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Die Technische Universität Berlin diskutiert über Sperrvermerke bei Examensarbeiten.

© Ulrich Dahl/Technische Universit

Sperrvermerke an der TU Berlin: Examensarbeiten unter Verschluss

Wenn Studierende bei Firmen Abschlussarbeiten schreiben, verlangen die Unternehmen oft Geheimklauseln. An der TU Berlin soll die Praxis eingeschränkt werden - die Haftungsfragen seien unübersehbar.

Wenn Studierende ihre Abschlussarbeiten bei Betrieben schreiben, kann das für beide Seiten vorteilhaft sein. Absolventen knüpfen Kontakte zu potenziellen Arbeitgebern und empfehlen sich womöglich für einen Job. Firmen können umgekehrt Talente aus den Hochschulen früh an sich binden, nicht zuletzt bekommen sie die Arbeitsergebnisse, ohne dafür bezahlen zu müssen.

An der Technischen Universität Berlin gibt es jetzt aber Streit um diese Arbeiten. Auslöser sind Sperrvermerke und Geheimhaltungsvereinbarungen der Firmen. Die Arbeiten dürfen nicht an die Öffentlichkeit gelangen, nicht einmal Teilergebnisse später publiziert werden. Bei Verstößen haften die Studierenden und die Prüfer. Die Firmen begründen das mit der Sorge, andernfalls könnten Betriebsgeheimnisse publik werden. Weil diese Sperrvermerke „exzessiv“ zugenommen hätten, haben die Prüfungsausschüsse der Fakultät für Verkehrs- und Maschinensysteme bereits im November sämtliche dieser Vereinbarungen verboten. Die damit verbundene Übernahme einer persönlichen Haftung durch die Studierenden und die Prüfer sei „nicht hinnehmbar“, heißt es in einem Schreiben des Prüfungsausschusses.

Studierende und Mitarbeiter werden in Haftung genommen

Doch weil das Verbot ohne Übergangsfrist gelten sollte, protestierten Studierende – sie fürchteten, bereits begonnene Arbeit nicht beenden zu können. Das Präsidium schaltete sich ein und kassierte den Beschluss, um ihn rechtlich prüfen zu lassen. Inzwischen hat die Fakultät das Verbot zurückgenommen. Zurzeit müssen Sperrvermerke einzeln genehmigt werden. Das Ziel bleibt aber, die Klauseln zu unterbinden: „Wir wollen sie künftig über die Prüfungsordnung verbieten“, sagt Robert Liebich, der Vorsitzende des Prüfungsausschusses für Maschinenbau.

Ein Knackpunkt sind die juristischen Folgen der Klauseln, sagt Liebich: „Mitarbeiter von Prüfungsausschüssen und Prüfungsämtern werden in Haftung genommen, oft ohne die Details der Verträge zu kennen.“ Auch die Studierenden könnten selten wirklich überschauen, auf was sie sich einlassen. Liebich hat beobachtet, dass die Firmen in den vergangenen Jahren „immer weiter gegangen sind“. Waren Geheimklauseln vor 15 Jahren noch Ausnahmen, würden Firmen inzwischen praktisch immer darauf bestehen. Selbst eine Weitergabe der Arbeit an Dritte sei oft untersagt. Müssen sich dann weitere Prüfer oder gar Richter über eine Arbeit beugen – weil Studierende ihre Note anfechten oder eine 5,0 bekommen – wirft das schwierige haftungsrechtliche Fragen auf.

Die Geheimklauseln verbieten eine Veröffentlichung

Für Liebich geht es auch ums Prinzip. Abschlussarbeiten seien erste wissenschaftliche Arbeiten, und Wissenschaft lebe davon, dass andere die Ergebnisse nachvollziehen können. Eine gute Examensarbeit könne der Ausgangspunkt für eine erste Veröffentlichung sein, was die Klauseln aber verhindern. Liebich bezweifelt auch, dass Firmen wirklich auf die Klauseln bestehen würden, sollte man diesen widersprechen. Er selber unterschreibt seit fünf Jahren keine Sperrvermerke mehr. „Darauf lassen sich fast alle Firmen ein.“ Studierende sollten hier selbstbewusster auftreten: Schließlich profitierten die Firmen von ihrer Arbeit sehr viel mehr als andersherum.

Grundsätzlich sind auch die Studierendenvertreter gegen Sperrvermerke. Richard Napierkowski von der Fachschaftsinitiative der Fakultät kennt einen Fall, wo eine Firma sogar forderte, dass der Titel einer Arbeit auf dem Examenszeugnis nicht genannt wird: „Wie sollen sich Absolventen dann noch bewerben können?“

Ohnehin gibt es Napierkowskis Meinung nach nur wenige Fälle, wo eine Geheimhaltung gerechtfertigt ist: Etwa, wenn ein Student im Auftrag einer Luftfahrtfirma an effizienteren Triebwerken forscht. Aber auch dann würden sich Auswege finden lassen, eine Arbeit zu veröffentlichen: Etwa, indem in der Arbeit nicht absolute Messwerte genannt, sondern nur Verhältnisse dargestellt werden. Bei Promotionen – die veröffentlicht werden müssen – sei das auch möglich.

Sperrvermerke sind auch bei Dissertationen umstritten

Diese Praxis ist bei Dissertationen allerdings ebenfalls umstritten – schließlich werden so Originaldaten verschleiert. Der Hochschulverband kritisierte unlängst, Geheimhaltungsklauseln würden bei Industriepromotionen „sehr häufig“ ausschließen, dass „Daten und Quellen einer Dissertation offengelegt werden und für den Prüfer nachvollziehbar“ seien. Auch müssten Unis häufig ein firmenintern festgelegtes Promotionsthema akzeptieren. Sollten sie sich weigern, drohten Firmen, Drittmittelprojekte zu verlagern. Das alles ist für den Hochschulverband nicht länger hinnehmbar: Die Universität sei allein verantwortliche Trägerin von Promotionsverfahren und müsse das bleiben. Besser solle man auf Drittmittel verzichten als diese Praktiken mitzumachen (hier geht es zur Resolution des Hochschulverbandes)..

Bei den Vorgängen an der TU findet Napierkowski unverständlich, dass das Verbot quasi ohne Vorwarnung verhängt wurde: „Das löste Ängste bei denjenigen aus, die kurz vor dem Abschluss ihrer Arbeit stehen.“ Rund 40 Studierende sollen sich besorgt bei der Studienberatung gemeldet haben. Napierkowski befürwortet daher die jetzt gefundene Lösung, Sperrvermerke in Ausnahmefällen zuzulassen. Befürchtungen von Studierenden, sie könnten begonnene Arbeiten nicht beenden, widerspricht Liebich indes: „Das wäre schon rechtlich gar nicht zulässig.“

Dass die Fakultät Sperrvermerke vermeiden will, kann die Unileitung verstehen. Hans-Ulrich Heiß, TU-Vizepräsident für Lehre, sagt: „Viele Firmen schießen über das Ziel hinaus.“ Das Präsidium habe den Beschluss dennoch aufgehoben, weil wegen der sofortigen Wirkung der Vertrauensschutz für Studierende verletzt war. Zudem greife das Verbot stark in die Freiheit der Hochschullehrer als Betreuer ein, sagt Heiß. Er kenne keine Technische Universität, die die Klauseln komplett verbietet. Die TU will nun eine Handreichung erarbeiten, wie die Fachbereiche mit dem Thema umgehen.

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