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Erleuchtet. In wissenschaftlichen Bibliotheken wie der Berliner „Stabi“ ringen täglich Dutzende Doktoranden mit ihren Texten. Der Historiker Valentin Groebner rät ihnen, den Wissenschaftsjargon zu meiden und ihre eigene Sprache zu finden.

© SBB-PK/C. Kösser

Sperriges Wissenschaftsdeutsch: Gegen Begriffsdrachen und Superfußnoten

Wissenschaftler schreiben oft sperrig, Satzleichen für ein Nischenpublikum pflastern die Seiten. Der Historiker Valentin Groebner will das ändern und rät Forschern: Einfach erzählen.

Studierende und Wissenschaftler kennen das: Der Blick fällt morgens auf jenes Dokument, das einen ominösen Namen à la „Kap.3_Vers.2_vorl.“ trägt. Sie starren auf die fünf Sätze und drei Fußnoten, die sie sich gestern haareraufend abgerungen haben. Grämen sich. Waren sie nicht angetreten, einen klugen, inspirierenden, elegant formulierten Text zu schreiben? Und nun das: Diskurschaos. Begriffsschlachten. Unverständliches Wissenschaftsgeschwurbel. Satzleichen für ein Nischenpublikum pflastern die Seiten.

Wissenschaftssprache im 21. Jahrhundert besteht nicht aus vergnüglich zu lesenden, allgemeinverständlichen Erläuterungen über einen neu erschlossenen Sachverhalt. Sondern sie ist allzu oft „feinporiger Textschaum“ und voller „Satzwolken“, diagnostiziert Valentin Groebner. Selbst bestens mit dem Genre vertraut – Groebner ist Professor für Geschichte an der Universität Luzern –, hat er nun unter dem Titel „Wissenschaftssprache. Eine Gebrauchsanweisung“ eine bestechende Analyse geisteswissenschaftlicher Dissertationsprosa vorgelegt.

Entstanden im Rahmen mehrerer Schreibseminare ist Groebners Büchlein Feldforschung, Schreibschule und Inspiration zugleich. Nicht nur ist es spritzig und pointiert verfasst. Es stellt auch jene zentrale Frage, die Studierenden, Doktoranden und gar manchen Professoren irgendwie abhandengekommen ist: „Was für eine Art Autorin oder Autor möchten Sie gerne sein?“

Wie kommt eigentlich die Wissenschaft in meinen Text? Leider, so Groebner, beharre das Akademische darauf, dass es „in keiner anderen Sprache beschrieben werden könne als in seiner eigenen; kurz: dass es nicht von außen beurteilbar sei.“ Wissenschaftssprache besteht aus Fachbegriffen und gibt sich streng im Ton, sie soll Thesen und Fakten liefern. Eine Errungenschaft, denn der akademische Betrieb der Frühen Neuzeit war zunächst ein korruptes System erstarrter Gelehrsamkeit. So versicherte man 1767 in Heidelberg noch generös, Professorensöhne „könnten selbstverständlich den väterlichen Lehrstuhl erben“. Erst der Humboldt’sche Geist brachte ein neues Selbstverständnis an die Universitäten. Der dozierende Professor wurde zum Autor, und sein wissenschaftliches Schreiben verbürgte Objektivität.

Mit der Expansion des Wissens wurden die Universitäten aber gleichzeitig zu „effizienten Verknappungsagenturen“: „Jedes wissensorganisierende System beruht auf dem Ausschluss bestimmter Klassen von Materialien, sonst kollabiert es“, schreibt Groebner. Das gilt erst recht in heutigen Zeiten der „Überforschung“: Wissen sortieren und Informationen reduzieren, lautet die Devise der Wissenschaftler. Allein – je mehr sie verknappen und abstrahieren, umso hermetischer wird das Ganze. Wissenschaftlichkeit spukt plötzlich als totes Gespenst durch ihren Text und sperrt ihn im Elfenbeinturm hinters Gitter. Das heimliche Motto: Wem’s zu kompliziert ist, der hat’s halt nicht kapiert.

Je nach Habitus des Faches, in dem man promoviert, gilt Allgemeinverständlichkeit jedoch als verpönt. Auch allzu feuilletonistisch soll es bitteschön nicht klingen. Denn je stärker ein Fach – etwa Kunstgeschichte, Soziologie, Philosophie – tatsächlich im Feuilleton auftritt, umso mehr bemühe sich die Wissenschaft, dem „eine eigene Eigentlichkeit“ entgegenzuhalten. Doch wenn jemand schreiberische Eleganz verdächtig und oberflächlich finde, „dann sagen diese abwertenden Ausdrücke vor allem etwas über diejenigen aus, die sie gebrauchen“, kritisiert Groebner.

Üblich sei heutzutage, sich hinter schwerfälligem Wissenschaftsjargon zu verstecken: „Es hat sich gezeigt, dass ...“, „Man sollte bedenken, dass...“. Dazu ein paar Verben oder Adjektive, die per „-barkeit“ vergrößert werden (die Verkomplizierbarkeit des Denkens eben), gemixt mit etabliertem „Theoriesound“ (immer gut: wenn etwas „diskursiv“ ist) – fertig ist der „bezaubernde Binnenwahnsinn“. Der produziere zwar ein „hysterisches Versprechen“ von Wissenschaftlichkeit, die originelle Forschungsleistung jedoch hinter komplizierten Sprachwolken geradezu verdecke. Ein breiteres Lesepublikum lässt sich so nicht gewinnen. Der Anschluss geisteswissenschaftlicher Forschung an gesellschaftliche Debatten gelingt erst recht nicht.

Dazu kommt: Während beispielsweise die Mittelaltergeschichte für das Jahr 1967 gut zwölfhundert Aufsätze verzeichnet, erscheinen 2009 mehr als achtmal so viele, nämlich 10 507 Titel. Die Zahl der Publikationen explodiert, doch unsere Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten – unsere „bit rate“, wie Groebner schreibt – lasse sich trotz „schier endloser Datenmengen“ nicht beschleunigen. Der Schriftsteller Arno Schmidt rechnete einmal aus, dass jeder Mensch im Laufe seines Lebens zwischen drei- und fünftausend Bücher lesen kann. Lesbarkeit ist laut Groebner vielleicht das entscheidende Kriterium, das einer Dissertation ein ungelesenes Verstauben in der Bibliothek erspart und sie stattdessen auf den Bücherstapel der scientific community befördert.

Wie eine Reiseführerin durch eine verwinkelte Stadt voller versteckter Sehenswürdigkeiten sollen wissenschaftliche Autoren durch ihren Text führen, rät Gröbner. Allerdings „muss nicht jede Textbewegung bis ins Detail erklärt werden, denn das ist klebrig und tyrannisch“. Ein Stoppschild an der zentralen These, ein Beschleunigungsstreifen beim Drumherum also.

Das eigentliche Problem von wissenschaftlichen Arbeiten aber ist ihre Flughöhe: Irgendwo weit oben, im Himmel der Abstraktion, schiebt man Begriffe hin und her. Dagegen hilft zum Beispiel: die Anekdote. Ein „schlimmes Wort“, jaja, weiß Groebner, wer will seiner Arbeit schon den Ton eines Märchenbuchs verleihen? Sparsam eingesetzt, wirkt sie jedoch als Wunderwaffe gegen Übertheoretisierung. Kleine Erzählungen sind „Kontaktzonen und bieten Zugang“ zu einer an sich fremden Denkwelt.

Wirkt ein Text wie von einer hermetischen Glasur überzogen, liegt das wahrscheinlich an „Beschwörungsmaschinen“ – wie der „Superfußnote“. Gern im Einleitungskapitel anzutreffen, bietet sie die reinste Begriffs- und Namensschlacht dar und klingt, über eine halbe Seite hinweg, in etwa so: „Vgl. ..., siehe dazu auch ..., vgl. weiterführend ...“ Die Superfußnote soll sagen: Seht her, was ich alles gelesen habe! Wen ich alles kenne! Wie wichtig mein Thema ist!

Klar, das ist „irgendwie ermutigend“, meint Groebner, aber auch ein billiger Trick. Die Superfußnote, ebenso wie der bedeutungsschwangere „Begriffsdrache“ (Multiperspektivität, Interdisziplinarität, Methodenreflexion), sei „eine Form der Miniaturisierung“. In ihr verkleinern etwa Promovierende, was ihnen beim Schreiben Angst macht – Materialfülle, Autoritäten ihres Faches, das große Ganze eben. In Wahrheit wirken sie damit aber „zaudernd und unentschlossen“.

Einer der größten Fehler sei, alles sagen zu wollen. Groebner erinnert: „Ihr Job ist es, eine ordentliche Auswahl zu treffen und die zu begründen.“ Mit langen Fußnoten, der nonchalanten Erwähnung berühmter Namen und komplizierten Begriffen imponiere man niemandem. Stattdessen, bitteschön: „Vertrauen Sie Ihren eigenen Formulierungen, trauen Sie sich, Ihre eigene Sprache durchzusetzen.“

Viele der praktischen Tipps dürften schreibaffinen Menschen vertraut sein (Absätze machen, Verben nach vorn, den eigenen Text laut vorlesen usw.). Das macht nichts, denn es ist auch die Wissenschaftlerseele, zu der Groebner spricht. Streng, ironisch, aber nie arrogant. Denn noch vor der Frage, was für eine Autorin wir sein möchten, steht die Entscheidung, dass wir eine sein möchten. Handwerk hin oder her, „im besten Fall ist Schreiben Selbstveränderung“, sagt Groebner. Der Philosoph Roland Barthes sprach einmal von der „Lust am Text“. Wäre das nicht schön, wenn sie Einzug hielte in wissenschaftliche Texte?

- Valentin Groebner: Wissenschaftssprache. Eine Gebrauchsanweisung. Konstanz University Press 2012. 16,90 Euro.

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