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„No fees“ – keine Studiengebühren. Studierende protestieren im irischen Dublin gegen Regierunsgpläne. Auch in Skandinavien sind Studiengebühren kein Tabu mehr. 

© picture alliance / empics

Sparorgie: Europas klamme Unis

Fast überall auf dem Kontinent wird drastisch bei den Hochschulen gekürzt. Besonders Studierende leiden: Das Studium wird für sie immer teurer - und gleichzeitig werden die Hörsäle immer voller.

Das neue Jahr begann für die Studierenden in Großbritannien so, wie das alte endete: mit Protesten. In Leeds besetzten Studierende ihre Universität, für die kommenden Wochen haben Studentenvertreter zu großen Demonstrationen in London und Manchester aufgerufen. „Der Kampf fängt gerade erst an“, zitierte der „Guardian“ den Vorsitzenden der nationalen Studierendenvereinigung. Bereits im Dezember gingen Zehntausende auf die Straße. Den Ärger bekam sogar das Königshaus zu spüren: Demonstranten warfen Farbbeutel gegen das Auto von Prinz Charles und seiner Frau Camilla, die gerade auf dem Weg ins Theater waren.

Die britischen Studierenden sind nicht die einzigen, die demonstrieren. In Italien kam es im Dezember zu Massenprotesten. Im isländischen Reykjavik zogen Tausende vor das Parlamentsgebäude, im irischen Dublin blockierten Studierende das Finanzministerium. Die Protestierenden eint die Wut über massive Kürzungen bei ihren Hochschulen.

Denn fast alle europäischen Länder sparen derzeit bei der Wissenschaft – entgegen den Lippenbekenntnissen der Politiker, man könne gegen die aufstrebenden Konkurrenz aus Asien und Südamerika nur bestehen, wenn man bei Innovationen einen Schritt voraus sei. Der Grund für die Einschnitte sind die riesigen Schulden, die die Staaten wegen der Finanzkrise plagen und die sie verzweifelt versuchen abzubauen.

Wie stark die Hochschulen betroffen sind, zeigt eine aktuelle Studie zur finanziellen Lage der europäischen Unis, die die Vereinigung der europäischen Hochschulen, die European University Association (EUA), veröffentlicht hat. „Nur wenige“ Hochschulsysteme seien bisher ungeschoren davongekommen, heißt es. Die Mehrzahl würde unter teilweise drastischen Kürzungen leiden. Eine „große Unsicherheit“ sei zu spüren, da viele Unis für die kommenden Jahre noch größere Belastungen fürchteten.

Die Liste der Regierungen, die laut EUA an der Wissenschaft sparen, ist lang. Großbritannien und Italien sind die prominentesten Beispiele. Der jährliche Zuschuss für die britischen Unis soll bis 2014/15 um 40 Prozent gekürzt werden, das wäre ein Rückgang von fast drei Milliarden Pfund (3,5 Milliarden Euro). Bereits in diesem Jahr sollen die Unis mit 400 Millionen Pfund weniger auskommen. Die Berlusconi-Regierung will in diesem Jahr 550 Millionen Euro streichen, nach einer Kürzung von 279 Millionen Euro im Jahr 2010. „Kritisch“ sei die Lage beim größten europäischen Sorgenkind Griechenland, heißt es: Hier sollen die Unis ein Drittel ihres Budgets verlieren. In Lettland mussten die Hochschulen 2009 die Hälfte ihrer staatlichen Mittel abgeben, 2010 noch mal 18 Prozent. Der internationale Währungsfonds und die Weltbank drängten die Letten zu den Einschnitten in der Wissenschaft, heißt es.

Irland und Island gehören wie Estland, Litauen und Rumänien zu den Staaten, die im vergangenen Jahr die Unibudgets um etwa zehn Prozent kürzten und Ähnliches 2011 vorhaben. Einschnitte bis zu fünf Prozent verzeichnen Tschechien und die Staaten Südosteuropas. Mehrere Länder machten Pläne rückgängig, ihre Wissenschaftsausgaben zu steigern: Österreich, Belgien und Ungarn etwa.

Ausnahmen sind allein Frankreich und Deutschland: Die französische Regierung und die Bundesregierung hielten als einzige an Aufwüchsen fest, lobt die Studie. Kontraproduktiv sei in Deutschland allerdings, dass mehrere Bundesländer ihren Unis die Grundfinanzierung kürzten.

Anders als US-Unis, bei denen private Geldgeber eine wichtige Rolle spielen, sind europäische Hochschulen weitgehend auf den Staat angewiesen: 75 ihrer Mittel kommen laut EUA vom Staat. Umso mehr schmerzen die Einschnitte, umso bedeutender sind deren Folgen. Besonders leiden die Studierenden: „Die Lehre ist von den Kürzungen mehr betroffen als die Forschung“, schreiben die Autoren der Studie.

Offensichtlich ist das in Großbritannien, wo die Zuschüsse für die Lehre überproportional um bis zu 80 Prozent gekürzt werden sollen. Die ersten Unis hätten Studienprogramme gestrichen, heißt es in der Studie. Irische Unis öffnen ihre Bibliotheken nicht mehr so lange wie früher, Renovierungen von Hörsälen scheitern an fehlenden Mitteln. Zahlreiche Länder entlassen Lehrkräfte. Die Lage spitzt sich umso mehr zu, als sich an den immer klammeren Unis immer mehr Studienanfänger bewerben: Wie in Deutschland drängen auch anderswo geburtenstarke Jahrgänge an die Unis. Überfüllte Seminare würden so zur Regel, heißt es. Einige Regierungen wie die niederländische wollen mit Zulassungsbeschränkungen reagieren.

Nicht zuletzt belastet es Studierende, dass sie mit ihrem Geld die gestrichenen Staatsmittel ersetzen sollen. Die Wut der englischen Studierenden entzündete sich daran, dass die Regierung die Studiengebühren ab 2012 auf bis zu 9000 Pfund (gut 10 000 Euro) verdreifacht. Tatsächlich ist die Geschwindigkeit, mit der Großbritannien den Systemwechsel hin zur Finanzierung durch Studiengebühren vollzieht, enorm. Bis 1998 mussten englische Studierende überhaupt nicht für ihr Studium zahlen, erst dann führte die Regierung von Tony Blair Studiengebühren ein. Verstärkt überlegten Schulabgänger, ihr Studium in Staaten zu beginnen, in denen sie keine oder geringere Gebühren zahlen müssen, berichtet der „Guardian“.

Doch auch anderswo wird es teurer. Irland erhöhte die Einschreibegebühr für Studierende von 1500 auf 2000 Euro – und reduzierte gleichzeitig Stipendien. Die irische Regierung liebäugelt immer wieder mit noch viel heftigeren Gebühren. Auch die Niederlande überlegen, die Gebühren anzuheben. Die EUA sieht einen europäischen Großtrend, die Finanzierung des Wissenschaftssystems auf Private – sprich: Studierende oder Sponsoren – zu verlagern. Selbst in Skandinavien, wo ein kostenloser Zugang zum Studium jahrzehntelang zum politischen Konsens gehörte, seien Studiengebühren nicht mehr tabu. In Schweden und Finnland müssen 2011 erstmals Studenten aus Nicht-EU-Ländern Gebühren zahlen.

Gleichwohl muss auch die Forschung Abstriche machen. Regierungen neigten zudem immer mehr dazu, ihre Zuschüsse nach dem Wettbewerbsprinzip zu verteilen, beobachten die Autoren der Studie. „Dieser Trend gefährdet die nachhaltige Finanzierung der Unis“, kritisieren sie. Hochschulen könnten nur noch Spitzenbereiche bezahlen, während Grundmittel für ein breites Fächerangebot fehlten.

Könnte die EU ihren Mitgliedsstaaten helfen? Derzeit wird das nächste EU-Forschungsrahmenprogramm vorbereitet, das ab 2014 gilt. Die deutschen Hochschulrektoren fordern, die EU müsse mehr Geld in die Grundlagenforschung investieren. Zu große Hoffnungen sollten sie sich nicht machen. Eine von der EU-Kommission eingesetzte Expertengruppe urteilte unlängst, bei der politischen Großwetterlage könne man schon froh sein, wenn beim EU-Forschungsprogramm der Status quo erhalten bleibe. Große Sprünge seien nicht zu erwarten.

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