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Raus aus dem Hörsaal, rein ins Leben. Aus einer studentischen Idee sind schon große Projekte geworden.

© IMAGO

Soziales Engagement an der Uni: Die Gut-Studenten

Helfen und dabei Punkte sammeln: An deutschen Hochschulen hält „Service Learning“ Einzug. Studierende vermitteln Patenschaften für Kinder oder geben Rechtsberatung - und bekommen dafür Leistungspunkte.

„Das schaffen wir nie“, war Alexander Hänels erster Gedanke, als er die Idee für den Projektnamen hörte. „100 Paten für Berlin“ hatte jemand aus seinem Kurs vorgeschlagen, aber war dieses Ziel für ihre Kinderpatenschafts-Kampagne nicht zu hoch gesteckt? Dann ließ sich Hänel doch überzeugen, und tatsächlich: „Groß denken lohnt sich.“ 93 Mal wurde das Formular auf der Webseite der „100 Paten“ bisher ausgefüllt, das Studierende zur ehrenamtlichen Arbeit mit Kindern einlädt. Hänels Team brachte das nebenbei den Titel „Hochschulperle 2013“ des Stifterverbands für soziales Engagement ein.

Im Wintersemester 2012 hatte Hänel, der an der Technischen Universität Berlin (TU) Soziologie studiert, als Tutor ein studentisches Seminar zum Thema „Online Campaigning“ angeboten. Wie sozialer Einsatz im digitalen Zeitalter aussehen kann, beschäftigte ihn schon länger. In seinem Kurs wollte er über die Macht des Internets aber nicht nur philosophieren, sondern konkret etwas für soziale Initiativen tun. Die Studierenden bekamen für die Teilnahme Leistungspunkte.

In den USA gehört gemeinnütziger Dienst an Universitäten zum guten Ton

„Service Learning“ heißt diese Schnittstelle zwischen Studium und gesellschaftlichem Einsatz. In Deutschland ist das Konzept noch wenig bekannt, die Begriffe, die fallen, stammen fast alle aus dem angloamerikanischen Raum. „Campus Community Partnership“ ist einer davon, gemeint ist die Zusammenarbeit von Forschern mit lokalen, meist sozialen Einrichtungen. In den USA gehört gemeinnütziger Dienst an Universitäten zum guten Ton. Jura-Studierende beraten Bürger kostenlos bei Rechtsfragen, angehende Betriebswirtinnen helfen Non-Profit-Organisationen. Verantwortung zu übernehmen gilt als Prestige und wird als Leistung verbucht. Das hat auch historische Gründe: Staatliche Sicherungssysteme sind in Amerika weniger geschätzt als in Deutschland, wo man lange davon ausging, dass alles, was das Gemeinwohl betrifft, über Steuern abgedeckt ist.

Ausgerechnet die Ökonomisierung der Hochschulen hierzulande scheint das Verantwortungsbewusstsein nun zu ändern. Einerseits können sich Unis mit ihrem Engagement profilieren, ähnlich wie Firmen das unter dem Stichwort „Corporate Social Responsibility“ tun. Andere erkennen im Service Learning eine Gegenbewegung zu einer stark auf die Bedürfnisse der Wirtschaft ausgerichteten Hochschulausbildung. „Universitäten begreifen langsam, dass sie nicht nur Nachschub für die Wirtschaft produzieren, sondern auch verantwortungsvolle Bürger ausbilden“, sagt Wolfgang Stark, einer der Gründer des Hochschulnetzwerks „Bildung durch Verantwortung“.

25 deutsche Hochschulen sind mittlerweile dabei

Das Netzwerk wirbt seit 2009 für mehr soziales Wirken in der Forschung. Angeschoben wurde es 2004 von einer studentischen Initiative an der Universität Mannheim, zwei Jahre später stieg der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft ein, mittlerweile haben sich 25 Hochschulen angeschlossen. Doch noch ist das Netzwerk ein zartes Pflänzchen. Zum Vergleich: Das amerikanische Pendant „Campus Contact“ existiert sei 30 Jahren und hat 1100 Mitglieder.

Die TU Berlin ist seit 2012 Mitglied im Hochschulnetzwerk. Auch hier ist Service Learning erst seit wenigen Jahren ein Begriff, Beratung für lokale Organisationen bietet die Universität aber schon seit den 1980er Jahren, zum Beispiel in Umweltfragen. „Service Learning ist derzeit in aller Munde. Aber es bündelt und wertet das auf, was die TU schon jahrzehntelang macht“, sagt die Vizepräsidentin der TU, Angela Ittel, die die Mitgliedschaft im Netzwerk initiiert hat.

Ittels Fachbereich, die Pädagogische Psychologie am Institut für Erziehungswissenschaften, betreibt Service-Lernen stärker als andere Fächer. Das liegt nahe, denn man ist von Hause aus an neuen Lernformen interessiert. Doch auch hier stehen sie am Anfang. So gibt es keine Stellen für die Entwicklung sozialer Lernmethoden, im vergangenen Semester wurde ein einziges Seminar zum Thema angeboten. Immerhin werden Kurse nun auf ihre Tauglichkeit für die Service-Lehre untersucht. „Einige Personen machen das in einer AG Service Learning aber eher nebenbei“, sagt Johannes Dietrich von der Zentraleinrichtung Wissenschaftliche Weiterbildung und Kooperation an der TU.

Rechtsberatung an der Humboldt-Uni

Auch die Humboldt-Uni hält seit 2010 eine „Law Clinic“ nach amerikanischem Vorbild ab, in der sich Berliner zweimal im Jahr von Jura-Studierenden umsonst rechtlich beraten lassen können.

Dass ein Projekt wie die „100 Paten“ rein studentisch organisiert ist, kommt aber eher selten vor. Dabei lässt sich in diesem Format klassische Lehre besonders gut aufbrechen. Als sich Eva Zahneißen für den Kurs anmeldete, lockte sie neben dem Thema Online-Kampagnen das Interaktive an dem Programm. Alexander Hänel erinnert sich, dass „der Funke bei den meisten schnell übersprang“. Ehe er sich versah, schlugen die Teilnehmer unterstützenswerte soziale Projekte vor – von der Wasserinitiative „Viva con Agua“ bis zum Sportverein in Südafrika. Schließlich wurde es eine richtige „Campus Community Partnership“: Sie wollten lokale Kinderpatenschaften-Projekte bekannter machen.

Paten helfen bei Schulproblemen

Das war der Moment, in dem Laura Bauer an Bord kam. Sie ist Koordinatorin der „Kotti Paten“, einer Initiative, die „Kiezfreundschaften“ rund ums Kottbusser Tor vermittelt. Die Paten helfen Kindern aus der Nachbarschaft bei Schulproblemen, manchmal geht es aber auch nur auf ein Eis in den Zoo.

Kritiker befürchten, dass das dicht getaktete Bachelorsystem Studierenden kaum Zeit lässt, sich sozial einzubringen. Auch Eva Zahneißen hat lange überlegt, ob sie ein Patenamt übernehmen soll, „weil ich Angst hatte, keine Zeit zu haben“. Einige mag das Bachelorstudium abhalten. „Es ist dennoch bemerkenswert, wie viele Studierende sich engagieren“, sagt Wolfgang Stark.

Wertvolle Ressource: Jeder bringt das Wissen aus seinem Fach mit

Doch wie werden Studierende auf soziale Projekte aufmerksam? Die Kotti-Paten finanzieren sich aus Spenden, alle arbeiten ehrenamtlich, für Öffentlichkeitsarbeit fehlten bislang Zeit und Geld. Der Anruf der „100 Paten“ Ende 2012 kam Bauer gerade recht. „Ich dachte gleich: Die können was“, erzählt sie. „Aber ihre Idee war etwas überdimensioniert für unsere kleine Initiative.“ Deshalb schlug Bauer eine Kampagne für das größere „Netzwerk Berliner Kinderpatenschaften“ vor, dessen Mitbegründerin sie ist.

Die Studierenden machten sich ans Werk. Geld hatten auch sie keins, aber jeder brachte Wissen aus seinem Fach mit. „Außerdem kann man online viel kostenlos machen“, sagt Zahneißen. Nicht jeder sieht in diesem pragmatischen Ansatz adäquate universitäre Lehre. Hänel erklärt den Gewinn für Studierende durch Service Learning so: Im Vordergrund stand bei den „100 Paten“ die inhaltliche Selbstbestimmung. Gemeinsam wollte der Kurs Online-Instrumente kennenlernen, um sie später bei der Kampagne anzuwenden. Ein Projekt selbstständig planen und verwalten zu können – auch das sind Qualifikationen, die später im Beruf gefragt sind. Die großen ideellen Ziele sollen aber bleiben, sagt Hänel: „Da ist es gut, wenn wir ganz viel wollen, damit wir ganz viel schaffen.“

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