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Ein Besucher der Internetkonferenz Re:publica mit seinem Laptop auf den Knien.

© Stephanie Pilick/dpa

Sprache der "Political Correctness": Im Zeitalter der Hypermoral

Sprachsensibilität versus Sprech- und Denkverbote: Woher kommt die neue Lust an der Empörung? Bericht über eine Berliner Diskussion.

Ein überwiegend linkes Milieu pocht auf Sprachsensibilität, Rechte und Konservative fürchten Sprech- und Denkverbote: Political Correctness ist zu einem hochemotionalen Thema geworden. Treiben manche es mit der Moral in der Sprache auf die Spitze? Dieser Frage widmete sich jetzt eine Diskussionsveranstaltung in der Katholischen Akademie in Berlin. Auf dem Podium diskutierten der freie Publizist und promovierte Philosoph Alexander Grau, der bei „Cicero online“ zu politischen und gesellschaftlichen Themen in seiner Kolumne „Grauzone“ Stellung nimmt, und Gerald Hartung, Professor für Kulturphilosophie/Ästhetik an der Bergischen Universität Wuppertal.

Grau hat unlängst ein Buch zum Thema veröffentlicht: „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“ (Claudius-Verlag). Zwei Entwicklungen der Moderne macht er für einen neuen Hypermoralismus verantwortlich: die Säkularisierung und die Individualisierung der Gesellschaft. Lange Zeit sei Moral nur eine Begleiterscheinung von Religion und anderen Ideologien wie dem Kommunismus oder Nationalismus gewesen. Im heutigen, postideologischen Zeitalter habe Religion ihren gesellschaftlichen Stellenwert verloren, an ihre Stelle sei die Moral gerückt, die zu einer eigenen Ideologie geworden sei.

Personen und Parteien stilisieren sich selbst zu Opfern

Ideologien verfolgen immer einen Absolutheitsanspruch. Grau diagnostiziert ein „Diktat des moralischen Ideologismus“. Der zeitgenössische Moralismus begreife sich als Gipfel der menschlichen Entwicklung, als ein „Moralismus, der keine anderen Götter neben sich duldet“. Gleichzeitig sieht Grau diesen Moralismus als intellektuellen Überbau zu einer wirtschaftlichen Entwicklung. Mit ihm optimiere sich die Gesellschaft und verfolge kapitalistische Ideen mit einer Steigerungslogik hin zu einer „Edel-Menschheit“.

In der Beschreibung der Phänomene waren sich die beiden Diskutanten einig. Hartung unterstellte Grau aber Kulturpessimismus. Er hat beobachtet, dass sich einige Personen und Parteien zunehmend selbst zu Opfern stilisieren, indem sie angebliche Sprechverbote anprangern. Dabei könne man im demokratischen, pluralistischen Deutschland sehr viel öffentlich sagen, man sei weit entfernt von Sprechverboten oder Zensur. Ein Zuhörer widersprach und warf ein, dass die Situation sehr viel subtiler sei und es sehr wohl Dinge gebe, die nicht mehr gesagt werden dürften, ohne gesellschaftlich geächtet zu werden.

Ich will anders sein, aber alle sollen das gut finden

Grau und Hartung verwiesen auf ein weiteres Phänomen. Mit der zunehmenden Individualisierung hätten viele Menschen auch eine besondere Anspruchshaltung entwickelt. So verlange man nicht mehr nur Toleranz und Akzeptanz, sondern auch Wertschätzung: Man wolle ganz anders sein als alle anderen, aber alle sollen das gut finden – möglicherweise ein Grund für die Emotionalität der Debatte.

Hartung setzte dem ihm kulturpessimistisch erscheinenden Grau eine optimistische Aufgeschlossenheit entgegen: Statt Kants aufklärerische Ideale und seinen hohen moralischen Anspruch an das Individuum abzulehnen, könne man auch dafür kämpfen, an den Idealen der Aufklärung zu arbeiten. Das könnte ganz praktisch bedeuten, wieder mehr zu streiten, auf sachlicher Ebene – und mehr auf Akzeptanz und Toleranz, statt auf gegenseitige Wertschätzung zu hoffen.

Auch Trolle im Internet wollen andere mundtot machen

Viele praktische Fragen blieben bei der Debatte trotz ihres verheißungsvollen Titels („Wie viel Moral ist zu viel?“) offen. Zum Beispiel ab wann man eine gesellschaftliche Ächtung in Kauf nehmen muss. Thilo Sarrazin oder Akif Pirinçci haben Bücher veröffentlicht, in denen sie Minderheiten herabgesetzt haben. Müssen sie dann nicht auch Empörung und Gegenargumente in Kauf nehmen? Auch gibt es wütende Menschen und Trolle im Internet, die andere mundtot machen wollen, im linken wie im rechten Spektrum. Warum wird dann nur das Verhalten der Linken mit Political Correctness in Verbindung gebracht?

Für eine fruchtbare Diskussion ist es wichtig, am Anfang die Begriffe zu klären. Das ließ die Veranstaltung in der Katholischen Akademie leider vermissen. Wenn man Political Correctness als die Bemühung versteht, respektvoll und rücksichtsvoll miteinander zu sprechen – die auch manchmal misslingen kann –, dann verliert der Begriff viel von seinem Schrecken.

Anne-Sophie Schmidt

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