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Mit Bewegung gegen die Kalorien: Die "Apotheken-Umschau" hat eine Fitness-App entwickelt.

© Getty Images, fotolia; Montage: tsp/ Daniel Streuber

Sport und Gesundheit: Warum Sport nicht schlank macht

Bedingt abnehmbereit: Wer in einer Woche 500 Gramm Gewicht loswerden will, muss 56 Kilometer laufen. Denn Bewegung und Körpergewicht stehen nur in einer losen Beziehung - und der Körper krallt sich an jede Kalorie.

Wer regelmäßig Sport treibt, wird das Problem kennen. Da überwindet man sich, rackert sich im Fitnessstudio oder auf der Aschenbahn ab – und stellt beim nächsten Gang auf die Waage fest, dass alles scheinbar vergebens war. Dabei heißt es doch immer, dass man sich viel bewegen muss, wenn man abnehmen will. Eigentlich ist das eine Binsenweisheit. Aber dass man sich mit Fahrradfahren, Joggen und Gewichtestemmen die Pfunde wirklich abtrainieren kann, ist zweifelhaft.

Studien deuten darauf hin, dass Sport zwar beim Abspecken hilft, jedoch bei Weitem nicht genügt, um tatsächlich das Fett zu schmelzen. Das hat mehrere Gründe. Einer ist der erstaunlich sparsame Energieverbrauch des Körpers in Bewegung. Wer pro Woche 56 Kilometer zügig spazieren geht, nimmt in dieser Zeit gerade einmal 500 Gramm ab, bei 32 Kilometern sind es nach acht Monaten lediglich 3,5 Kilogramm. Diese Zahlen nennt die Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention. „Gewicht abnehmen allein durch Sport und körperliche Aktivität ist zeitraubend und mühsam“, sagt Herbert Löllgen, Präsident der Gesellschaft. „Wer abnehmen will, muss eine Diät halten, seine Kalorien drastisch reduzieren und zusätzlich regelmäßig sportlich aktiv sein.“

Vielleicht hilft es ja, Fett in Muskel zu verwandeln, denn Muskeln verbrauchen auch in Ruhe mehr Kalorien (eigentlich Kilokalorien). Aber der Unterschied ist gering, wie Forscher der New Yorker Columbia-Universität ermittelten. Ein knappes Pfund Muskelmasse verbrennt sechs Kalorien, die gleiche Menge Fett zwei. Wer durch hartes Training knapp fünf Kilogramm Fett durch Muskel ersetzt, kann also am Tag 40 Kalorien zusätzlich verspeisen – einen Teelöffel Butter.

Den allergrößten Teil seiner Existenz verbrachte der Mensch als Jäger und Sammler, als ein Wesen, das rastlos die Savanne durchstreift. Der Bruch des modernen Menschen mit dieser Vergangenheit könnte größer kaum sein. Die Zivilisation hat aus dem Homo movens einen Homo sedens gemacht, ein sesshaftes Bürowesen, das seltene Momente der Bewegung im Fitnessstudio ausführlich plant, ja regelrecht zelebriert. Deshalb liegt es nahe, auch in der Trägheit des Jetztmenschen einen Grund für Übergewicht und Fettleibigkeit zu sehen. Aber diese naheliegende Annahme führt möglicherweise ebenso in die Irre wie der Glaube an Sport als Schlankmacher.

In Tansania im südöstlichen Afrika lebt das kleine Jäger- und Sammler-Volk der Hadza. Sie verbringen einen großen Teil des Tages damit, auf der Suche nach essbaren Pflanzen und Wild umherzustreifen. Ein Leben wie in der Steinzeit, der ideale Gegenpart zum westlichen Sitzmenschen. Amerikanische Forscher machten die Probe aufs Exempel und stellten überrascht fest, dass die rastlosen Jäger und Sammler annähernd den gleichen Kalorienverbrauch haben wie Menschen in westlichen Industrienationen.

„Die Ergebnisse erhellen, wie kompliziert der Energiehaushalt ist“, sagt Herman Pontzer vom Hunter College in New York, einer der beteiligten Wissenschaftler. „Er spiegelt nicht nur einfach die körperliche Aktivität wider, unser Stoffwechselumsatz reflektiert eher unsere gemeinsame evolutionäre Vergangenheit als unsere verschiedenen modernen Lebensstile.“ Die Zunahme der Fettsucht in den Industrienationen hat aus Sicht der Forscher demnach ihren Grund eher in der vermehrten Nahrungsaufnahme als in geringerem Kalorienverbrauch aufgrund der sitzenden Lebensweise.

Und da kommen die Gene ins Spiel

Bei dem Gewicht muss man eine Weile strampeln, bis Erfolge sichtbar werden.
Bei dem Gewicht muss man eine Weile strampeln, bis Erfolge sichtbar werden.

© Jose Manuel Gelpi - Fotolia

Auch andere Untersuchungen belegen, dass Bewegung und Körpergewicht eine eher lockere Beziehung pflegen. Unter Leitung von Timothy Church von der Louisiana State Universität in Baton Rouge erforschten Wissenschaftler, wie sich unterschiedliche „Dosen“ von Sport auf das Gewicht auswirken. An der Studie nahmen knapp 500 fettleibige Frauen teil, die in vier Gruppen eingeteilt wurden. Die erste machte gar keinen Sport, die zweite 72 Minuten pro Woche, die dritte 136 und die vierte 194. Das Training erstreckte sich über ein halbes Jahr, danach wurde Bilanz gezogen. Es stellte sich heraus, dass die dicken Frauen in allen vier Gruppen Gewicht verloren hatten, selbst die in der Gruppe der Nichtsportler (offenbar, weil sie beim Ausfüllen der Studienunterlagen ins Grübeln gekommen waren). Die Teilnehmerinnen in den Sportgruppen hatten zwar stärker abgespeckt (Kein Sport: minus 0,9 Kilogramm, Sportgruppen: minus 1,4 bis 2,1 Kilogramm), aber das fiel statistisch kaum ins Gewicht. Der Unterschied zwischen Nichtsportlerinnen und den Frauen, die am härtesten trainierten, betrug im Mittel lediglich 600 Gramm, berichten Church und seine Kollegen im Fachblatt „Plos One“.

Warum fiel der Gewichtsverlust so mager aus? Church hat eine Erklärung, die auch viele seiner Kollegen heranziehen: Kompensation. Wer eine Stunde gejoggt ist oder im Fitnessstudio geschwitzt hat, belohnt sich danach nicht selten mit Cola, Bier, Kuchen oder Pommes frites – man hat es sich ja verdient. Dabei werden die Energiespeicher wieder aufgefüllt. „Der Körper gibt keine Kalorie freiwillig her“, sagt der Sportwissenschaftler Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln. Und anscheinend fordert er verlorene Kalorien sofort zurück.

Nach einer weit verbreiteten Annahme macht ein inaktiver Lebensstil fett. Doch es gibt Hinweise, dass andersherum ein Schuh daraus wird. Zuerst war das Fett, dann kam die Trägheit. In einer britischen Untersuchung aus dem Jahr 2010, in der 200 Grundschüler über einen Zeitraum von elf Jahren beobachtet wurden, stellte sich heraus, dass körperliche Betätigung keinen Effekt auf das Gewicht hatte, dass aber Gewichtszunahme zu weniger Bewegung führte.

„Physische Inaktivität ist anscheinend eher das Ergebnis von Fettsucht als deren Ursache“, schreiben Terry Wilkin von der Peninsula Medical School und seine Kollegen im Fachblatt „Archives of Disease in Childhood“. „Diese Umkehrung von Ursache und Wirkung kann erklären, warum die Versuche, Fettsucht bei Kindern mit Bewegung zu kurieren, so selten erfolgreich sind.“

Spätestens an dieser Stelle kommen die Gene ins Spiel. Ähnlich wie bei anderen individuellen Merkmalen, etwa Körpergröße oder Intelligenz, sind auch am Körpergewicht etliche Erbanlagen beteiligt. Sie bestimmen natürlich nicht bis aufs letzte Gramm, wie viel jemand auf die Waage bringt. Aber sie geben eine Tendenz vor, eine Bandbreite des Möglichen. Die genetisch vorgegebene Gewichtsspanne beträgt danach etwa 13 bis 14 Kilogramm. Auch der Körper zählt Kalorien. Und er zählt genau.

Andere Forscher sind weniger pessimistisch

„Studien belegen, dass ein bestimmter Satz von gewichtsregulierenden Genen, die eine Person besitzt, bei Weitem der wichtigste Faktor ist, wenn es darum geht, wie viel diese Person wiegt“, schrieb der Mediziner Jeffrey Friedman von der New Yorker Rockefeller-Universität im Magazin „Newsweek“. Friedman, der mit dem menschlichen Eiweiß Leptin ein mögliches Schlankheitshormon entdeckte, empörte sich in dem Beitrag über Kritiker von Regina Benjamin, der Leiterin des US-Gesundheitswesens. Diese hatten sich über Benjamins erhebliches Übergewicht mokiert.

Zusätzlich zu Gesundheitsschäden und Spott bekämen die Dicken noch den moralisierenden Vorwurf zu hören, sie frönten der Völlerei, beklagt der Forscher. „Fettsucht ist keine Frage persönlichen Versagens, sondern hauptsächlich ein Ergebnis der Erbanlagen“, schreibt Friedman. „Wenn Sie dünn sind, bedanken Sie sich bei Ihren ,mageren’ Genen und hören Sie auf, Dicke zu stigmatisieren.“ Vieles spricht dafür, dass verschiedene Stoffwechsel-Temperamente existieren. Für die Unglücklichen, deren „Gewichts-Thermostat“ von Geburt an zu hoch eingestellt ist, bedeutet das, dass sie gegen ihre Biologie arbeiten müssen. Wenn sie ihr Soll-Gewicht zu sehr unterschreiten, wird der Körper alles tun, um wieder zuzulegen.

Selbst wenn sie nach dem Abnehmen immer noch zu viel wiegen, ist der Stoffwechsel Fettleibiger in einer Art Ausnahmezustand und suggeriert akuten Energiemangel. Nach einer australischen Untersuchung kreist bei diesen Personen das „Hungerhormon“ Ghrelin vermehrt im Blut, das Anti-Hungerhormon Leptin ist dagegen vermindert. „Das erklärt das häufige Versagen einer Fettsucht-Behandlung“, sagte der Leiter der Studie, Joseph Proietto von der Universität Melbourne, der „New York Times“.

Andere Forscher sind weniger pessimistisch. Sie stützen sich zum Beispiel auf eine Untersuchung an Amischen in den USA, Mitgliedern einer urtümlich lebenden protestantischen Glaubensgemeinschaft. Bei diesen fanden Wissenschaftler um Soren Snitker von der Universität von Marlyand heraus, dass sich der Effekt einer zur Fettsucht veranlagenden Variante eines Gens mit Namen FTO mit Bewegung abschwächen lässt.

Wer trotz des Fett-Gens FTO schlank blieb, musste im Schnitt zusätzlich 900 Kalorien verbrennen, was drei bis vier Stunden mäßiger körperlicher Arbeit entspricht – die Amischen leben als Bauern. Für den Mediziner und Fettsucht-Experten David Katz von der Yale-Universität in New Haven belegt die Studie, dass der Mensch mit seinen Lebensgewohnheiten seine Gene in gewisser Weise ändern, die Regler an ihnen verschieben kann.

Tatsächlich gibt es mitunter Menschen, die es geschafft haben, ihr starkes Übergewicht loszuwerden. Aber das hat seinen Preis, berichtet der Psychologe Kelly Brownell von der Yale-Universität in New Haven: extreme Wachsamkeit. „Diese Menschen achten noch Jahre später auf jede Kalorie und bewegen sich eine Stunde am Tag“, sagte Brownell der „New York Times“. „Der Gedanke an ihr Gewicht lässt sie niemals los.“

Der Mensch nimmt eine Million Kalorien oder mehr pro Jahr zu sich. Trotzdem schafft der Körper es, sein Gewicht über Jahrzehnte weitgehend konstant zu halten. Besser als er zählt niemand Kalorien.

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