreichen. Aber nicht auf Kosten der Bürgersöhne, sondern auf Kosten der Arbeitersöhne.“

Entscheidend ist die kulturelle Passfähigkeit

Entscheidet etwa nicht allein die Leistung darüber, wer Professor in Deutschland wird? Christina Möller hält es mit dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu („Die Illusion der Chancengleichheit“, zusammen mit Jean-Claude Passeron, 1971; „Die feinen Unterschiede“, 1982). Selbst wenn jemand aus einer unteren Schicht die gleiche „Begabung“ mitbringt, verhindern verdeckte soziale Mechanismen einen echten Bildungswettbewerb. Die Anforderungen des Bildungswesens sind so formuliert, dass sie den kulturellen Gewohnheiten (Habitus) der oberen Schichten entgegenkommen, während die Abkömmlinge unterer Schichten kulturelle Anpassungsleistungen zu erbringen haben und ob dieser Anstrengungen nun als „von Natur aus weniger begabt“ gelten als die scheinbar mühelos voranschreitenden Kinder aus höheren Schichten.

In Deutschland rekrutiert die an der Universität seit jeher dominierende hohe Schicht darum den Professorennachwuchs (bewusst oder unbewusst) vor allem unter ihresgleichen. Und im (latenten) Bewusstsein, kulturell weniger gut zur Universität zu passen, schwenken (begabte) Kinder aus hochschulfernen Schichten scheinbar freiwillig auf einen anderen Weg um.

Zwar ist die Hochschule im Vergleich zu Spitzenpositionen in der Wirtschaft seit langem sozial durchlässiger, erklärt Möller: Doch nach einer Phase der „Verkleinbürgerung“ (Michael Hartmann) bei den Professoren in den sechziger und siebziger Jahren, werde nun wieder stärker aus bürgerlichen und großbürgerlichen Schichten rekrutiert.

Eine „soziale Segregation“ stellt Möller auch bei den einzelnen Disziplinen fest. Die soziale Herkunft beeinflusst schon die Wahl des Studienfachs. Dabei wirken „Images der Fächerkulturen“ sowie „Selbst- und Fremdbilder“ eines Studierenden. Entsprechend sind demnach Professoren aus der unteren Schicht am häufigsten in den Gesellschaftswissenschaften anzutreffen, gefolgt von Mathematik, den Natur-, Technik- und Geisteswissenschaften. Aber unter den Jura-Professoren haben 80 Prozent Eltern, die zur gehobenen oder hohen Gruppe gehören. Bei den Medizinprofessoren sind es 72 Prozent. Disziplinen, die „eine größere Nähe zu gesellschaftlicher Macht“ haben, weisen eine höhere soziale Selektivität auf, folgert Möller.

Ausgerechnet bei den Juniorprofessoren geht es sozial am exklusivsten zu. Nur sieben Prozent stammen aus der niedrigsten, aber 62 Prozent aus der höchsten Herkunftsgruppe. Das überrascht, denn als neuer Weg auf eine Professur jenseits der Habilitation genoss die Juniorprofessur, die in NRW 2004 eingeführt wurde, an den Universitäten zunächst wenig Prestige. Deshalb wäre zu erwarten gewesen, dass sie für soziale Aufsteiger offener ist.

Möller zufolge kommt das Karriereformat der Juniorprofessur Wissenschaftlern aus der höchsten Gruppe aber besonders entgegen: Wer auf eine Juniorprofessur berufen wird, wird schon kurz nach der Promotion entschieden. Da Personen mit guter „kultureller Passung“, also dem richtigen Auftreten, an der Uni schneller Erfolge haben, wird die Juniorprofessur zuerst von ihnen besetzt. Die Wissenschaftler mit weniger privilegierter Herkunft können nicht schon über ihren Habitus beglaubigen, dass sie „dazu“gehören. Sie brauchen mehr Zeit, um den Nachweis über ihr Können zu führen – und werden folglich auch erst später berufen. Sollte die Juniorprofessur sich weiter verbreiten, ohne dass sich an der einseitigen sozialen Auswahl etwas ändert, rechnet Möller mit einer noch schärferen sozialen „Schließung der Universitätsprofessur“.

Schon die jetzige Zusammensetzung der Professorenschaft wirft aber die Frage nach Chancengerechtigkeit und der „Teilhabe an machtvollen Positionen“ auf, schreibt Möller. Wenn die Rekrutierung des Nachwuchses und das wissenschaftliche „Agenda-Setting“ überwiegend in den Händen einer sozialen Schicht liegen, führt dieses das ständig propagierte meritokratische Ideal der Wissenschaft ad absurdum, wird die wissenschaftliche wie die gesellschaftliche Entwicklung von der sozialen Homogenität ihrer Akteure behindert.

Die Studie im Internet unter:

www.soziale-welt.nomos.de

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